Wissenschaft macht Schule
(22.06.2020) Ethanol aus Gülle, anschnallbare Korksohlen für Flip-Flops und ein Kaugummilösesystem – Schul-AGs wecken das kreative Potenzial der Jugend.
Überall in Deutschland wird momentan geforscht, gewerkelt und nach Lösungen für die vielfältigen Probleme gesucht, die die Coronavirus-Krise schafft – und das nicht nur an Universitäten und in Biotech-Laboren.
Ein gutes Beispiel für das kreative Potenzial der Jugend ist die Schülerfirma Nitrotoxy der kooperativen Dietrich-Bonhoeffer-Gesamtschule im mittelhessischen Lich bei Gießen. Eigentlich beschäftigen sich die Schüler der 9. und 10. Jahrgangsstufe mit der Produktion von Alkohol aus Gülle mit Hilfe von Cyanobakterien – ein Projekt, das ihnen bereits den MINT-Sonderpreis des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln in Kooperation mit dem hessischen Kultusministerium eingebracht hat.
Im Vordergrund steht dabei der Gedanke des Umweltschutzes. Denn um Ethanol und Biogas als erneuerbare Energieträger zu erzeugen, werden normalerweise Nutzpflanzen wie Raps und Mais angebaut, die damit in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen. Die Schüler nutzen stattdessen Gemüse-Abfälle aus dem Supermarkt, die sie den Bakterien als Substrat anbieten. Der produzierte Alkohol wird dann benutzt, um einen Stirling-Motor anzutreiben und regenerativen Strom zu erzeugen. „An unserer Schule läuft bereits eine funktionierende Anlage“, so die Schülerunternehmer. „Zwei Anlagen wurden andernorts bestellt, eine von einer Firma aus Neubrandenburg und eine sogar von indianischen Kaffeebauern in Südamerika.“
Plötzlich systemrelevant
Auf ein Coronavirus-relevantes Thema sind die Schüler aus der Not heraus umgeschwenkt. An der Schule wurde das Handdesinfektionsmittel knapp und zudem immer teurer. „Ein Schüler machte den Vorschlag, das Mittel selbst herzustellen“, erinnert sich Bernhard Krenig, betreuender Lehrer der Schülerfirma und Diplom-Chemiker. „Von meiner früheren Tätigkeit in der Industrie wusste ich, dass Handdesinfektionsmittel unter die Biozidverordnung fällt.“
Die Schüler haben sich daraufhin an die zuständige Bundesanstalt gewandt und tatsächlich die Zulassung bekommen, ein Handdesinfektionsmittel nach den Vorgaben des Robert Koch-Instituts herzustellen. „Damit sind wir europaweit die einzige Schule“, freut sich Krenig. Bei allen erforderlichen Schritten wurde das Projekt von Schulleiter Peter Blasini unterstützt. Ebenfalls unentbehrlich war das Laborinstitut Spieker, das bei der Beschaffung der krisenbedingt knappen Rohstoffe half. Laut Krenig sei der Markt wie leergefegt gewesen. „Aus seinen Lagerbeständen hat uns Spieker mit Alkohol und für unsere Nutzung zugelassenen Flaschen versorgt.“
Außerdem überließ Spieker den Jungunternehmern den Markennamen Uru Uru. „Selbst einen Namen registrieren zu lassen, dauert und ist teuer“, erklärt Krenig. „Da war es ein Glücksfall, dass uns Spieker den Namen kostenlos auslizensiert hat.“ Bis zur Schulschließung haben die Schüler fleißig produziert. Anschließend machte Krenig mit Hilfe seiner 13-jährigen Tochter weiter, bis die Schule wieder geöffnet wurde. „An einem Tag schaffen wir 50-100 Flaschen“, so der Lehrer.
Über die Schule hinaus
Längst kommt Uru Uru nicht mehr nur in der eigenen Schule zum Einsatz. So hat Nitrotoxy viele Ämter im Landkreis beliefert, vor allem solche wie das Jugend- oder Veterinäramt, deren Mitarbeiter Außentermine haben. „Überall dort, wo man sich nicht mit Seife die Hände waschen kann, ist unser Handdesinfektionsmittel im Einsatz“, sagt Krenig.
