„Beteiligung an Forschungs-förderungen tut auch KMU gut“

Im Gespräch mit Michael Hannus, Planegg


Editorial

(15.07.2022) Die Corona-Pandemie hat RNA in den gesellschaftlichen Fokus geholt, vor allem in Verbindung mit mRNA-Impfstoffen. In der Forschung war das vielseitige Molekül aber stets präsent und scheint nur auf seinen großen Auftritt gewartet zu haben. Ein Streifzug mit siTOOLs-Biotech-Gründer Michael Hannus – durch RNA-Interferenz und siRNAs, turbulente Firmengründungen und Geld aus Gießkannen.

Laborjournal: Herr Hannus, dass RNA als Wirkstoff durchaus Potenzial hat, haben wir mit den mRNA-basierten Impfstoffen nun auch in der Corona-Pandemie erlebt. Besinnen sich Forschung, Pharmaindustrie und vielleicht auch Politik wieder darauf, dass es unter den Biomolekülen für die Entwicklung von Therapeutika mehr gibt als DNA und Proteine?

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Michael Hannus » Das ist natürlich Wasser auf meine Mühlen. Wenn wir RNA mit DNA und Proteinen vergleichen, dann ist es ein deutlich vielseitigeres Molekül. Es kann Informationen speichern und übertragen, etwa als mRNA. Es kann aber auch Strukturen generieren, wie bei den Ribosomen, es kann katalytisch aktiv sein oder zum Beispiel die Proteinexpression regulieren, wie eben bei der RNA-Interferenz. RNA macht all diese Dinge.

Hat die RNA-Interferenz, kurz RNAi, als Methode zur Genregulierung in Zeiten von CRISPR-Cas noch eine Daseinsberechtigung?

Hannus » Ja, unbedingt, und zwar einfach deshalb, weil RNAi etwas ganz anderes macht. CRISPR-Cas führt in der Regel zur Geneditierung, also zu einer dauerhaften Veränderung des Genoms. RNA-Interferenz hingegen regelt mRNA vorübergehend herunter, etwas, das man eher als Drug-like bezeichnet. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Also, ja, ich denke schon, dass RNAi eine Daseinsberechtigung hat. Und wir sehen auch an unseren Umsätzen, dass der Bedarf nicht nachlässt.

Editorial

Der ganz große Knall blieb aber aus. Nach dem Nobelpreis im Jahr 2006 gab es einen Hype um RNAi und small interfering RNA, kurz siRNA, und hohe Erwartungen an die Technologie als therapeutisches Wundermittel. Viele dieser Erwartungen konnte RNAi nicht erfüllen, woran lag das?

Hannus » Es gibt immer wieder verschiedene Wellen, die durch die Biotechnologie brausen. Meist sind die Erwartungen schlichtweg zu hoch, vor allem, was die Timelines anbelangt. Man hat wirklich gedacht, man könne mit RNA-Interferenz alles heilen. Aber man hatte die Schwierigkeit unterschätzt, siRNA überhaupt in die Zellen zu bringen, in denen sie gebraucht wird. Die Lösung dieses Delivery-Problems hat fast zwei Jahrzehnte gebraucht. Deshalb hat es im Endeffekt bis 2018 gedauert, bis mit Onpattro das erste RNAi-Medikament auf den Markt kam, also sehr viel länger, als zunächst gedacht.

Totgeglaubte leben länger, heißt es. Mit siTOOLs Biotech und der dahinterstehenden Technologie, komplexen siRNA-Pools für die Grundlagenforschung, hatten Sie ebenfalls Anlaufprobleme, vor allem wegen fehlender Finanzierungen. Bei unserem ersten Gespräch 2019 fassten Sie das so zusammen: „Das klassische Narrativ der Biotechnologie ist: Man hat eine Idee, dann kommt der Investor und der gibt viel Geld, sodass man in den ersten Jahren kein Geld verdienen muss. So wie wir das gemacht haben, also entwickeln und verkaufen, um zu wachsen, ist es eigentlich eine Mission Impossible. [...] Wenn man nicht zufälligerweise an etwas arbeitet, was gerade ein heißes Thema ist, zum Beispiel Immuntherapie, dann springt eben nicht sofort ein Investor auf.“ Gegründet haben Sie siTOOLs Biotech 2013, im kommenden Jahr feiern Sie zehnjähriges Bestehen. Irgendetwas haben Sie also offensichtlich doch richtig gemacht.

