Klepto-plastide
von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 3, 2009)
Die Mär vom „kleinen grünen Männchen“ wird mit der grünen Seeschnecke
Elysia chlorotica um ein neues Kapitel erweitert. Allerdings: Nicht nur die männlichen, auch die weiblichen Tiere ergrünen im Lauf ihres kurzen Lebens.
Ja, es gibt weibliche Schnecken: bei primär im Wasser lebenden Schnecken ist die Population ordentlich in „Männlein“ und „Weiblein“ eingeteilt, im Gegensatz zu ihren an Land lebenden Verwandten, die das Zwittertum bevorzugen.
Schnecken mit Kleptomanie
Doch was steckt hinter dem Grün? Diese Frage trieb die Forscher Mary Rumpho und ihre Kollegen von der University of Maine um. Klar war soweit, dass das Lebenskonzept von
E. chlorotica genial einfach gestrickt ist: Seine ersten Lebenswochen verbringt das Tierchen hauptsächlich mit Fressen seiner Leib- und Magenspeise, der Alge
Vaucheria litorea. Die Schnecke verdaut den Großteil des Algen-Zellkörpers, lässt aber die Chloroplasten intakt und speichert sie.
Den Energiehaushalt für den etwa zehnmonatigen Rest ihres Daseins bestreitet die Schnecke über die so erworbenen Chloroplasten, die bezeichnenderweise Kleptoplastide genannt werden. Die geklauten Organellen bleiben im Inneren der Schnecke monatelang funktionstüchtig, obwohl sie vom Zytoplasma der Alge getrennt sind. Dabei codiert die Chloroplasten-DNA nur für rund zehn Prozent jener Proteine, die das Organell zum metabolischen Funktionieren braucht. Für die restlichen neunzig Prozent greifen die Chloroplasten auf den Zellkern der Algen zurück.
Wie also können Chloroplasten in einem Tier funktionieren, das diese Proteine nicht hat? Anlass für Rumphos Team, die Schnecke unter die Lupe zu nehmen.
Man kann in diesem Zusammenhang an eine symbiotische Vereinigung Tier-Alge denken, eine oft praktizierte und Erfolg versprechende Art und Weise, der Evolution unter die Arme zu greifen. Die primäre Endosymbiose, bei der sich ein Eukaryot beispielsweise ein prokaryotisches Cyanobakterium einverleibte, brachte vor etwa zwei Milliarden Jahren die Grünalgen (Chlorophyta) hervor, aus denen sich dann vor etwa 550 Millionen Jahren mit einigen Umwegen die Landpflanzen entwickelten.
Eine Stufe komplexer läuft die sekundäre Endosymbiose ab, bei der sich ein eukaryotischer Wirt eine eukaryotische Rot- oder Grünalge mitsamt genetischen Materials unter den Nagel reißt. Bei diesem so genannten lateralen oder horizontalen Gentransfer (HGT) erfolgt eine Übertragung von Genen außerhalb der geschlechtlichen Fortpflanzung (des vertikalen Gentransfers) und über Grenzen nicht verwandter Arten hinweg, so wie hier vom Algen- zum Schneckenkern.
Als ein Ergebnis dieser molekularbiologischen Kernfusion, bei der auf zahlreiche Gene verzichtet wird, enthalten die Plastidengenome (ptDNAs) weniger als zehn Prozent der zur Aufrechterhaltung der Energiegewinnung nötigen 1.000 bis 5.000 Proteine. Der Rest der photosynthetisch wichtigen Proteine wird durch Gene, die neu im Schneckenkern als Folge des HGT integriert wurden, codiert und zum Arbeitsort Plastid geschleust.
Diese Art des HGT zwischen zwei vielzelligen Eukaryoten ist extrem selten beziehungsweise bis dato wenig dokumentiert. Die bisher am besten untersuchten Fälle schließen etwa den Transfer mitochondrialer DNA zwischen Aufsitzerpflanzen (Epiphyten) oder den Austausch von Transposons (sogenannten springenden Genen) zwischen zwei Tieren oder zwei Pflanzen ein.