Cannabinoide aus dem Reagenzglas
(02.10.2019) Die Produktion oder Isolation von Cannabinoiden ist aufwendig und teuer. Da kommt ein zellfreies enzymatisches Synthese-System wie gerufen.
Prenylierung ist eine kovalente Modifikation, die in Proteinen (am Cystein-Rest, zur Membran-Verankerung) aber auch anderen Zellsubstraten auftritt. Ein Terpenrest, der ursprünglich in Form einer Pyrophosphat-Verbindung vorliegt, wird auf das Zielsubstrat übertragen. Prenyltransferasen setzen so zum Beispiel Flavonoide und Geranylpyrophosphat zu Geranyl-Flavonoiden und Pyrophosphat um. Viele natürlich vorkommenden Prenylverbindungen sind potenziell „bioaktive Moleküle“ mit medizinischer Wirkung. Ihre heißesten Vertreter sind Cannabinoide.
Vor gut zwei Jahren wurde in Deutschland die Verwendung von Cannabis(extrakten) legalisiert – wenn auch vorerst nur nach ärztlicher Verschreibung. Logische Folge: Der Bedarf wächst, und er wird mit importiertem „Gras“ kaum mehr zu decken sein. Anwendungsorientierte Forscher und Firmen synthetisieren Cannabinoide mithilfe genetisch manipulierter Algen oder Mikroorganismen. Prinzipiell funktioniert das. Die lebenden Fabriken produzieren neben den gewünschten Substanzen aber noch viele andere. Die Spreu vom Weizen, beziehungsweise die Cannabinoide von unerwünschten Produkten zu trennen, ist aufwendig. Hinzu kommt, dass die Cannabinoid-Vorstufe Geranylpyrophosphat (GPP) ab einer bestimmten Dosis toxisch wirkt und hierdurch die Ausbeute limitiert ist.
Lieber synthetisch und zellfrei
Statt sich mit schlecht funktionierenden Expressions-Systemen abzumühen, setzen Forscher der University of California, Los Angeles, und der University of Washington um den kalifornischen Biochemiker James Bowie bei der Produktion prenylierter Naturstoffe auf synthetische Biochemie und ein zellfreies Produktionssystem.
Das Team fand einen originellen Weg, mit billigem Traubenzucker an die kritische und teure Vorstufe Geranylpyrophosphat, zu gelangen, indem es Stoffwechselwege künstlich zusammenbaute und veränderte. Die hierfür verwendeten Zutaten sind bodenständig: Stabile thermophile Enzyme, klassisch produziert im E. coli-Stamm BL21, mit pET28 als Expressionsvektor; IPTG zur Induktion; und Nickel-Säulchen zur Aufreinigung der His-getaggten Proteine.
Der Prozess umfasst drei Module und ein Dutzend Enzyme. Ausgehend von Glucose spielt das erste Modul quasi die Glycolyse nach und erzeugt über neun enzymatische Umwandlungen Pyruvat sowie ATP und NADPH. Pyruvat wird dann mittels Pyruvatdehydrogenase (PDH) zu AcetylCoA umgesetzt und liefert so den Ausgangsstoff für Enzyme des Mevalonatwegs. Unter Verbrauch von NADPH und ATP entsteht sukzessive Dimethylallylpyrophosphat (DMAPP) und GPP. Hat man diese aktivierten Prenylverbindungen erst einmal in der Hand, ist es bis zum fertigen Wunschprodukt nicht mehr weit. Nach Zugabe der zu prenylierenden Verbindung vollziehen die wenig selektiven aromatischen Prenyltransferasen (aPT) den Transfer zum fertigen Prenyl- sowie Geranyl-Flavonoid oder Prenyl (geranyl)-Stilben.
Mutiertes Super-Enzym
Für die Prenylierung der Cannabinoid-Vorstufen Olivetolsäure (OA) und Divarinsäure zu Cannabigerolsäure (CBGA) sowie Cannabigerovarinsäure (CBGVA) ist die Prenyltransferase NphB zuständig, die jedoch ziemlich unspezifisch und langsam ist. Um sie etwas auf Vordermann zu bringen, nahm das Forscherteam die Bindung von Nphb an Olivetolsäure als Ausgangspunkt für die Suche nach Varianten mit erhöhter Aktivität. Mithilfe des Strukturvorhersage-Programms „Rosetta“ stieß die Gruppe auf Mutationen an zwei Aminosäure-Positionen, die zu einer tausendfachen Erhöhung der Enzymaktivität in der exprimierten dNphB-Variante führten. Das Super-Enzym ist im Wässrigen löslich und somit für zellfreie Systeme wesentlich besser geeignet als das natürliche Pendant aus Cannabis (membranständige Prenyltransferase).