Hannus » In der Tat, und das liegt daran, dass wir immer wieder Geld auftreiben konnten. Nach einem EXIST-Gründungsstipendium haben wir spannenderweise einen EU-Grant quasi geerbt, von der Firma, für die ich vorher gearbeitet hatte. Die Cenix Bioscience in Dresden schloss 2015 ihre Tore, da lagen noch 400.000 Euro im Grant. Davon konnten wir die ersten Jahre Gehälter bezahlen. Gleichzeitig hatten wir das Glück, einen Business Angel zu finden. Sven Diederichs ist selbst Biochemiker und leitet zwei Arbeitsgruppen, eine am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und eine am Uniklinikum Freiburg. Er fand unser Konzept spannend und hatte den Mut, bei siTOOLs Biotech einzusteigen.

Die Firma siTOOLs Biotech ist aber auch das Ergebnis von viel Mühe, viel Verzicht. Andere hätten die Idee möglicherweise deutlich schneller ad acta gelegt. Wir wachsen organisch, Jahr für Jahr, und seit zwei Jahren arbeiten wie profitabel. Dass es uns heute noch gibt, ist also eine Mischung aus Glück, Geschick und Selbstausbeutung. [lacht]

Das gelingt nicht allen Biotech-Start-ups, woran hapert es oftmals?

Hannus » Nicht alle Firmen produzieren und verkaufen von Anfang an, sie brauchen mehr und länger Unterstützung, als wir es hatten. Das kann gerade zu Beginn so etwas wie kostengünstiger Laborplatz sein, also die nötige Infrastruktur. Oder die Beteiligung an Forschungsförderungen, auch das tut KMUs [Anm. d. Red.: kleinen und mittleren Unternehmen] wahnsinnig gut und wird bisher viel zu wenig umgesetzt.

Der wichtigste Faktor ist und bleibt das Geld, zum Teil aus rein praktischen Gründen. Gründer haben mehr als genug zu tun: Sie forschen, entwickeln, bauen ihr Business auf. Die ständige Suche nach Kapital und Investoren raubt dabei unglaublich viel Zeit.

Aus Ihrer Perspektive, als KMU: Muss es andere Förderinstrumente oder -ansätze geben, um Biotech-Start-ups mit ihren Ideen effizienter abzuholen?

Hannus » Wenn ich an die Anfänge von siTOOLs Biotech zurückdenke, gab es eine Lücke zwischen den wirklich sehr guten staatlichen EXIST-Programmen und mehr oder weniger großen Anschlussfinanzierungen. Vielleicht lag es bei uns auch am Businessmodell, da siTOOLs Biotech eben Forschungsreagenzien und keine Medikamente herstellt und damit nur einen relativ kleinen Markt bedient. Für Investoren ist so etwas uninteressant und andere Übergangslösungen gibt es kaum.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass etwa BioNTech den Pharmariesen Pfizer an seiner Seite hat oder CureVac erst Boehringer Ingelheim, jetzt GSK. Die Großen haben deutlich mehr Schlagkraft. Können solche Kooperationen unkonventionelle, riskante Ideen gezielter fördern?

Hannus » Das passiert ja durchaus bereits. Ein Bekannter, mit dem ich gemeinsam Forschungsanträge geschrieben habe, hat 2011 Lipocalyx gegründet, eine Firma für Transfektionsreagenzien in Halle an der Saale. 2019 hat BioNTech Lipocalyx übernommen. Gut, das ist jetzt keine klassische Kooperation, aber damit dürften sie zumindest ihre Geldsorgen los sein. Allerdings haben sie auch ihr ursprüngliches Businessmodell eingestellt.

Ich denke, es ist eine Herausforderung, jemanden zu finden, der sich für die eigenen Ideen interessiert. Das Start-up-Modell wird so zu einer Art natürlichem Selektionsprozess. Jedes Jahr entstehen viele kleine Biotechs, nicht alle können überleben. Das ist wie Survival of the fittest.

