Der Indikatorkäfer

Erlebnisse einer TA (165)

Ute Ipe


Editorial

Die TA

Es gibt Labortage, da sitzt man an seiner Bench und pipettiert einfach rum. Heute ist nicht so ein Tag! Quasi aus dem Nichts hat sich eine wissenschaftliche Kollegin neben mich gebeamt. Gut, dass sie die richtigen Koordinaten hatte, sonst hätte sie mich womöglich noch vom Hocker geschubst. Wow, kann die sich leise teleportieren!

„Schau mal, was ich entdeckt habe?“, sprudelt es aus ihr heraus. Und prompt habe ich eine offene Packung mit Chamber Slides unter meiner Nase. Höflich bitte ich die Forscherin, die Packung auf die Bench zu stellen. Gleich im ersten Chamber Slide erspähen meine Augen ein kleines, rundes, schwarzes aber doch prominentes ... Ding.

„Ist das ein Käfer?“, frage ich in Richtung der Entdeckerin.

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Die erhellende Erklärung folgt sofort: „Ja! Ich hab’ die Packung geöffnet und den süßen kleinen Käfer gleich darin entdeckt. Vielleicht ist das ja ein Indikatorkäfer!“, flötet es.

„Ein was bitte soll das sein?“, poltert es aus mir heraus.

Ihr Ehrgeiz ist geweckt: „Die Chamber Slides sind doch steril, richtig?“

Ich nicke diese Aussage ab.

„Dann gibt es eine logische Erklärung“, fährt sie fort. „Ein grüner Käfer wird in die Verpackung gesetzt – und beim Sterilisieren wird er schwarz. Ein Farbwechsel wie beim Autoklavierband, nur nachhaltiger und umweltfreundlicher. So ein Käfer ist doch biologisch abbaubar. Das ist doch mal innovativ von der Firma!“

Ich schaue mich um und suche verzweifelt nach der versteckten Kamera. Nix zu sehen. Sie meint diese Geschichte wirklich ernst!

Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto lustiger finde ich die Nummer. Ich stelle mir eine Indikatorkäfer-Farm irgendwo im Nirgendwo vor. Dort werden dann rote, grüne, gelbe oder neonfarbene Indikatorkäferchen gezüchtet und in kleinen Schächtelchen an Firmen versendet.

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Ich komme also zu dem Schluss, dass ich meine nachhaltige Kollegin nicht gleich ihrer Illusionen berauben sollte – und entgegne ihr halbwegs professionell: „Hört sich interessant an. Lass mir mal diese Packung da, ich telefoniere mal mit der Firma. Nimm dir einfach eine neue. Und falls du wieder einen Indikatorkäfer findest, bitte melden!“

Voller Stolz verlässt sie den Indikatorbereich.

Eine Idee für ein Start-up?

Ich suche also die Nummer des zuständigen Außendienstlers heraus. Es ist der, den ich wegen seiner strahlend weißen Kauleiste unter „Zahnmann“ abgespeichert habe. Nummer eingegeben, es klingelt, und Herr Zahnmann ist am anderen Ende. Wie immer werden erst die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht. Dann komme ich zum eigentlichen Punkt: dem Indikatorkäfer-Fund. Ich kann förmlich spüren, wie das strahlend weiße Lächeln sich zu einem matten grauen Mundwinkelzucken verzieht. Es fallen Begriffe wie „Reinraum“, „Qualitätskontrolle“ und „Darf nicht passieren“! Anschließend sichert mir der Zahnmann eine sofortige Ersatzlieferung zu und entschuldigt sich tausendfach. „Das mit der innovativen Firma hat sich wohl erledigt“, denke ich noch bei mir.

Aber vielleicht könnten meine teleportierende Wissenschaftlerin und ich ein Start-up daraus machen und unsere Indikatorkäfer in alle Himmelsrichtungen beamen. Träumen ist doch wohl noch erlaubt!



Letzte Änderungen: 14.06.2023