Tipp 251: Künstliches Zell-Chassis

Editorial

(11.10.2023) Synthetische Zellen sollen dem natürlichen Vorbild möglichst nahe kommen und wie das Original Kompartimente enthalten. Mit Proteinosomen aus Protein-Polymer-Konjugaten lassen sich Kompartimente besonders einfach herstellen.

Künstliche Zellen beschränken sich auf das absolut Wesentliche, sollen dem Original in Sachen Funktionalität aber in nichts nachstehen. Ihre Bausteine sind natürlich oder von der Natur inspiriert, um Enzymen und anderen Akteuren eine möglichst authentische Umgebung zu bieten, die ihre Funktion nicht beeinträchtigt. Auch die biologische Abbaubarkeit ist ein wichtiges Kriterium für synthetische Zellen – vor allem wenn sie in der Medizin oder Biotechnologie eingesetzt werden sollen. Von der Zellhülle einmal abgesehen, benötigen künstliche Zellen auch einzelne Kompartimente, in denen geeignete Reaktionsbedingungen, etwa für Enzyme, vorherrschen. Analog zu Kompartimenten in natürlichen Zellen, die mit dem Cytosol im Dialog stehen, sollte auch bei künstlichen Kompartimenten ein ständiger Austausch mit der umgebenden Flüssigkeit möglich sein.

Forschende entwickelten verschiedene Systeme, mit denen sich künstliche Kompartimente herstellen lassen. Zu diesen gehören sogenannte Wasser-in-Öl-Syteme, bei denen winzige Wassertropfen in Öl als Kompartimente dienen, oder Wasser-in-Wasser-Systeme mit wäßrigen, von Lipid- oder Polymermembranen umschlossenen Kompartimenten. Lipid- oder Polymermembranen sind aber nicht durchlässig für externe Substrate und müssen mit viel Aufwand mit entsprechenden Membranporen versehen werden. Besser geeignet für den Austausch mit dem umgebenden Milieu sind Proteinosom-Kompartimente. Ihre Membranen werden aus Protein-Polymer-Konjugaten hergestellt, die für Enzyme oder DNA-Moleküle durchlässig sind.

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Stephen Manns Gruppe arbeitete an der Bristol University ein Protokoll für die Synthese von Proteinosomen aus, das auf der Konjugation von kationisiertem Rinderserumalbumin (BSA) mit dem aktivierten Polymer Poly-N-Isopropylacrylamid (PNIPAAm) basiert (siehe oberes Schaubild). Manns ehemalige Postdoc Dora Tang verzichtet mit ihrer Gruppe am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden auf die Kationisierung von BSA. Ihr Team stellt mit nativem BSA (nat-BSA) Proteinosomen her, die ein zellfreies Expressionssystem unterstützen. Illustr.: AG Mann, AG Tang (Größere Darstellung)

Editorial

Dora Tangs Gruppe am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden hatte sich ursprünglich das Ziel gesetzt, ein zellfreies Transkriptions-Translations-System mit Wasser-in-Wasser-Proteinosomen zu entwerfen. Dazu orientierte sie sich an einem Protokoll, das Stephen Manns Team an der Universität Bristol entwickelt hatte, um Wasser-in-Öl-Proteinosomen aus Konjugaten von Rinderserumalbumin (BSA) mit dem Polymer Poly-N-Isopropylacrylamid (PNIPAAm) herzustellen (Chem. Commun. 50 (47): 6278-80).

Das ursprüngliche Protokoll von Mann sieht vor, BSA zu kationisieren, beziehungsweise die Aspartat- und Glutamatreste via Carbodiimid-Reaktion mit Amingruppen auszustatten. Die Amingruppen dienen sowohl als Verknüpfungspunkte von PNIPAAm mit BSA als auch für die Quervernetzung des Protein-PNIPAAm-Konjugats mit PEGyliertem Bis(sulfosuccinimidyl)suberat (BS(PEG)n. Die Quervernetzung zwischen den amphipathischen Protein-PNIPAAm-Konjugaten stabilisiert die Membran der Proteinosomen in Wasser-Öl-Emulsionen. Zudem lässt sich die Porengröße und damit die Durchlässigkeit der Membran über die Kettenlänge von PEG flexibel einstellen.

