Editorial

Nachwuchs in Not
Forschungsförderung in Zeiten von Corona

Mario Rembold, Laborjournal 6/2021


(09.06.2021) Lockdown und Kontaktbeschränkungen haben auch so manches Labor lahmgelegt. Für Nachwuchsforscher kann das die berufliche Karriere bedrohen, etwa wenn Stipendien oder Arbeitsverträge nicht verlängert werden. Ausgerechnet mit EU-Förderung kann man hier in eine besondere Klemme geraten.

Die Corona-Pandemie hat ganze Wirtschaftszweige vorübergehend auf Eis gelegt – und wer am Ende finanziell wieder auf die Beine kommt, ist ungewiss. Genauso wenig machen die Auswirkungen Halt vor der Karriereplanung junger Menschen. Werfen wir daher einen Blick auf die spezielle Situation von Nachwuchsforschern, die vom Labor ins Homeoffice umziehen mussten und dort natürlich nur eingeschränkt oder gar nicht an ihren Projekten arbeiten konnten. Klar, unser Fokus liegt auf Doktoranden und Postdocs der Lebenswissenschaften, aber letztendlich stellt die Pandemie auch andere Disziplinen vor große Herausforderungen.

Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) begann 2018 mit der Career Tracker Cohorts Study ein Projekt, um die Karrierewege von Forschern und den Einfluss von Förderungen zu evaluieren (careertrackercohorts.ch). Im Herbst 2020 gab es eine Umfrage unter Postdocs, die mit einem Mobilitätsstipendium des SNF finanziert sind. Die Antworten von 303 Befragten konnten ausgewertet werden, und die Ergebnisse haben die Studienleiterinnen um Andrea Erzinger vom Interfaculty Centre for Educational Research (ICER) der Uni Bern Ende März in einem Blog-Beitrag auf nccr-onthemove.ch vorgestellt.

Wie zu erwarten gaben die Befragten an, 2020 mehr von zu Hause aus gearbeitet zu haben als vor der Pandemie. Im Durchschnitt fühlten sich die Jungforscher weniger produktiv, obwohl sie mehr Zeit in ihre Arbeit investierten. Auf weniger Arbeitszeit als zuvor kamen jene, die im Lockdown nebenher noch ihre Kinder betreuen mussten. Weiterhin schätzen die meisten Studienteilnehmer ihre Karrierechancen durch die Folgen der Corona-Pandemie als schlechter ein. Abgesagte Konferenzen, geschlossene Labore und eingefrorene Projekte sowie Kooperationen wurden in diesem Zusammenhang angegeben. Die Befragten meldeten zurück, dass sie deutlich weniger publiziert hätten als zuvor geplant. Allerdings war der Pessimismus bei Biologen und Medizinern weniger stark ausgeprägt, und natürlich waren diejenigen, die an COVID-19 forschen, weniger besorgt um ihre Zukunft als andere Nachwuchswissenschaftler.

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Illustr.: Juliet Merz

Wer in der Schweiz als Postdoc tätig war, machte weniger pessimistische Angaben im Fragebogen als jene mit Anstellung in Nordamerika. Positiv formuliert: Vielleicht steht Europa im Vergleich doch ganz gut da. Nun basiert die Umfrage nur auf der Selbsteinschätzung der Postdocs, und 300 Teilnehmer lassen vielleicht Rückschlüsse speziell auf die Mobilitätsstipendiaten des SNF zu, wohl kaum aber auf die gesamteuropäische Situation der Nachwuchsforscher.

So weit zunächst ein paar trockene Fakten. Im Einzelfall aber geht es für junge Forscher nicht allein um Zukunftsängste, sondern um ganz konkrete finanzielle Nöte. Insbesondere bei Förderungen auf EU-Ebene scheint die Bürokratie ein gewaltiger Bremsklotz für die Nachwuchswissenschaftler zu sein.

Antonia Weberling etwa berichtet uns, wie sie 2020 als Marie-Curie-Stipendiatin vom Lockdown getroffen wurde. Weberling absolvierte 2017 ihren Master in Biochemie an der Freien Universität Berlin und spezialisierte sich dabei auf Entwicklungsbiologie. Anschließend bewarb sie sich erfolgreich für ein Doktorandenstipendium des Image-in-Life-Konsortiums im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA). MSCA ist Teil des Programms „Horizon 2020“, mit dem die EU Forschung und Innovation fördern will.

