Durchstarten in der Life-Science-Industrie (5)
Produktmanager – der perfekte Job für Generalisten

Morna Gruber und Marta Lee, Laborjournal 9/2022


Editorial

(06.09.2022) Die Position des Produktmanagers ist perfekt geeignet für organisations- und kommunikationsstarke Naturwissenschaftler, die gerne ihre fachliche Expertise gepaart mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen im Arbeitsalltag anwenden wollen. Als Produktmanager ist man gleichzeitig auch ein Multi-Stakeholder-Projekt-Manager und eine wichtige Säule im Unternehmen, um den wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen. Die Generalisten unter den Lesern spüren bestimmt schon den Impuls, die Ärmel hochzukrempeln und sofort loszulegen. Doch zuvor geben wir Ihnen noch relevantes Hintergrundwissen und ein paar wertvolle Tipps mit auf den Weg.

Was macht ein Produktmanager eigentlich?

Ein Bild aus der Musik illustriert die Aufgabe eines Produktmanagers sehr passend: Wenn das Produkt ein aufzuführendes Musikstück wäre, so würde der Produktmanager es dirigieren. Um das Musikstück harmonisch und beeindruckend erklingen zu lassen, braucht der Dirigent ein ganzes Orchester – als Produktmanager also die Unterstützung vieler Teams aus unterschiedlichsten Fachabteilungen. Nur so kann ein Produkt erfolgreich den Markt betreten und sich anschließend über einen langen Zeitraum hinweg umsatzstark halten. Der Produktmanager ist für diese erfolgreiche Performance eines Produktes verantwortlich und spült dem Unternehmen den notwendigen Umsatz und Gewinn in die Kassen.

Editorial

Seine oder ihre Zuständigkeit für das Produkt beginnt dabei häufig schon in der Zeit der Produktentwicklung. Diese frühe Etablierung des Produktmanagers im Produktlebenszyklus hat zwei Gründe: Erstens kostet es viel Zeit, den Markteintritt eines Produktes strategisch und operativ vorzubereiten. Und zweitens kann der Produktmanager Erkenntnisse aus seinen Marktbetrachtungen ans Research-and-Development-Team zurückspielen, das wiederum das Produkt anpassen kann, damit es auch den Bedürfnissen der Kunden entspricht und später tatsächlich gekauft wird. Der Produktmanager ist also der aktive Gestalter des Marketingauftritts und des betriebswirtschaftlichen Erfolges des Produkts. Dafür muss er mehrere Abteilungen einbinden und kontrollieren; darunter Research-and-Development, Produktion, Quality, Marketing, Vertrieb, Controlling und Geschäftsführung.

Was macht ein Produktmanager genau? Hier ein kurzes Szenario: Ein kleines Unternehmen hat ein neurogenes Differenzierungsmedium entwickelt. Dieses Medium differenziert mit hundertprozentiger Effektivität mesenchymale Stammzellen (MSCs) in voll funktionsfähige Neurone, die auch dauerhaft stabil in ihrer Struktur und Funktion bleiben. Das Unternehmen wird das erste am Markt sein, dessen Medium diese Effektivität und Stabilität in der Differenzierung von MSCs in Neurone aufweist. Wir sind der Produktmanager, der nun den Markteintritt dieses Mediums vorbereiten soll. Los geht’s.

Die Situationsanalyse oder die Frage: Wo steht mein Produkt?

Zunächst analysieren wir den Status quo unter der Leitfrage „Wo steht mein Produkt?“. Wir fokussieren uns heute auf die wichtigsten Parameter der Marktanalyse. Zuerst definieren wir unseren Zielmarkt. Damit ist nicht eine Region gemeint, sondern die Zielgruppe(n). In unserem Fall ist sie recht schnell beschrieben: Es handelt sich um Wissenschaftler, die MSCs in voll funktionsfähige Neurone differenzieren wollen. Wir müssen allerdings daran denken, dass es nicht nur Wissenschaftler an Universitäten gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen, sondern auch an anderen Forschungseinrichtungen (zum Beispiel Max-Planck-Institute) und in Pharma- sowie Biotechunternehmen. Das bedeutet gleichzeitig, dass nicht der einzelne Wissenschaftler unser Kunde sein wird, sondern die Institute und Unternehmen. Denn sie sind es ja, die die Rechnungen bezahlen.

