Buchbesprechung

Karin Hollricher

Editorial


Susanne Wedlich:
Das Buch vom Schleim
Herausgeber: Matthes & Seitz Berlin; 1. Edition (31. Oktober 2019)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 287 Seiten
ISBN-10: 3957577748
ISBN-13: 978-3957577740
Preis: 34 Euro (gebunden)

Editorial
Eine gar nicht schlüpfrige Hommage an den Schleim

(07.10.2022) „Schreib doch einfach ein Buch, am besten über einen jungen Stichling”, empfahl man der Biologin und Wissenschaftsjournalistin Susanne Wedlich. Ein Buch schrieb sie, doch Fische kommen darin nur ganz am Rande vor – denn es handelt von Schleim. Als Kinder lieben wir Glibber. Das wird uns aberzogen, als Erwachsene finden wir Schleim eher eklig. Schade, denn Schleim ist – neben Wasser, Erde und Luft, ein vierter Lebensraum mit wahnsinnig vielen spannenden Facetten.

In ihrem „Buch vom Schleim” spannt die Autorin Susanne Wedlich einen großen Bogen und erzählt sehr unterhaltsam, welche physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften und Aufgaben Schleime haben. Obwohl das Werk 280 Seiten stark ist, schränkt sie doch gleich zu Beginn schon ein: „Das definitive Buch zum Schleim kann es wahrscheinlich nicht geben, zu vielfältig ist das Material, zu lange seine Evolution und Beziehung zum Menschen, von der frühen Überhöhung bis zur modernen Aversion.”

Vermutlich im Schleim entstand vor vier Milliarden Jahren das Leben. Heute ist die ganze Welt voll davon. „Es gibt wohl kaum ein Lebewesen, […] das ganz auf Schleim verzichten kann”, so Wedlich. Er befindet sich vielfach an Grenzflächen zwischen Luft, Wasser und Erde sowie Körperinnerem und -äußerem, bei Tieren wie bei Pflanzen. Schleim als bestenfalls irgendwie nützlich zu bezeichnen, wäre schwer untertrieben. Schleim ist untrennbar mit intakter Umwelt und Gesundheit verknüpft. Unterdrücken wir also unsere Abneigung gegen den Glibber und befassen uns mit der Frage: Was genau ist eigentlich Schleim?

Diese Frage ist zentral für das vorliegende Buch. Doch ist Schleim nur ein Wort für einen Zustand, der sich so wenig greifen lässt wie das Material selbst. Er ist „steifes Wasser” – ein Hydrogel, das je nach Funktion als Gleitmittel, Klebstoff, Schutzhülle, Munition oder Stabilisator mit zusätzlichen Molekülen ausgerüstet wird. Er kommt in so vielen unterschiedlichen Varianten vor, dass der Biofilm-Experte Hans-Curt Flemming von der Universität Duisburg-Essen meint, Schleim sei eher eine Stoffeigenschaft denn ein Material. Forschende sprechen je nach Disziplin von extrazellulären polymeren Substanzen (EPS), Polysacchariden, nichtnewtonschem Fluid, Mucus und Mucilage, Ausfluss und Auswurf, Biofilmen oder auch von Meeresschnee.

Wedlich führt anekdotenreich durch viele verschiedene Schleimwelten. Natürlich dürfen in einem solchen Buch Schnecken, Froschlaich, von Krankheiten verursachter Schleim und die Ghostbusters nicht fehlen – und genauso wenig die Schleimaale. Diese ultimativen Schleimtiere benutzen ihren verblüffend effizienten Schwabbel als Waffe, die sogar vor beißwütigen Haien schützt. Allerdings nicht vor vielen koreanischen Mitbürgern – für sie gilt Schleimaal als Delikatesse. Es fehlen auch nicht die Stromatolithen, die zu Stein gewordenen Cyanobakterien und ältesten Fossilien aus dem Präkambium (an wenigen Stellen dieser Erde ‚wachsen” sie noch heute).

Gigantische Biofilme

Man erfährt aber auch vom Haeckel’schen Urschleim; von der These, dass die ersten Organismen im Schleim entstanden sind; und von der „Haut der Ozeane”. Darunter versteht man eine dünne Schicht Schleim, die heute die gesamte Meeresoberfläche bedeckt. Dieser gigantische Biofilm enthält viele verschiedene marine Arten, aber auch Proteine und Fette. Die auch als Neuston bezeichnete Schicht ist durch Erwärmung, Ansäuerung und Überfischung bedroht. Das terrestrische Pendant dazu sind biologische Bodenkrusten [Anm. d. Red.: Ausführlich über biologische Bodenkrusten spricht eine Grazer Ökologin im Journal-Club ab Seite 36 Link]. Werden sie zerstört, beispielsweise durch landwirtschaftliche Nutzung, kann das verheerende Folgen haben. Das erlebten die Bewohner der Great Plains der USA in den 1930er-Jahren.

Das Buch wartet nicht nur mit physikalischen, biologischen, chemischen und geologischen Fakten auf, es enthält auch Exkurse in die Geschichte und Kulturhistorie. Die Zusammenhänge erscheinen mitunter ziemlich konstruiert. Da hat sich die Autorin von ihrer eigenen Schleim-Ekstase etwas zu sehr mitreißen lassen, doch interessant sind auch diese Geschichten allemal.

Sich über Schleim mal gründlich zu informieren, ist keine dumme Idee. Denn infolge des Klimawandels und der Anwesenheit des Menschen steht uns nämlich das Myxozän bevor, das Zeitalter des Schleims. Das meint beispielsweise der französische Meeresbiologe Daniel Pauly. Und dann bleibt am Ende „Schleim und nichts als Schleim”. Übrigens: Auf RiffReporter, einer Online-Plattform für freien Journalismus, veröffentlicht die Schleim-Enthusiastin regelmäßig Beiträge zu weiteren glitschigen Erkenntnissen. Beispielsweise dass man früher Eierglibber für Fotos brauchte und dass Korallenriffe eigentlich schleimige Superorganismen sind.



Letzte Änderungen: 07.10.2022