Ist das nicht kontraproduktiv? Denken wir an die Grundlagenforschung, dort wird schon lange bemängelt, dass das auf Effizienz getrimmte Wissenschaftssystem risikoreiche Projekte im Keim erstickt. Es geht um möglichst viele Publikationen und Drittmittelanträge, in denen optimalerweise mindestens einmal die Phrase „ultimatives Heilmittel für alle Krankheiten der Welt“ vorkommt. Viele Forscherinnen und Forscher wählen den sicheren Weg und damit Projekte, die kaum scheitern können. Die ganzen kreativen Ideen, unkonventionelle Innovationen, die allein der Grundlagenforschung dienen, haben wenig Chancen. Droht so etwas der Biotech-Industrie nicht auch, wenn das Finanzierungssystem drastisch selektioniert?

Hannus » Bei Start-up-Wettbewerben gibt es immer wieder wirklich sehr innovative Projekte unter den Gewinnern. Dieses sehr frühe Anlegen eines finanziellen Drucks ist einerseits gesund, weil man lernt, zu haushalten. Aber klar, andererseits bringt dieses System Ideen um, die sich später möglicherweise bewährt hätten. Manchmal braucht es Zeit, um die ideale Anwendung für eine neue Technologie zu finden beziehungsweise die Technologie für vorhandene Anforderungen anzupassen. Insofern benötigen Firmen immer eine gewisse Überlebenszeit, in der sie im Idealfall einfach nur existieren. Viele tolle Ideen könnten gerettet werden, wenn man solche Unternehmen früh fördern würde. Ich kann aber schlecht sagen, inwieweit das praktikabel ist. Man kann schlecht das Geld mit der Gießkanne verteilen.

Das haben Sie just auch wieder erlebt. Mit Alpine Antivirals haben Sie im Zuge der Corona-Pandemie eine weitere Firma gegründet. Um welche Technologie handelt es sich dabei?

Hannus » Die Technologie ist im Grunde das, was wir bei siTOOLs Biotech schon lange machen. Wir nutzen komplexe siRNA-Pools, um gezielt Gene stummzuschalten und gleichzeitig störende Off-Target-Effekte herauszuverdünnen. Das Genom vieler Viren, auch der respiratorischen RNA-Viren wie eben SARS-CoV-2, sind ein natürliches Target von RNAi. Man kann Viren also wirklich gut mit siRNAs bekämpfen, und vielleicht sogar besser als mit anderen Therapien. Warum? Ein großes Problem bei Viren ist die Resistenzbildung. Mit einer komplexen siRNA-Mischung können wir direkt mehrere Targets ansprechen, sowohl im Virus als auch im Wirt. Das macht diesen Ansatz unempfindlich gegen Resistenzen. Auch das ist kein wirklich neuer Gedanke. Bei siTOOLs Biotech bieten wir bislang ausschließlich Forschungsreagenzien an, vor allem, weil Mischungen von irgendetwas immer schwierig bei der Zulassung als Medikament sind. Wir haben gedacht: Vielleicht kommt mal eine historische Gelegenheit, sodass wir das Konzept der siRNA-Pools als antivirales Therapeutikum testen können.

Eine historische Gelegenheit wie eine Corona-Pandemie zum Beispiel?

Hannus » Genau. [lacht] Aber einfach ist das Ganze trotzdem nicht. SARS-CoV-2 ist ein Erreger der Risikoklasse 3, wir mussten also erst einmal jemanden finden, der das Virus und ein Labor der Sicherheitsstufe 3 hat. Nach etlichen Anrufen und E-Mails meldete sich Stefan Finke, Institutsleiter am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems. Die haben dort ja so ziemlich jedes fiese Virus. Schon früh im Jahr 2020 hatten wir begonnen, eine Bibliothek mit siRNA-Pools gegen das gesamte virale Genom zu erstellen. Die Forscherinnen und Forscher am Friedrich-Loeffler-Institut transfizierten damit Zellkulturen, die sie vorher oder anschließend mit SARS-CoV-2 infizierten. Auf diese Weise sahen sie, welche Pools gut gegen eine Infektion schützen, aber auch, wo toxische Nebeneffekte auftreten. So stellten wir fest, dass einige Regionen des viralen Genoms extrem anfällig für siRNA-Einflüsse sind, andere hingegen überhaupt nicht. Lustigerweise ist es nicht sonderlich effizient, das S-Gen auszuschalten. Deutlich besser funktioniert das N-Gen. In der zweiten Jahreshälfte von 2020 erstellten wir eine Activity Map des viralen Genoms, meldeten alles zur Patentierung an und dachten, dass wir dann durchstarten können.