Acht Monate verloren

MSCA-Stipendiaten wählen ein Institut innerhalb der EU, aber außerhalb ihres Heimatlandes für ihre Arbeit. Mithilfe des Stipendiums begann Weberling Ende 2018 ihre Promotion an der Universität Cambridge. „Hier arbeite ich an der frühen Embryonalentwicklung von Mensch und Maus“, erklärt sie. Der Lockdown im März 2020 unterbrach nicht einfach nur ihre Arbeit, sondern warf sie um Monate zurück. „Biologische Labore können ja nicht einfach für ein paar Wochen abgeschlossen werden, und dann macht man weiter wie zuvor“, erklärt sie. „Ich arbeite mit Mäusen – und die mussten fast alle getötet werden, weil auch die Tierhäuser geschlossen waren. Nur für die Zucht durften in sehr begrenztem Umfang Tiere versorgt werden.“

Kompliziert sei das, wenn man mit seltenen Linien arbeitet, die sonst vielleicht nur einmal auf der Welt existieren, fährt Weberling fort. „In meinem Fall konnten wir ein Zuchtmännchen halten, das zum Glück gedeckt hat. Das waren dann aber nach drei Monaten Lockdown noch mal weitere fünf Monate, bis ich weiterarbeiten konnte.“

Ein MSCA-Stipendium kann für maximal drei Jahre gewährt werden. In der biologischen Forschung sind drei Jahre bisweilen jedoch knapp bemessen, um ein Projekt zu Ende zu bringen. Das sei machbar, wenn man zuvor sehr gut plane, meint Weberling. Nur konnte niemand eine weltweite Pandemie voraussehen. Jetzt galt es, eine Lücke von acht Monaten zu füllen, in der Weberlings Promotion quasi stillstand.

Weberling erzählt, dass zunächst verständlicherweise alle überrumpelt waren von der Pandemie und dem Lockdown. Der für sie zuständige Projekt-Koordinator sei aber zuversichtlich gewesen, irgendeine Lösung zu finden – und trat dann auch an die Kommission heran, um zu hören, was man tun könne. Schließlich lief es darauf hinaus, dass Weberling und anderen Stipendiaten drei ernüchternde Vorschläge unterbreitet wurden. „Wir könnten entweder unbezahlten Urlaub für die Zeit der Unterbrechung nehmen oder auch nach Ablauf der drei Jahre unbezahlt an dem Projekt weiterarbeiten“, fasst Weberling zusammen. Die dritte Alternative wäre gewesen, das Stipendium auslaufen zu lassen, ohne das Projekt zu beenden.

„Das sind drei Optionen, die vollkommen unangemessen sind“, findet Weberling. „Wie soll man als Student oder Postdoc unbezahlten Urlaub nehmen, wenn man keine Rücklagen hat?“ Erschwerend komme hinzu, dass ein Marie-Curie-Stipendium ja eine Tätigkeit im Ausland zwingend vorschreibt. Und dort kann man nicht einfach Arbeitslosengeld bekommen, ohne vorher dort gearbeitet zu haben. „Trotzdem muss man dort seine Miete und sein Essen weiter zahlen“, fügt Weberling hinzu.

Ebenso ärgerlich findet sie den Vorschlag, ein Forschungsprojekt einfach abzubrechen. „Wir möchten am Ende auch Ergebnisse präsentieren, und außerdem sind das ja zum Teil auch medizinisch relevante Fragen. Ich forsche am Zeitpunkt der Einnistung des Embryos in den Mutterleib, und die Einnistung schlägt in dreißig Prozent der menschlichen Schwangerschaften fehl.“ Weiter erinnert Weberling daran, dass die Karrierechancen ja maßgeblich an Publikationen gemessen werden. „Dann steht man nach drei Jahren vor dem Nichts!“

Das passe überhaupt nicht in das Bild, das die EU mit den Marie-Curie-Stipendien verbreiten wolle. „Diese Stipendien gelten ja als Eliteförderung Europas. Es gibt sehr viele Auflagen, und es ist schwer, dort überhaupt reinzukommen.“ Neben EU-Abgeordneten mehrerer Mitgliedsstaaten wurde inzwischen auch der Ombudsmann der EU-Kommission eingeschaltet, um eine Kommunikation mit der EU-Kommission zu ermöglichen. Der schlägt zum Beispiel vor, eine Plattform für Betroffene einzurichten, um unbürokratisch nach Lösungen zu suchen. In einem Antwortschreiben lobt die EU-Kommission zwar die Vorschläge des Ombudsmanns, sieht sich aber in vielen Fällen auch an Satzungen und Vorgaben gebunden. Zu flexiblen Lösungen in Einzelfällen sei man aber immer bereit.

