Wenn Fortuna über Fördergeld entscheidet
(09.02.2021) Vor vier Jahren führte die VolkswagenStiftung ein Zufallselement in ihre Förderinitiative „Experiment!“ ein. Welche Erfahrungen gibt es inzwischen?
Die VolkswagenStiftung mit ihrer Förderinitiative „Experiment!“ sieht sich deutschlandweit als Vorreiter in der Unterstützung riskanter Forschungsideen. „Experiment!“ wurde bereits Ende 2012 eingeführt, um Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, „ausgesprochen gewagte Forschungsideen zu explorieren, die etabliertes Wissen grundlegend herausfordern, unkonventionelle Hypothesen, Methodik oder Technologien etablieren wollen oder ganz neue Forschungsrichtungen in den Blick nehmen“. Im Fokus von „Experiment!“ stehen Projektideen aus den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften – sowie den Verhaltenswissenschaften, sofern sie Methoden der drei zuvor genannten Disziplinen anwenden.
„Experiment!“ ist promovierten Forschern vorbehalten und versteht sich als Anschubfinanzierung zur ersten Prüfung der Umsetzbarkeit einer Idee. Gefördert wird mit maximal 120.000 Euro, die flexibel für Personal-, Sach- und Reisemittel über bis zu 18 Monate eingesetzt werden können. Die Förderung eines Folgeprojekts durch die Stiftung ist prinzipiell möglich, wurde aber laut Stiftungsdatenbank bisher nur sehr selten realisiert.
Ab in den Lostopf
Bereits mit der Etablierung von „Experiment!“ 2012 wurde auf das Einholen individueller Fachgutachten verzichtet. Ein mit bis zu zehn Wissenschaftlern besetztes internationales Gutachtergremium entscheidet im Rahmen einer Jurysitzung über die Förderung.
Seit 2017 wird bei der Auswahl der Anträge ein sogenanntes teil-randomisiertes Verfahren durchgeführt. Dabei werden stiftungsintern zunächst zwischen 120 und 140 Anträge auf Basis der Förderkriterien von „Experiment!“ ausgewählt. Daraus wählt die Jury 80 bis 100 förderwürdige Anträge nach streng wissenschaftlichen Kriterien aus, bevor sie sich anschließend auf die 15 bis 20 Anträge einigt, die direkt gefördert werden. Alle 80 bis 100 förderwürdigen Anträge wandern dann in einen Lostopf, aus dem nochmals so viele Anträge gezogen werden, wie die Jury bereits zuvor direkt ausgewählt hat. Der Antragsteller erfährt dabei nicht, ob sein Antrag aufgrund des Losglücks oder seiner überzeugenden Qualität erfolgreich war.
„Experiment!“ aus Sicht der Geförderten
Doch wie beurteilen Antragsteller die Initiative „Experiment!“ der VolkswagenStiftung? Der Großteil der Geförderten sparte einer Begleitstudie zufolge nicht mit Lob und nannte positive Effekte der Förderung auf die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses, auf die Anschlussfähigkeit der im Projekt geleisteten Vorarbeiten für weitergehende Projektanträge oder auf ihre Motivation, zukünftig mehr Forschungskooperationen mit interdisziplinärem Charakter zu verfolgen. Durchwegs positiv beurteilten die Geförderten auch das Antrags- und Auswahlverfahren. Hier wurde gerade der geringe Aufwand für den Antrag genannt. Für das Ziel, insbesondere risikobehaftete Forschung zu fördern, war jedoch etwas überraschend, dass nach Eigenauskunft in einem Drittel aller geförderten Projekte die im Antrag beschriebenen Ziele vollumfänglich erreicht wurden.
Wie die Autorinnen der Studie selber eingestehen, ist die Datengrundlage auch wegen noch geringer Fallzahlen recht dünn, um weiterreichende Aussagen zu „Experiment!“ treffen zu können. Wie nicht-geförderte Antragsteller zu „Experiment!“ stehen, war leider nicht Gegenstand der Begleitforschung.
Losverfahren und Peer Review im Vergleich
Die „Experiment!“-geförderten Forscher schätzen am Losverfahren insbesondere die Förderung individueller Chancengleichheit (92 Prozent), die Ermutigung zum Schreiben von Anträgen mit riskanten Forschungsideen (84 Prozent) oder die Eröffnung neuer Chancen zur Durchführung von Projekten, die solche Ideen umsetzen (80 Prozent). Zudem sahen die Befragten durch das Losverfahren eine Vermeidung von Interessenskonflikten und unbewusstem Bias (88 Prozent) sowie zusätzliche Chancen für Fächer, die durch die in der Jury vorhandene Expertise weniger abgedeckt sind (84 Prozent). Rund die Hälfte der Befragten sah es als kritisch an, dass durch das Los auch Vorhaben mit geringerer Qualität gefördert werden und dass der Reputationsgewinn für eine erfolgreiche Einwerbung im Vergleich zu Verfahren mit klassischem Peer Review geringer ausfallen könnte.
Im Vergleich dazu lobten die Geförderten das altbekannte Peer-Review-Verfahren für die Durchsetzung von Fachstandards (80 Prozent) oder die Legitimation des Forschungsvorhabens gegenüber Fachkollegen (80 Prozent). Negativ wurden hier im Allgemeinen die Überlastung des Gutachtersystems (80 Prozent), die Tendenz zu einer eher konservativ geprägten Auswahl (76 Prozent), möglicher Gutachterbias bei der Auswahl (70 Prozent) und mangelnde Übereinstimmung der Gutachter (52 Prozent) bewertet.
Zusammenfassend betonten die Autoren den hohen Bedarf für riskante Forschung im Wissenschaftssystem und die große Aufgeschlossenheit der Wissenschaftler gegenüber alternativen Auswahlverfahren wie durch das Los.
Wenn Sie Ihre Meinung zu Peer Review und Losverfahren bei der VolkswagenStiftung loswerden wollen, können Sie diese unter dem Hashtag #PeerReviewLottery auch twittern. Ein Wermutstropfen: Im Dezember 2020 war „Experiment!“ nur noch unter den beendeten Förderinitiativen der VolkswagenStiftung aufgeführt.
Ralf Schreck
Bild: VolkswagenStiftung
Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in Laborjournal 1-2/2021.