Sie wollten die Technologie möglichst zügig in klinischen Studien testen?

Hannus » Ja. Wir haben die Firma Alpine Antiviral gegründet und Förderanträge geschrieben, um erst einmal die Finanzierung der Präklinik zu sichern. Kurioserweise sagte eine bayerische Förderinitiative, auf die wir uns zum Jahreswechsel 2020/2021 beworben hatten, unsere Technologie wäre noch nicht weit genug. Bei der BMBF-Initiative SPRIND, die disruptive Technologien oder Sprunginnovationen – wie sie es auch nennen – fördert, hieß es hingegen, der Ansatz sei nicht innovativ genug. In unserem Antrag fehlte so etwas wie Artificial Intelligence, um die besten siRNAs zu finden. Andere arbeiteten mit künstlicher Intelligenz. Aber wir hatten ja bereits das gesamte Genom durchgescreent, wir brauchten keine KI mehr. Wir dachten einfach, zu diesem Zeitpunkt der Pandemie würde es darum gehen, möglichst schnell Firmen mit praktikablen Methoden zu finanzieren. Und unser Ansatz schaltet effizient und unglaublich robust Viren aus, das haben wir gezeigt. Förderungen haben wir trotzdem nicht bekommen. Dabei hätten wir eigentlich nur 500.000 Euro gebraucht, denn eine Zusage von einem privaten Investor hatten wir sogar schon.

Alleine wollte der aber nicht?

Hannus » Er war bereit, bis zu einer Million Euro in die Firma zu stecken, aber eben nicht allein. Das ist nicht ungewöhnlich, so lastet das Risiko nicht allein auf einer Schulter. Wie genau eine zweite Investition ausgesehen hätte, war dabei aber relativ egal, das hätte eben auch ein staatlicher Grant sein können. Wir waren überrascht, dass wir es nicht schafften, diese halbe Million aufzutreiben. Obwohl unsere Technologie schon so weit war, obwohl wir dieses großartige und kompetente Team hatten. Das war schon ernüchternd, muss ich sagen. Vor allem wenn man schaut, wofür im Zusammenhang mit Corona sonst Geld ausgegeben wurde.

In den vergangenen zwei Jahren sind etliche Milliarden an öffentlichen Geldern in die Pharma- und Biotech-Branche geflossen. Hat das Geld nicht die richtigen Stellen erreicht?

Hannus » Darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ich denke aber, wenn der Staat Geld ausgibt, muss man akzeptieren, dass nicht alles dort landet, wo es hingehört. Das ist auch nicht anders zu erwarten, denn wir sprechen gerade bei Pharma und Biotech über Hochrisiko-Projekte. Niemand kann vorhersehen, wie sie sich entwickeln.

Wie geht es mit Alpine Antivirals weiter?

Hannus » Das Friedrich-Loeffler-Institut und siTOOLs Biotech haben die gesamte Entwicklung aus der eigenen Tasche bezahlt. Jetzt werden wir weiteres Geld für Tierstudien zusammenkratzen, um einen Proof of Concept zu erbringen. Natürlich hoffen wir, dass doch noch Geld auftaucht. In München gibt es einen großen Cluster-Antrag für RNA-basierte Therapeutika, bei dem siTOOLs Biotech als Industriepartner teilnimmt. Vielleicht klappt das ja. Wir bleiben dran, es braucht Ausdauer. Möglicherweise ist unser antiviraler siRNA-Pool der Durchbruch. [lacht] Und alle werden nachher sagen: Ja, das ist ein super Reagenz, und was für eine tolle Geschichte. Oder wir machen den Laden irgendwann erschöpft zu und dann war das halt nichts. Aktuell können wir es nicht abschätzen, so ist das eben.

Interview: Sigrid März



Zur Person

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Michael Hannus hat 2013 das Planegger Biotech-Start-up siTOOLs Biotech gegründet.