Ersetzt man die Öl-Phase durch Wasser, erhält man Wasser-in-Wasser-Kompartimente aus quervernetzten Protein-PNIPAAm-Konjugaten. So weit zumindest die Theorie. Den Dresdnern zerfielen die Proteinosomen jedoch im ziemlich salzhaltigen Puffer des zellfreien Expressionssystems. Die Gruppe vermutete, dass die für die Kationisierung des BSA verwendete Substanz EDC (1-Ethyl-3-[3-dimethylaminopropyl]carbodiimid-Hydrochlorid) hierfür verantwortlich sein könnte. Die Verbindung ist dafür bekannt, Enzyme zu denaturieren. Und was für Enzyme schädlich ist, dürfte auch BSA nicht guttun und könnte zu instabilen Proteinosomen führen.

Vorhandene Amine reichen aus

Die Dresdner verzichteten daher auf die Kationisierung von BSA. Immerhin enthält BSA von Haus aus über sechzig Lysinreste, deren Amingruppen für die Konjugation bereitstehen. Wie sich zeigte, genügten diese für die Herstellung stabiler Proteinosomen (bioRxiv, doi.org/kvk6). Tangs Team konjugierte natives BSA (nat-BSA) dazu direkt mit PNIPAAm und untersuchte das Produkt mit Massenspektrometrie und Dynamic Light Scattering. An jedem BSA-Rest baumelten durchschnittlich 5,7 PNIPAAm-Moleküle mit 8,4 kDa, wodurch das Molekulargewicht von BSA entsprechend stieg.

Fehlte nur noch die Quervernetzung mit den PEG-Ketten. Hierzu verdünnten die Forschenden die BSA-PNIPAAm-Lösung mit Natriumcarbonat und mischten sie mit 2-Ethyl-1-Hexanol (ölig), das BS(PEG)2000 enthielt. Durch mehrmaliges Auf- und Abpipettieren entstand eine Emulsion, deren PEG-Gruppen sich über Nacht bei acht Grad Celsius quervernetzten. Die Proteinosomen mit quervernetzten Hüllen überführte die Gruppe anschließend via Zentrifugation in ein rein wässriges System. Dazu ersetzte sie den Überstand zunächst durch siebzigprozentiges Ethanol, danach durch fünfzig- sowie 25-prozentiges Ethanol und schließlich durch Wasser.

Unter dem Lichtmikroskop zeigten sich runde Proteinosome, im Elektronenmikro­skop­ (EM) traten ihre Umrisse klar zutage. Noch schärfere EM-Aufnahmen gelangen der Gruppe mit Mikrotomschnitten der in Harz eingebetteten Proteinosom-Proben. Die Membran ist circa zehn bis zwanzig Nanometer dick, das entspricht etwa ein bis zwei Proteinschichten.

Zellfreie Expression in Proteinosomen

Um die Eignung der Proteinosomen als Kompartiment für ein zellfreies Expressionssystem zu testen, pipettierten die Forschenden eine Plasmid-DNA (2,3 MDa) noch vor der Herstellung der Emulsion zur BSA-PNIPAAm-Lösung hinzu. DNA-Farbstoffe und Fluoreszenzmikroskopie bestätigten, dass die Plasmide im Inneren der entstandenen Proteinosomen angekommen waren. Entließ die Gruppe die Proteinosomen in ein kommerzielles Transkriptions-Translations-Gemisch, diffundierten die Komponenten der Mischung ins Innere der Proteinosomen. Die Ribosomen waren Cy5-markiert, die mit einem fluoreszierenden Aptamer visualisierten Transkripte erschienen nach zwei bis drei Stunden fast ausschließlich im Inneren der Proteinosomen. Die von dem Plasmid codierten, frisch synthetisierten mCherry-Proteine diffundierten hingegen durch die Membranporen nach außen und erreichten ihren Produktionspeak nach knapp fünf Stunden. Das Team fing sie mit Affinitäts-Kügelchen ein und konnte sie so schon in geringen Mengen nachweisen.

Für die Herstellung der Proteinosomen eignet sich aber nicht nur BSA als Proteinkomponente. Das Dresdner Team stellte sie auch mit Glukose-Oxidase (GOx) her, die 16 Lysinreste als potenzielle Konjugationsstellen enthält. Schwammen GOx-Proteinosomen in Phosphatpuffer mit Meerrettichperoxidase, setzte sofort nach der Zugabe von Glukose die enzymatische Umwandlung ein. Offensichtlich bleibt die Aktivität der PNIPAAm-konjugierten Proteine des Proteinosoms auch in der Membran erhalten.

Andrea Pitzschke