Fette Spannung

Erlebnisse einer TA (159)

Maike Ruprecht


Editorial

Die TA

Ich sitze vor dem Abzug und starre hinein.

Dort drinnen tobt mehr Spannung als in so manchem Fernsehkrimi. Obgleich die Handlung nicht gerade übermäßig Action-geladen ist. Keine spektakulären, explosionsträchtigen Synthesen, sondern die Pilotfolge meiner neuesten Produktion mit dem Titel „Die Trennung der Lipide“ aus dem Genre „Dünnschichtchromatografie.“ In den Hauptrollen: Lipidproben gewonnen aus Filamenten von Anabaena sp.

Was mich so fesselt, ist also im Grunde nichts als eine grünbraune Linie, die in einem Glaskasten unter dem Abzug eine quadratische, weiße Platte emporkriecht.

Dünnschichtchromatografie (DC) habe ich zuletzt in der Berufsschule gemacht. Damals bekamen wir eine Filmdose (ja, die gab es damals noch!) mit einem geheimnisvollen Dreierlei aus Streichfetten oder Ölen mit der Anweisung überreicht: „Finden Sie heraus, um welche Fette es sich handelt.“ Dafür mussten wir das Ergebnis unserer DC mit den archivierten Chromatogrammen diverser Fette und Öle abgleichen. Genauso wie bei einem Fingerabdruck im Krimi.

Editorial
Unermüdliche Lauffront

Hinter der Abzugsscheibe arbeitet sich die grünbraune Lauffront unermüdlich weiter die Platte hoch. Da ich nebenher andere Aufgaben erledige, kann ich nicht jede Minute vor der Scheibe kleben, werfe aber im Vorbeigehen immer wieder einen Blick in den Abzug.

Es klappt und ist spannender als damals in der Berufsschule, obwohl oder gerade weil ich diesmal ganz genau weiß, aus welchem Organismus das analysierte Lipidgemisch gewonnen wurde – schließlich habe ich diese Arbeit selbst gemacht. Habe eigenhändig das Gemisch aus Lösungsmitteln auf meine kleinen Schützlinge pipettiert und die so aus ihnen gewonnenen Lipide im Argonstrom getrocknet.

Heute geht es auch gar nicht um die Art der in meiner Probe enthaltenen Lipide, sondern deren Zusammensetzung.

Grünbraunes Finale

Der Reiz des Unbekannten ist demnach hinfällig. Dennoch kann ich mich kaum von dem Anblick unter dem Abzug losreißen, wo sich gerade die Pilotfolge von „Trennung der Lipide“ ebenso unaufhaltsam ihrem Finale nähert wie die grünbraune Lauffront der Oberkante. Es wird Zeit, die DC-Platte aus dem Lösungsmittel zu nehmen und die weiteren Schritte zur Entwicklung des Chromatogramms einzuleiten.

Editorial

Welche Fette ich damals in der Berufsschule zugeteilt bekam, weiß ich heute nicht mehr (ich glaube, Leinöl war dabei), aber unmöglich habe ich dem Ergebnis damals ebenso entgegengefiebert wie heute.

Man baut eine viel intensivere Beziehung zu seinen Proben auf, wenn man ihren Entstehungsprozess miterlebt und sie eigenhändig isoliert hat. Und zwar aus Organismen, in deren Anzucht man zuvor vierzehn Tage Arbeit investiert, denen man zwei Wochen beim Wachsen und Reifen assistiert, etwas vorgesungen und sie sogar mit Extranitrat gefüttert hat.

Das erzeugt richtig fette Spannung.



Letzte Änderungen: 07.10.2022