Die Kommission verweist in ihrer Antwort weiterhin auf ihre Webseite zu den Marie-Skłodowska-Curie-Actions mit diversen Guidelines sowie Fragen und Antworten zu den EU-Förderungen. Wer sich dort durch die FAQs klickt, stößt auf Phrasen wie „maximale Flexibilität“. Zum Beispiel darf man auch im Homeoffice forschen, was aber den wenigsten Lebenswissenschaftlern weiterhelfen dürfte. Ein übersichtlicher Leitfaden, was man konkret in welcher Situation tun kann, fehlt oder ist sehr gut versteckt.

Fehlt der politische Wille?

Weberling erwähnt, dass sie sehr wohl von Stipendiaten wisse, deren Forschung als „wichtig“ erachtet und verlängert wurde, weil sie für die aktuelle Coronakrise relevant sei. „Gleichzeitig bekommen wir die Rückmeldung, man könne keine Projekte verlängern, weil man alle gleich behandeln möchte – was an sich ja schon absurd ist.“ Weberling betont, dass sie und andere Betroffene von mehreren EU-Abgeordneten unterstützt werden. „Auch deren Briefe an die Kommission werden stets mit ähnlichen Floskeln beantwortet.“ Eine rechtliche Grundlage zu mehr Unterstützung gebe es nach Einschätzung dieser Abgeordneten sehr wohl. „Also fehlt wohl einfach der politische Wille, etwas zu tun“, folgert Weberling.

Eine Nachricht hatte Weberling bereits vergangenen Sommer als offenen Brief formuliert und direkt an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerichtet. „Bis heute haben wir darauf keine Antwort“, berichtet sie enttäuscht. Unverständnis zeigt sie für eine Rückmeldung der Kommission, wonach nur vier MSCA-Stipendiaten überhaupt unzufrieden seien mit den individuellen Lösungen, die man gefunden habe. Unter dem Hashtag #Iam1ofthe4 findet man hierzu auch auf Twitter Kommentare weiterer Betroffener. Weberling erwähnt zudem eine eigene informelle Umfrage unter MSCA-Stipendiaten. „Es gibt insgesamt etwa 9.500 Marie-Curie-Fellows. Aus unserem Netzwerk haben wir Rückmeldungen von 1.600 unzufriedenen Stipendiaten bekommen.“

Weberling hat sich inzwischen mit anderen Stipendiaten von EU-Förderungen zusammengetan und engagiert sich, individuelle Lösungen zu finden. Auf der Webseite rescue-horizon-europe.org setzen sie und ihre Mitstreiter sich außerdem dafür ein, dass EU-Förderungen für die Forschung nicht weiter gekürzt werden. (Mehr hierzu schreibt Antonia Weberling selbst in unserer kommenden LJ-Sommeressay-Ausgabe 7-8/2021.)

National läuft’s besser

Wer von den Forschungsförderern seines Heimatlands unterstützt wird, hat es in der Pandemie offenbar leichter, auch finanziell über die Runden zu kommen. Wir haben uns speziell im Laborjournal-Verbreitungsgebiet umgehört, welche Lösungen möglich sind. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) schreibt uns, sie habe früh auf die Pandemie reagiert und Maßnahmen zur Abfederung eingeleitet: „Die kostenneutrale Verlängerung von Projekten gehört dazu ebenso wie Ausgleichs-, Überbrückungs- und Zusatzfinanzierungen oder die Verlängerung von Ausschreibungen, Stipendien und Anstellungsverträgen von Doktorandinnen und Doktoranden. Graduiertenkollegs können die Vertragslaufzeit für ihre Promovierenden über die Regellaufzeit von 36 Monaten hinaus auf bis zu 48 Monate verlängern.“ Andere Stipendien der DFG lassen sich um weitere sechs Monate ausweiten; außerdem sei es möglich, Auslandsstipendien flexibel in ein Inlandsstipendium umzuwandeln.

