Wachstumsselektion
optimiert Enzyme

(14.12.2022) Amin-umwandelnde Enzyme sind Meister der asymmetrischen Synthese. Mit einem einfachen Selektions-System findet man die besten Kandidaten.
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Editorial

Amine haben viele Gesichter. In der Natur findet man einfach gestrickte Amine, beispielsweise Glycin, genauso wie äußerst komplizierte, wie das halluzinogene Mescalin. Im Gehirn werden Spuren bestimmter Amine mit der Alzheimer-Erkrankung in Verbindung gebracht (Neural Regen Res, 16(7): 1394–6); Aminverbin­dungen sind aber auch in Medikamenten sehr häufig vertreten (siehe „Amines“ in der Drugbank).

Entsprechend begehrt sind Strategien, mit denen sich Amine verändern, biosynthetisch in größeren Mengen gewinnen oder gezielt abbauen lassen. Die hierzu benötigten Amin-umwan­delnden Enzyme sind genauso vielfältig wie ihre Substrate. Und sie haben ein Alleinstellungs­merkmal, das nicht nur für die Wirkstoff­forschung interessant ist – im Gegensatz zu den meisten chemischen Synthesen generieren sie stereo­selektiv chirale Amine.

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Konzept mit E. coli

Uwe Bornscheuers Team an der Universität Greifswald entwickelte ein einfaches, für den Hochdurchsatz geeignetes Konzept, mit dem man Amin-bildende oder Amin-umwandelnde Enzyme selektio­nieren und optimieren kann. Dazu kultivierte die Gruppe E. coli auf einem Minimal­medium, auf dem nur Zellen wachsen können, die ein gewünschtes Amin-modulierendes Enzym exprimieren. Nur diese Zellen sind imstande, die einzig verfügbare Stickstoff­quelle zu mobilisieren.

Als Testobjekte für das System dienten dem Team jeweils eine Transaminase aus der Enzymklasse EC 2, eine Monoamin-Oxidase (MOA) aus der Enzymklasse EC 1 sowie eine Ammonium-Lyase als Vertreterin der Klasse EC 4. Die Transaminase wandelt ihr Substrat (Ziel-Amin) mithilfe des Co-Substrats Pyruvat in L- oder D-Alanin um. Bakterien­zellen, die das Ziel-Amin nicht verwerten können, wachsen auf einem chemisch definierten M9-Medium nicht, welches nur dieses Amin als Stickstoff­quelle enthält – denn ihnen fehlt Alanin als einzige und leicht verwertbare Stickstoff­quelle. Transformierte Zellen, die ein Transaminase-Konstrukt tragen, haben je nach Expressions­stärke und spezifischer Enzym­aktivität hingegen reelle Überlebens­chancen. Die entsprechenden Klone erscheinen nach dem Ausplattieren der Transformations­ansätze als Kolonien auf dem M9-Medium.

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Ähnliches Spiel

Bei der Monoamin-Oxidase läuft das Spiel ganz ähnlich ab. Sie überführt ihr Substrat in ein Imin und wandelt dabei Sauerstoff zu Wasserstoff­peroxid um. Das Imin dient Bakterien­klonen, die eine aktive Monoamin-Oxidase synthetisieren, als Stickstoff­quelle, denn es durchläuft eine Auto­hydrolyse und reagiert mit Wasser zu einer Ketoverbindung sowie Ammoniak. Die Ammonium-Lyase katalysiert schließlich die reversible Konversion einer ungesättigten Fettsäure zu dem Ziel-Amin sowie Ammoniak. An die Stickstoff­quelle kommen auch hier nur Zellen heran, die die Ammonium-Lyase exprimieren.

Die stereoselektiven Enzyme können eine chirale Form [(S)- oder (R)-Enantiomer] aus einem Razemat beseitigen, sodass nur die gewünschte Form übrigbleibt. Um möglichst effektive Enzyme zu erhalten, nutzten die Greifswalder den E.-coli-Stamm BL21(D3), der nur mit sehr wenigen Stickstoff­verbindungen etwas anfangen kann. Die Zellen transformierten sie mit einer Bibliothek von Expressions-Konstrukten für die Amin-umwandelnden Enzyme, die von unterschiedlich starken Promotoren angetrieben wurden. Durch Zufalls­mutationen oder gezielte Mutagenese, beispielsweise an einzelnen Aminosäuren im aktiven Zentrum, lagen die für die Enzyme codierenden Gene in vielen Varianten vor.

Evolution in zwei Runden

Den starken Promotor nutzte die Gruppe, um zunächst Klone mit aktiven Enzym-Varianten zu finden. In der zweiten Evolutions­runde diente diese Variante als Ausgangspunkt für die Expression mit einen schwächeren Promotor. Die hierdurch selektionierten Klone enthielten schwach exprimierte aber sehr aktive Enzym-Varianten.

Die besten Kandidaten selektionierte das Team, indem sie die Bibliothek mit den Transformanten direkt auf M9-Agarplatten ausstrich oder erst in M9-Flüssigmedium anreicherte und danach auf LB ausplattierte. Anschließend sequenzierten die Greifswalder die Klone und maßen die Aktivität der isolierten Enzyme. Im Gegensatz zu anderen Evolutions-basierten Strategien genügen für das Verfahren ein bis zwei Selektions­runden.

Die Forscher und Forscherinnen nutzten die Technik beispielsweise, um eine Cyclo­hexylamin-Oxidase von Brevibacterium oxydans zu selek­tionieren. Mit dieser stellten sie anschließend in einer Derazemisierungs-Reaktion eine chirale Amin-Vorstufe des Medikaments Cinacalcet her. Eine zusätzlich exprimierte Katalase verhinderte, dass das von dem Enzym produzierte Wasserstoff­peroxid für die Zellen zur Gefahr wurde.

Andrea Pitzschke

Wu S. et al. (2022): A growth selection system for the directed evolution of amine-forming or converting enzymes. Nature Communications, 13:7458

Bild: Wu et al.