Heute hier, morgen dort

Erlebnisse einer TA (160)

Maike Ruprecht


Editorial

Die TA

„Dringend NASA anrufen!“

Das steht für heute in meinem Terminplan. Und darunter: „(Ersatzweise ESA.)“

Das muss wirklich dringend erledigt werden. Jemand muss sich endlich um die vielen Wurmlöcher kümmern, die bei uns im Labor ihr Unwesen treiben. Eine andere Erklärung gibt es nicht mehr für das rätselhafte Kommen und Gehen unbelebter Materie in unseren Räumen.

In welches Paralleluniversum die Gegenstände verschwinden? Keine Ahnung. Leider. Denn es muss wunderschön dort sein. Ihre Rückkehr verzögert sich mitunter um mehrere Tage.

Einfach verschwunden

Für ein Experiment brauchte ich einen Überkopfmischer. Von denen besitzt unser Arbeitskreis an normalen Tagen zwei Stück. Am damaligen Wurmlochtag war nicht einer davon aufzutreiben, dabei standen beide gestern noch ordentlich im dafür vorgesehenen Schrankfach. Brauchen die Geschöpfe in Narnia ab und zu Überkopfmischer? Es scheint so. Jedenfalls suchte ich alle Labore ab, fragte meine anwesenden Kollegen, ob sie einen der Schüttler woanders hingebracht haben oder etwas über ihren Verbleib wüssten, vergeblich. Die Dinger sind einfach verschwunden. Da ich wenig Lust verspürte, meine Proben über Nacht selbst zu schütteln, verschob ich mein Experiment kurzerhand auf den nächsten Tag.

Editorial

Sind all diese temporär abwesenden Geräte etwa nur halbtags an der Uni beschäftigt? Haben sie woanders einen Teilzeitjob oder betrügen sie uns gar mit anderen Laboren?

Am nächsten Tag stand einer der beiden Schüttler wieder brav an seinem Platz. Ob es ihm im Paralleluniversum doch nicht gefallen hat?

Das Phänomen der temporären Existenz erstreckt sich nicht nur auf Geräte. Neulich suchte meine Kollegin verzweifelt einen ihrer fünf Western Blot-Streifen. Nach 20 Minuten hektischer Suche fand sie ihn schließlich in der puffergefüllten Schale neben seinen Geschwistern. Als wäre es nie anders gewesen, schwammen wieder fünf statt vier Streifen munter im PBS-Puffer herum.

Offenbar hat der Streifen nur einen kurzen Abstecher ins Paralleluniversum unternommen.

Durchs Wurmloch ins Labor

Daran, dass er als einziger zufällig auf der Rückseite beschriftet war und dadurch schlicht übersehen wurde, kann seine Unsichtbarkeit ja nicht gelegen haben.

Editorial

Auch andere Dinge materialisieren und rematerialisieren sich fröhlich aus dem Nichts. Seit zwei Wochen steht ein kleiner Stapel abgeernteter Erbsenanzuchtschalen im Flur herum.

„Derjenige, der sie benutzt hat, soll sie ins Gewächshaus zurückbringen“, wurde mehrfach im Seminar vor versammelter Belegschaft verkündet. Nichts dergleichen geschah. Kein Wunder. Die Schalen sind bestimmt durch eines der Wurmlöcher in unser Labor gelangt, und da wir keinen Wurmlochbeauftragten haben, ist folglich niemand zuständig. Klare Sache.

Am besten delegieren wir dieses Amt an denjenigen, den uns die NASA schickt. Oder die ESA.



Letzte Änderungen: 12.12.2022