Mit ein paar zusätzliche Optimierungen steigerte die Gruppe die CBGA-Ausbeute weiter:
- Die Entstehung und der Verbrauch von Reduktionsäquivalenten (NADPH) und ATP wurden so an angepasst, dass das System über mehrere Tage autonom arbeitet (Nat Commun. 5:4113; Nat Chem Biol, 13:938-42).
- Weil das zur AcCoA nötige Enzym PDH mitunter empfindlich auf Prenylierungs-Substrate reagiert und die Forscher eine generell funktionierende Prenylierungs-Strategie schaffen wollten, legten sie einen Bypass. Der konventionelle Weg von Pyruvat zu AcetylCoA mittels PDH wird abgelöst durch ein Enzym-Duo aus Pyruvatoxidase und Acetyl-Phosphat-Transferase. Nützlicher Nebeneffekt: die beiden sind wesentlich kleiner als PDH und dementsprechend einfacher rekombinant herzustellen.
- So hochaktiv die optimierte dNphB auch ist, in puncto Kondition kann sie mit dem Wildtyp-Enzym nicht mithalten. Nach 24 Stunden ging ihr die Luft aus. Produktionsstillstand. Mehr als 500 mg/l CBGA brachte sie nicht zustande. Ein Blick auf das getrübte Reaktionsgemisch lieferte die Antwort. Offenbar flockt die Prenyltransferase ab einer bestimmten CBGA-Konzentration aus. Auch für dieses Problem fand das Team eine pfiffige Lösung: Es überschichtete das Reaktionsgemisch mit einer Nonan-Lösung.
Fischen mit Pumpe
Leider verbleibt CBGA viel lieber im wässrigen Milieu und wandert nur spurenweise in die organische Phase. Dennoch lässt es sich „herausfischen“, und zwar mithilfe einer Peristaltikpumpe und einem separaten Auffanggefäß. Letzteres enthält eine Tris-Lösung („CBGA capture“: 50 mM Tris pH 8,5), ebenfalls überlagert mit einer Nonan-Lösung. Reaktions- und Auffanggefäß sowie die Pumpe schaltet man in einem Kreis. Die Pumpe zirkuliert die Nonan-Phasen zwischen beiden Gefäßen. Sie saugt kontinuierlich die Nonan-Phase aus dem Auffanggefäß ab und tropft sie ins Reaktionsgefäß. Von dort wird sie, zusammen mit kleinen darin enthaltenen Mengen CBGA, in die wässrige Phase des Auffanggefäßes geleitet. Während sich organische und wässrige Phase wieder trennen, bleiben die mitgeschleppten CBGA-Moleküle in der wässrigen Phase hängen. Der Trick mit Pumpe und Überschichtung könnte für so manch anderes Molekül mit gespaltener Lipophilie-Persönlichkeit nützlich sein.
Um schließlich das heißbegehrte Endprodukt Cannabidiolsäure (CBDA) zu erhalten, gibt man die CBGA-haltige Nonan-Phase auf ein wässriges Reaktionsgemisch mit Cannabidiolsäure-Synthase. Natürliche Cannabisfreunde wissen aber: die Carboxylierungsreaktion lässt sich auch einfach durch Erhitzung bewerkstelligen.
Alle Optimierungen zusammengenommen konnten Bowies Mitarbeiter die CBGA-Produktion verglichen mit der Ausgangssituation um den Faktor 140 herauffahren. Ob der letztendlich erreichte Titer von 1,25 g/l schon gut genug ist für den kommerziellen Einstieg und ob das Ganze auch im größeren Maßstab funktioniert, muss sich zeigen.
Andrea Pitzschke
Valliere M. et al. (2019): A cell-free platform for the prenylation of natural products and application to cannabinoid production. Nature Communications, 10:565