Im nächsten Schritt bestimmen wir das Marktpotenzial für unser Medium. Einfach gesagt: Wir wollen wissen, wie viel Geld wir einnehmen könnten, wenn alle potenziellen Kunden des Produktes nur bei uns kaufen würden. Als Produktmanager ist es unsere Aufgabe, das Marktpotenzial für unser Medium zu bestimmen. In Standardmärkten (wie zum Beispiel der Autoindustrie) ist dies etwas einfacher, weil man für diese Märkte meist schon auf eine Vielzahl von veröffentlichten Marktanalysedaten zurückgreifen kann. In einem Nischenmarkt – wie dem Zellkulturmarkt – muss man sich meist selbst etwas einfallen lassen. Das Gute ist, dass wir als Wissenschaftler sozialisiert wurden und Datenerhebung zu unseren Kernkompetenzen gehört. In unserem Fall des Mediums machen wir eine Publikationsanalyse von Papern, in denen Differenzierungsversuche von MSCs in Neurone beschrieben werden, und eine Analyse der Websites von Pharma- und Biotechunternemen, die sich mit der Erforschung von Medikamenten in der Indikationsgruppe Neurologie beschäftigen. Aufgrund der gefundenen Anzahl an Instituten und Unternehmen versuchen wir, das Marktpotenzial abzuschätzen. Die Bestimmung des Marktpotenzials ist wichtig, weil wir unter anderem auf dessen Grundlage auch Absatz- und Produktionsplanung durchführen und das Vertriebs- und Marketingbudget bestimmen.

Als Nächstes bestimmen wir das Marktwachstum. Die Information darüber benötigen wir deshalb, da man in einem stagnierenden Markt andere Marketingmaßnahmen anwenden muss als in einem wachsenden Markt, bei dem ständig neue potenzielle Kunden dazukommen. Und weil wir ein Nischenprodukt haben, müssen wir uns für die Bestimmung des Marktwachstums wieder selbst behelfen. Wir ermitteln die Anzahl der Publikationen zu unserem Thema jeweils im Jahr 2016 und im Jahr 2021 und ermitteln aus diesen beiden Werten die Wachstumsrate. Angenommen die Analyse hat für den deutschsprachigen Raum im Jahr 2016 eine Anzahl von 80 Publikationen ergeben und für 2021 eine Anzahl von 155, so beträgt die Wachstumsrate (155 - 80) / 80 = 93,75 Prozent. Wir haben also fast eine Verdopplung in fünf Jahren, was einer sehr guten Wachstumsrate entspricht. Allerdings müssen wir auch die absoluten Zahlen betrachten. Die Zahlen von 80 beziehungsweise 150 Publikationen zeigen uns an, dass der Markt insgesamt eher klein ist und eine leicht abzählbare Anzahl an Kunden umfasst. Deshalb entscheiden wir, uns sehr zügig nach dem Markteintritt in Deutschland auch den Launch unseres Mediums in anderen europäischen Ländern, den USA und Asien vorzubereiten.

Der nächste Schritt ist die Wettbewerbsanalyse und die Durchführung des sogenannten Price-Benchmarking. Wir identifizieren also, welche Konkurrenten es am Markt gibt, die auch ein Medium zur Differenzierung von MSCs in Neurone anbieten. Dann schauen wir uns die genauen Produktmerkmale der Medien der verschiedenen Konkurrenten an und analysieren – zum Beispiel wieder über eine Publikationsanalyse oder über Testversuche im eigenen Labor – wie hoch die Differenzierungseffizenz ist und wie stabil die Zellen im differenzierten Zustand bleiben. Des Weiteren ermitteln wir die Preise, die die Konkurrenten am Markt verlangen.

Da wir (in unserem ausgedachten Beispiel) aus den Publikationen herauslesen können, dass die Medien der Konkurrenten nicht gewährleisten, voll funktionsfähige Neurone auszubilden und stabil im differenzierten Zustand zu halten, haben wir unsere Unique Selling Proposition (USP) ermitteln können. Bei der USP handelt es sich um das „einzigartige Verkaufsversprechen“, durch das man sich von der Konkurrenz unterscheidet und mit dem man den Kunden zum Kauf des Produkts überzeugen will. Der Kern unserer Botschaft an den Kunden wird also sein, dass wir der einzige Hersteller am Markt sind, der mit hundertprozentiger Sicherheit und Stabilität MSCs in voll funktionstüchtige Neurone differenzieren kann. Dementsprechend können wir den Preis für unser Produkt auch über den Preisen der anderen Produkte ansetzen und mit einer Hochpreisstrategie in den Markt eintreten.

Die strategische Planung oder die Frage: Wo soll mein Produkt stehen?

Nachdem wir nun alle relevanten Daten gesammelt haben, können wir uns auf deren Grundlage an die strategische Planung machen. Hier machen wir eine Zielgruppenanalyse und bestimmen die Kommunikationsziele für die jeweilige Zielgruppe. Wir hatten ja in der ursprünglichen Zielmarktanalyse schon festgestellt, dass wir zwei unterschiedliche Gruppen an Kunden haben. Einerseits die Forschenden von Universitäten und öffentlichen Instituten und andererseits die Wissenschaftler aus der Pharma- und Biotechindustrie. Nun müssen wir analysieren, welche unterschiedlichen Voraussetzungen und Anforderungen an unser Medium die beiden Kundengruppen haben und für jede Gruppe eigene Kommunikationsziele und Verkaufsargumente bestimmen. In der Regel ist es so, dass die Unis eher preissensitiver sind und lieber kleinere Mengen abnehmen möchten. Hier sollten wir also über ein individuelles Preiskonzept für Unis nachdenken. Die Pharmaunternehmen legen eher Wert darauf, dass man auch bei großen Bestellzahlen liefern kann und keine Lieferengpässe entstehen. Letztere haben außerdem ein Interesse an GMP-gerecht hergestellten Produkten. Hier müssen wir also Maßnahmen entwickeln, mit denen wir die Pharmaunternehmen davon überzeugen können, dass wir jederzeit in GMP-konformer Qualität liefern können.