Den Alkohol aus ihrer eigenen Produktionsanlage konnten die Schüler übrigens noch nicht nutzen. „Dafür muss dieser zertifiziert sein, und das hätte zu lange gedauert“, bedauert Krenig, stellt aber gleichzeitig fest, dass dies für die Zukunft durchaus geplant ist. Überhaupt vermutet der Lehrer, dass die Erfolgsgeschichte von Uru Uru so schnell nicht abreißt. „Durch die Lockerungen wird der Bedarf an Handdesinfektionsmitteln noch überall steigen. So haben beispielsweise die Dekanate bei uns bestellt, als die Kirchen wieder öffnen durften. Zumal wir sehr kostengünstig produzieren.“
Die Schüler sind zurecht stolz auf ihren Erfolg: „Wir haben uns für das Projekt entschieden, weil Not am Mann war und dieses systemrelevante Produkt auf dem freien Markt kaum mehr zu bekommen war. Wir konnten dem Kreis Gießen und vielen seiner Behörden helfen und natürlich auch unserer Schule.“
Auch andere Schülerfirmen stellten sich auf die Krise ein, etwa indem sie Masken nähen. Dazu gehören die Schüler von BeeUnique der Johannes-Brahms-Schule in Pinneberg in Schleswig-Holstein, die eigentlich Bienenwachstücher und -taschen herstellen sowie von Einbeuteln der Maria-Ward-Schule im bayerischen Aschaffenburg, die sonst Jutebeutel und Brottüten aus Stoffresten und Altkleidern nähen. Wie bei Nitrotoxy steht dabei der Recyclinggedanke im Vordergrund.
Etwas mehr apparativen Aufwand betreibt 3DInventions vom Gymnasium Engen (Baden-Württemberg): Hier dient ein 3D-Drucker dazu, nicht CE-zertifizierte Gesichtsmasken für den medizinischen Gebrauch und für Menschen aus Risikogruppen und systemrelevanten Einrichtungen herzustellen. Die Nachfrage war so groß, dass sich die Jungunternehmer sogar einen externen Kooperationspartner suchen mussten.
Problemlöser gesucht
Neben dem Nachhaltigkeitsgedanken verbindet noch ein anderes Element die Ideen vieler Schüler-AGs: Sie möchten ein konkretes Problem im eigenen Umfeld lösen, sei es der nicht gedeckte Bedarf an Gesichtsmasken, das ausgehende Desinfektionsmittel oder aber die störenden Kaugummireste auf dem Schulteppichboden.
Letzteres beschäftigte die Schüler der „Jugend forscht“-AG des Gymnasiums Puchheim westlich von München. In der vor vier Jahren von Biologie- und Chemielehrer Daniel Beintner gegründeten AG arbeiten zurzeit acht Schüler aus den Jahrgangsstufen 7 bis 9 relativ selbstständig an den unterschiedlichsten Fragestellungen. „Ich selbst agiere häufig nur noch als Moderator und Beschaffer für bestimmte Chemikalien oder Laborgeräte“, so der Lehrer.
Das Kaugummi-Projekt war das erste große Projekt der AG. „Eine Aufgabe von Wissenschaft ist es, Probleme zu lösen“, erklärt Beintner. Die Schüler beobachteten, dass die Putzkräfte oft lange damit beschäftigt waren, Kaugummis – in der Schule eigentlich verboten – mühsam aus dem Boden zu kratzen. Also haben die damals drei Schüler aus Klasse 5 und 7 losgelegt und zunächst eine Kaugummi-Rennstrecke mit einem Stück losen Teppichboden aufgebaut, um genug Testobjekte zu erstellen. Anschließend wurde der eingetretene Kaugummi mechanisch und chemisch bearbeitet, wie sich Beintner erinnert: „Nach einiger Zeit und viel ‚Versuch und Irrtum‘ hat sich eine Lösung herauskristallisiert: Die Schüler sprühen etwas Waschbenzin auf den Kaugummi und stellen anschließend für einige Minuten einen warmen Kochtopf darauf. Danach lässt sich der Kaugummi problemlos mit einem Schwamm aus dem Teppich wischen.“ Perfekt ist das Verfahren jedoch noch nicht, so dass die Schüler weiter daran arbeiten. „Projekte können sich manchmal über mehrere Schuljahre ziehen“, resümiert Beintner.
Auch hier haben viele der Ideen, die die Schüler jedes Jahr entwickeln, Umweltschutz und Recycling als Grundgedanken. So führte die Entdeckung, wie stark der Abrieb von Flip-Flops im Vergleich zu anderen Schuhen mit Kunststoffsohlen ist, zur Entwicklung einer anschnallbaren Korksohle für Flip-Flops. „Dadurch wird der Kork abgerieben und nicht mehr der Kunststoff. Ich war und bin total begeistert von der Kreativität und der Motivation meiner Schüler!“, schwärmt Beintner. Hoffen wir, dass die Begeisterungsfähigkeit der Schüler auch Durststrecken überstehen kann. Es gibt genug Probleme in unserer Welt, die auf eine Lösung warten!
Larissa Tetsch
Foto: B. Krenig