Im März hat die DFG eine Verlängerung dieser unterstützenden Maßnahmen beschlossen. Die Details zu den einzelnen Programmen und Stipendien teilte die DFG in ihrer „Information für die Wissenschaft Nr. 25“ mit.

Auch in Österreich kompensiert der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) einige Pandemie-bedingte Nachteile. So können Personalkosten auch bei Projektunterbrechungen übernommen werden, sofern nachweislich die Corona-Maßnahmen der Regierung Grund der Unterbrechung sind. Auch kostenneutrale Projektverlängerungen sind möglich. „Die meisten der betroffenen Forschenden nehmen die kostenneutrale Verlängerung in Anspruch“, schreibt uns FWF-Pressesprecher Stefan Kranewitter und rät, diese kostenneutralen Verlängerungsmöglichkeiten möglichst zu nutzen. „In speziellen Einzelfällen [kann man] die jeweilige FWF-Ansprechperson für das jeweilige Förderprogramm [...] kontaktieren.“

Für den SNF in der Schweiz teilt uns Pressesprecher Christophe Giovannini mit, dass man von der Pandemie betroffene Forscher unterstützen wolle – aber auch, dass die Mittel begrenzt seien. „Wir bekommen kein zusätzliches Geld. Jede Projektverlängerung geht zulasten von möglichen neuen Projekten.“ Insgesamt seien mehr als 15 Millionen Franken in Projekte geflossen, damit die Forscher trotz der Pandemie ihre Ziele erreichen. Giovannini betont aber: „Der SNF verlangt, dass die Forschungsarbeiten so organisiert und angepasst werden, dass sie innerhalb der ursprünglichen Frist abgeschlossen werden können.“ Verlängerungen seien in gut begründeten Ausnahmefällen möglich, zum Beispiel bei Mobilitätsstipendien um bis zu zwei Monate.

Ein Blick zurück nach Deutschland zeigt, dass hier offenbar nach wie vor die Befristung von Arbeitsverträgen zum Problem für junge Forscher wird. Denn das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erlaubt sachgrundlose Befristungen über das im sonstigen Arbeitsrecht mögliche Maß hinaus, sodass hierzulande praktisch jeder Doktorand oder Postdoc mit einem Arbeitsvertrag an einer deutschen Hochschule befristet beschäftigt ist. Verlängerungen liegen dann im Ermessen des Arbeitgebers.

Arbeitgeber in der Pflicht

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert diese Befristungspraxis schon seit Jahren. Andreas Keller, Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung, berichtet über regelmäßige Meldungen von Mitgliedern in den letzten Monaten: „[Sie] beklagen, dass ihre Zeitverträge oder Stipendien nicht oder nicht ausreichend verlängert werden, obwohl sie Pandemie-bedingte Beeinträchtigungen und Verzögerungen ihrer Forschung geltend machen.“

Besonders problematisch sei es, wenn Jungforscher zusätzlich Kinder betreuen. Bei den Drittmittelgebern sieht Keller dabei allerdings kein größeres Problem. „Es ist eher die Haltung der Arbeitgeber. Diese haben häufig große Angst vor einer Entfristungsklage der Beschäftigten.“ Und das, obwohl es bis April dieses Jahres möglich war, wegen Corona Zeitverträge über die Höchstbefristungsdauer hinaus zu verlängern. „Für Neuverträge gibt es diese Pandemie-bedingte Verlängerungsoption allerdings nicht mehr“, bedauert Keller.

Wer von einem auslaufenden Zeitvertrag betroffen ist, dem empfiehlt Keller, sich als GEW-Mitglied für eine Rechtsberatung an den Landesverband zu wenden oder den Betriebs- oder Personalrat zu kontaktieren.

Bleibt noch zu sagen, dass während der Recherche zur Situation der Nachwuchsforscher allgemein der Eindruck aufkam, dass Frauen stärker negativ betroffen sind. Gerade die Professoren und andere Personen in Leitungspositionen sollten jetzt ein offenes Ohr für ihre Doktoranden und Postdocs haben, die ja idealerweise nicht im Labor leben, sondern unter Umständen auch noch eine Familie zu versorgen haben. Die Pandemie fordert weiterhin von allen kreative Lösungen.