Buchbesprechung

Karin Hollricher

Editorial

Joachim W. Kadereit, Christian Körner, Peter Nick, Uwe Sonnewald:
Strasburger – Lehrbuch der Pflanzenwissenschaften
Herausgeber: Springer Spektrum; 38. Aufl. 2021 Edition (17. Juni 2021)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 1188 Seiten
ISBN-10: 3662619423
ISBN-13: 978-3662619421
Preis: 66,99 Euro (E-Book), 84,99 Euro (Hardcover)

Editorial

Der „Strasburger“ erschien erstmals 1894 und firmiert seither unter dem Namen des damaligen Autors und treibender Kraft hinter dem Botanik-Lehrbuch, Eduard Strasburger. Von diesem vermutlich umfassendsten aller Botanik-Lehrbücher erschien vergangenes Jahr die 38. Auflage. Für den Inhalt sind Joachim Kadereit von der Uni Mainz, Christian Körner von der Uni Basel, Peter Nick vom Karlsruher Institut für Technologie und Uwe Sonnewald von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg verantwortlich.

Manche Kapitel – etwa Morphologie sowie Genetik – sind durchaus für Biologie-Studenten des ersten Semesters geeignet. Andere brillieren mit einem derartigen Detailreichtum, dass nur der schon Vorgebildete noch folgen kann. Doch wer ist eigentlich die Zielgruppe des Lehrwerkes? Autor Kadereit meint dazu auf Anfrage: „Ich finde, der Strasburger ist nicht für den Einstieg in die Pflanzenwissenschaften gedacht, sondern ist eher ein Nachschlagewerk.“ Kadereit schrieb unter anderem das Kapitel Systematik. „Es war sehr schwierig, die Systematik in einer Form zu beschreiben, die auch lesbar ist“, sagt er und hofft, dass es ihm gelungen ist. Zur Ordnung der Ordnungen tragen kleine Info-Kästen bei.

Wissenslücken

Das Buch kam 2021 auf den Markt, wodurch die Forschung bis inklusive des Jahres 2019 abgedeckt sein könnte. Zumindest im Kapitel Hormone ist das leider nicht der Fall, obwohl sich gerade dieses Gebiet sehr spannend entwickelt hat. Die Liste der vorgestellten Pflanzenhormone ist unvollständig, es fehlen beispielsweise Systemin und Salicylsäure. Über Brassinosteroide und Strigolactone gibt es gerade mal jeweils eine halbe Seite, obwohl in den vergangenen Jahren viele neue Erkenntnisse dazugewonnen wurden. Und auch eine Beschreibung des gerichteten Transports von Indol-3-Essigsäure über PIN-Proteine sucht man vergebens im Auxin-Kapitel. Mit Illustrationen hätten die Macher darstellen können, auf wie vielen Ebenen die Wirkung von Hormonen miteinander verflochten ist. Das Internet bietet dazu durchaus Anregungen.

Wenig übersichtlich findet die Rezensentin die Erklärungen zum Zusammenspiel von epigenetischen Prozessen, Hormonen, Transkriptionsfaktoren sowie Umwelteinflüssen, die zur Keimung und Blüte führen. Anhand der Beschreibung auf den Seiten 313 bis 314 kann man nur schwer verstehen, wie die Keimung und Blütenbildung durch Temperatur, Tageslänge, Methylierung, die antisense-RNA CoolAir und die long non-coding RNA ColdAir sowie Transkriptionsfaktoren gesteuert wird. Der Exkurs über den Flowering Locus T, der für das Blütenhormon FT (früher Florigen) codiert, gehört eigentlich an diese Stelle, man entdeckt ihn aber zufällig sechzig Seiten später. Zur Vernalisation wird auf Kapitel 13.1.3 verwiesen. Da erklären die Autoren zwar das Phänomen, aber nicht, was man über die molekularen Vorgänge bereits weiß. Es sei unklar, wie Vernalin, ein transportierbarer stofflicher Faktor, mit dem Blühhormon Florigen funktionell überlappt, steht auf Seite 427. Falsch, das weiß man.

Ein „Ungenügend“ stellt die Rezensentin dem Register aus. Es ist viel zu knapp. Beispiel gefällig? Zum wichtigen, weil pflanzenspezifischen Thema Generationswechsel gibt es genau eine Seitenzahl (in der 31. Auflage gab es zig Verweise). Auf Seite 732 ist das Phänomen an Algen beschrieben. Erst im Gespräch mit Kadereit findet sich die Seite 806, auf der die evolutionäre Entwicklung des Generationswechsels von Algen bis zu Samenpflanzen dargestellt ist. Tipp: die digitale Version (zumindest auch) kaufen und die Textsuche verwenden. Es gibt zudem kein Glossar. Das ist ein echtes Manko, denn die Autoren sparen in ihren Texten nicht mit Fremdworten und Begriffen, die sie zuvor an keiner Stelle erklärt haben. Ohne Glossar muss der Leser Google und Wikipedia zu Rate ziehen.

Mehr Sorgfalt

In einer Festschrift von 1994 zum 100-jährigen Bestehen des Strasburgers steht über die erste Auflage folgendes Original-Zitat: „[…] und je mehr die Forschung sich specialisirt, je schwieriger der Einzelne die Litteratur, wegen der zunehmenden Anzahl von Zeitschriften und der Weitläufigkeit vieler Artikel, erschöpfend beherrschen kann, um so mehr ist es Bedürfniss, dass derartige Zusammenstellungen von Zeit zu Zeit veröffentlicht werden.“ Auch heute ist ein solches Lehrwerk wichtig – aber man muss es mit mehr Sorgfalt schreiben und lektorieren. Die alten Zeichnungen zur Morphologie und Systematik sind in ihrem Detailreichtum grandios, besser als viele Fotografien. Doch müsste der Verlag mal Geld investieren in neue gute Illustrationen, die dem Leser Übersicht verschaffen in der wunderbaren, aber eben auch komplexen grünen Welt.



Letzte Änderungen: 08.03.2021