Warten auf den
Silberstreif am Horizont
(02.05.2022) In der Schweiz tut sich was in Sachen Gentechnikgesetz. Das bestehende Moratorium wurde zwar verlängert, es gibt aber Hoffnung auf Erleichterung.
Rückwirkend zum 1. Januar 2022 trat eine Änderung des Schweizer Gentechnikgesetzes in Kraft, wonach das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen weiterhin bis zum 31. Dezember 2025 verboten bleibt. Bis spätestens Mitte 2024 soll der Schweizer Bundesrat der Bundesversammlung jedoch einen Erlassentwurf für eine risikobasierte Zulassungsregelung unterbreiten. Wir sprachen darüber mit Jan Lucht, Leiter Biotechnologie bei Scienceindustries, dem Schweizer Wirtschaftsverband, dem über 250 in der Schweiz tätige Unternehmen angehören. Auch Roland Peter, verantwortlich für den Forschungsbereich Pflanzenzüchtung bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für die Forschung in der Land- und Ernährungswirtschaft der Schweiz, gab uns Auskunft.
Was bedeutet die Änderung des Gentechnikgesetzes für die Pflanzenforschung und Pflanzenzüchtung in der Schweiz?
Jan Lucht: In Vorfeld der Beratung zur Moratoriums-Verlängerung hat die Schweizer Regierung mitgeteilt, dass sie alle Produkte neuer Züchtungsverfahren, auch diejenigen ohne artfremde DNA, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einstuft. Damit wird der bisher auf herkömmliche transgene Pflanzen beschränkte Geltungsbereich des Gentechnik-Moratoriums deutlich erweitert. Die Verwendung von Genom-Editierung oder von chemischer Aktivierung natürlicherweise vorhandener Transposons zur Entwicklung von Nutzpflanzen (sog. TEgenesis) wird damit vorerst blockiert.
Roland Peter: Mit unseren Züchtungsaktivitäten versuchen wir, für die Schweizer Landwirtschaft passende Sorten zu entwickeln. Wir betreiben auch eine sogenannte Protected Site, wo wir mit Genehmigung der Behörden und unter strengen Auflagen mit GVO im Freiland forschen können. Die Weiterführung des Moratoriums bis 2025 bedeutet, dass jede neue gentechnische Methode unter das Gentechnikgesetz fällt und wir die entsprechenden Pflanzen nur unter hohen Biosicherheitsauflagen im Rahmen der Grundlagenforschung testen können. Ein Inverkehrbringen ist nicht möglich. Immerhin gibt es im Unterschied zu den bisherigen Diskussionen nun einen Auftrag an den Bundesrat, konkrete Vorschläge zu erarbeiten.
Lucht: Die aktuelle Änderung des Gentechnikgesetzes sieht die Ausarbeitung eines Regulierungsentwurfs für die Zulassung von Pflanzen ohne transgenes Erbmaterial bis Mitte 2024 vor. Es ist noch unklar, ob die bis dahin vorgeschlagene Regelung Erleichterungen für den praktischen Einsatz Genom-editierter oder durch TEgenesis veränderter Pflanzen in der Schweiz bedeuten wird, auch wenn das die Hoffnung von Forschern, Züchtern, landwirtschaftlichen Organisationen und Handel ist.
Sind Sie mit der neuen Regelung zufrieden?
Peter: Da das Moratorium mindestens bis 2025 fortbesteht, hat die Schweiz nach wie vor eine starke Einschränkung. Für Forschende, die Freilandversuche mit Pflanzen durchführen möchten, die mit neuen gentechnischen Methoden hergestellt wurden, ist die Schweiz weiterhin kein attraktiver Standort.
Lucht: Für tatsächliche Zufriedenheit ist es noch zu früh. Immerhin wird nach jahrelangem Stillstand jetzt wieder über moderne Pflanzenzüchtung und den gesellschaftlichen Umgang damit diskutiert. Es ist wichtig, dass die Ausarbeitung der neuen Regelungen eng durch die betroffenen Stakeholder begleitet wird, um deren Praxistauglichkeit sicherzustellen.
Macht es Ihrer Ansicht nach Sinn, die Sicherheit von Pflanzen anhand der verwendeten Methode zur Erzeugung von genetischen Veränderungen zu beurteilen?
Lucht: Nein. Mögliche Risiken von neu entwickelten Pflanzen hängen mit deren Eigenschaften zusammen, nicht mit der bei der Züchtung eingesetzten Technologie. Insofern sehe ich keine grundsätzlichen Risiken von Produkten neuer genetischer Verfahren, sondern die Notwendigkeit einer Fall-zu-Fall-Beurteilung anhand der Pflanzen.