Der Marketingplan und die operative Umsetzung

Der Marketingplan beinhaltet den konkreten Maßnahmenkatalog und den Zeitplan für die Umsetzung. In unserem Fall des Differenzierungsmediums könnte das so aussehen:

  1. Erstellen von Schulungsmaterial zu Produktinformationen und Argumentationshilfen im Verkaufsgespräch für die Vertriebsmitarbeiter und anschließende Durchführung der Schulungen;
  2. Erstellen von Produktbroschüren für Kunden je nach Zielgruppe (Uni und Industrie);
  3. Präsentation des Mediums auf der Website und Inkorporation auf der Online-Bestellplattform sowie im Produktkatalog;
  4. Planung der Teilnahme an Fachmessen, um das Produkt dort zu präsentieren;
  5. Planung einer Mailing-Kampagne für die potenziellen Kunden;
  6. Ermittlung von öffentlich zugänglichen Kontaktdaten von potenziellen Kunden und Übergabe an den Außendienst.

Um nur einige wenige der möglichen Maßnahmen als Beispiel zu nennen.

Controlling oder die Frage: Wurden die gesetzten Ziele erreicht?

Im Zuge der strategischen und operativen Planung der Maßnahmen zum Markteintritt und des weiteren Vertriebs des Produktes legt man Key Performance Indicators (KPIs) fest, anhand derer man überprüfen kann, ob die durchgeführten Maßnahmen erfolgreich sind oder nicht. Im Falle unseres Differenzierungsmediums könnten wir als KPIs folgende Parameter festlegen:

  1. Anzahl der „wirklich interessierten“ Kunden, festgemacht an der Anzahl der potenziellen Kauf-Kunden, die bereit waren, das Medium kostenfrei zu testen und ein schriftliches Feedback zu geben;
  2. Anzahl der verkauften Flaschen in den ersten sechs Monaten nach Markteintritt;
  3. Umsatzvolumen in derselben Zeitspanne.

Sollten diese Ziele nicht erreicht werden, müssen wir zusammen mit dem Vertriebsleiter in „Krisensitzungen“ eine Adjustierung des Marketingplans und der konkreten Maßnahmen vornehmen, um eine Zielerreichung doch noch herbeizuführen und dadurch den erfolgreichen Markteintritt sicherstellen.

Take-Home-Message

Wir haben hier nicht die Möglichkeit, die Aufgaben und das Vorgehen im Produktmanagement bis ins kleinste Detail vollständig zu beschreiben. Ziel unserer Darstellung war es, die Grundlagen zu erläutern, ein konkretes Beispiel zu geben und Folgendes aufzuzeigen:

  1. Die Position des Produktmanagers ist perfekt geeignet für organisations- und kommunikationsstarke Generalisten, die ihr naturwissenschaftliches Fachwissen im betriebswirtschaftlichen Kontext anwenden wollen.
  2. Wir Naturwissenschaftler sind besonders gut geeignet für die Position des Produktmanagers, da wir während unserer Zeit als Fachspezialisten selbst Anwender solcher Produkte waren und uns deshalb sehr gut in die Bedürfnisse der Kunden, was Produktspezifikationen und die Art und Weise der Kommunikation über das Produkt angeht, hineinversetzen können. Dadurch können wir in besonderer Weise auf die Zielgruppe abgestimmte Marketingmaßnahmen generieren.
  3. Wir haben allerdings auch gesehen, dass das naturwissenschaftliche Wissen allein nicht reicht. Zusätzlich benötigen wir umfangreiche betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Um sich den Einstieg ins Produktmanagement in der Industrie zu erleichtern, kann man sich schon während der Abschlussphase an der Uni über Fortbildungen in betriebswirtschaftliche Themen einarbeiten und damit die Chancen erhöhen, eine der wenigen Einstiegspositionen als Junior-Produktmanager zu ergattern. Es gibt aber auch eine Reihe von leichter zu bekommenden Einstiegsjobs, zum Beispiel Positionen im Tech-Support, im Application-Management oder im Vertrieb, die man nach ein oder zwei Jahren Berufserfahrung auf der Position als Sprungbrett ins Produktmanagement nutzen kann.

Das Spektrum an spannenden Einstiegsjobs und ihr Potenzial für die Weiterentwicklung der Karriere zum Beispiel Richtung Produktmanagement schauen wir uns das nächste Mal an.