Peter: Wir bei Agroscope sehen das ähnlich. Auch bei herkömmlich gezüchteten Pflanzen müssen ja Sicherheit und Nutzen nachgewiesen werden. Wir sollten bei den mit neuen gentechnischen Methoden erzeugten Pflanzen ebenfalls primär die Sicherheit des finalen Produktes gewährleisten als auf die verwendete Methode zur Erzeugung zu schauen.
Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf beim Gentechnikgesetz?
Lucht: Das Schweizer Gentechnikrecht geht, wie auch das der EU, auf gesetzliche Grundlagen aus den 1990er-Jahren zurück. Wesentliche Inhalte wie die GVO-Definition wurden seither nicht mehr an den wissenschaftlichen Fortschritt angepasst. Sie sind nicht mehr tauglich, um die komplexe heutige Situation mit einer Vielzahl neuer Methoden angemessen zu regulieren. Das Gentechnikgesetz baut stark auf dem Vorsorge-Gedanken auf, und auf einer möglichst strengen Regulierung für eine Technologie, über die damals erst wenig bekannt war. Die jahrzehntelangen Erfahrungen, die inzwischen mit „klassischen“ GVO gesammelt wurden, müssten eigentlich gemäß Vorsorgeprinzip zu einer Neubewertung und Lockerung der gesetzlichen Auflagen führen. Hier wäre eine Überarbeitung gemäß dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis für alle Anwendungsbereiche der Gentechnik, auch außerhalb der Pflanzenzüchtung, eigentlich angebracht. Eine Bereitschaft dazu zeichnet sich bisher jedoch noch nicht ab.
Wie sieht die Situation beim geplanten Erlassentwurf für eine risikobasierte Zulassungsregelung aus?
Lucht: In welchem gesetzlichen Rahmen neue Züchtungsverfahren ohne transgenes Erbmaterial reguliert werden sollen, ist noch offen. Dies könnte auch außerhalb des Gentechnikgesetzes mit seinen strengen Auflagen erfolgen. Das Parlament hat sich diese Möglichkeit offen gehalten. Damit könnte eine unterschiedliche Regulierung identischer Produkte nur aufgrund des Züchtungsverfahrens – das heißt bei zufälliger Mutagenese keine Auflagen, bei Genom-Editierung strenge Regulierung der Produkte als GVO – vermieden werden. Auch die Rechtsunsicherheit bei Importen aus dem Ausland, bei denen der Nachweis des Einsatzes der Genom-Editierung ohne Vorwissen zu den eingebrachten Veränderungen nicht möglich ist, könnte so gelöst werden.
Welche Rahmenbedingungen brauchen Pflanzenforschung und Pflanzenzüchtung in der Schweiz, um zukunftsfähig und international konkurrenzfähig zu bleiben?
Lucht: Um die Herausforderungen der Zukunft im Bereich einer nachhaltigen Landwirtschaft anzugehen, sind verbesserte Pflanzensorten eine wichtige Grundlage. Für ihre Entwicklung sollte den Züchtern ein voller Werkzeugkasten zur Verfügung stehen, um die gewünschten Züchtungsziele möglichst schnell und effizient zu erreichen. Dazu gehören neben anderen modernen Züchtungsansätzen auch Verfahren der Genom-Editierung und der gezielten Mutagenese. Eine möglichst rasche Klärung des rechtlichen Status der neuen Züchtungsverfahren und innovationsfreundliche Bestimmungen wären wichtig, um den Einsatz der neuen Verfahren auch in der Schweiz zu ermöglichen.
Peter: In der aktuellen Debatte wird in der Schweiz eine rote Linie bei den transgenen Pflanzen gezogen, egal ob die verwendeten Transgene noch im Endprodukt enthalten sind oder herausgekreuzt wurden. Das ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Enthält das Endprodukt keine transgene DNA, sollte es auch so klassifiziert werden. Das würde den Züchtern zumindest einige Werkzeuge zugänglich machen.
Welche Rolle haben EU-Vorgaben für die Schweiz?
Lucht: Die Schweiz ist durch Handelsbeziehungen eng mit der EU verbunden. Insofern ist es wichtig, durch die gemeinsamen Bestimmungen Handelshemmnisse zu vermeiden. Die Schweiz wird bei der Ausarbeitung der eigenen Bestimmungen daher auch die laufenden Arbeiten in der EU zur Regulierung Genom-editierter Pflanzen berücksichtigen.
Das Interview führte Bettina Dupont
Bild: Pixabay/jplenio
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