Der perfekte
Zeitpunkt
(17.03.2022) Genau den hat sich das Düsseldorfer Start-up DNTOX ausgewählt, um seinen In-vitro-Neurotoxizitätstest zu vermarkten. Die Nachfrage ist groß.
Schwangere müssen besonders vorsichtig sein, um das Ungeborene nicht zu gefährden. Das gilt insbesondere auch beim Umgang mit Chemikalien und Arzneimitteln. Diese können während der Schwangerschaft Nervenzellen des Fötus schädigen, indem sie Teilung, Differenzierung und Migration der Zellen hemmen. Schlimmstenfalls wird dabei die Gehirnentwicklung des Ungeborenen gestört, es kommt im späteren Leben häufig zu Entwicklungsverzögerungen, Lernschwäche, Hyperaktivitäts- oder Aufmerksamkeitsdefizitstörungen.
Bevor sie auf den Markt kommen, müssen Substanzen, die für das erwachsene Gehirn schädlich sind, daher laut Gesetz auch auf ihren Einfluss auf das sich entwickelnde Gehirn überprüft werden. Man untersucht die sogenannte Entwicklungsneurotoxizität. Diese Prüfungen werden derzeit hauptsächlich in Tierversuchen mit Nagern durchgeführt. Diese sind nicht nur zeitaufwendig und teuer, sondern auch ethisch höchst umstritten. Außerdem lassen sich ihre Ergebnisse nur bedingt auf den Menschen übertragen.
Kostengünstig und zuverlässig
Höchste Zeit für Alternativen! Regulierungsbehörden wie die EFSA (European Food and Safety Agency) sind schon seit einiger Zeit daran interessiert, in den Regulierungsprozess von beispielsweise Pflanzenschutzmitteln Tierversuchs-freie In-vitro-Methoden zur Untersuchung der Entwicklungsneurotoxizität mit einzubeziehen. Zum Glück beschäftigen sich viele Wissenschaftler mit diesem Thema. So auch Ellen Fritsche, die am IUF – Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf die Arbeitsgruppe Entwicklung von Alternativmethoden zur umwelttoxikologischen Testung leitet.
Seit zehn Jahren forscht sie mit ihrem Team an einem In-vitro-Testsystem, das die schädigende Wirkung von Substanzen auf die Gehirnentwicklung von menschlichen Föten überprüft. „Das Testsystem ist eine auf humanen Zellen basierende Testbatterie, die in ihrer Gesamtheit basale Schlüsselprozesse der menschlichen Gehirnentwicklung in vitro abbildet und die Entwicklungsneurotoxizität von Substanzen deutlich kostengünstiger, schneller, zuverlässiger, mit höherer Relevanz für den Menschen und ohne den Einsatz von Tieren identifiziert“, berichtet Fritsche.
Gleichzeitig analysiert
Für das Testsystem werden neurale Stammzellen, 3D-Neurosphären, kultiviert, die Einblicke in verschiedenste Prozesse der Gehirnentwicklung ermöglichen und zwar gleichzeitig. „Das bedeutet, dass unterschiedliche Entwicklungsprozesse, die im gesamten Organismus gemeinsam ablaufen (die Migration neuraler Vorläuferzellen, die multizelluläre Differenzierung und Reifung), auch in unserem In-vitro-Testsystem gleichzeitig passieren“, erklärt die Wissenschaftlerin. So können die Vorläuferzellen Zell-Zell-Kontakte zwischen unterschiedlichen Zelltypen ausbilden und damit einen Organ-typischen Zellverband aufbauen. Diese Eigenschaft ist ein großer Vorteil für die Übertragbarkeit der Testergebnisse und bisher ein Alleinstellungsmerkmal des In-vitro Testsystems von Fritsche & Co. Zudem haben Fritsche und ihr Team das Neurosphären-System auch mit Nager-Zellen etabliert. „Das ermöglicht den Vergleich von humanen In-vitro-Versuchen mit Ergebnissen aus dem Tierversuch und damit ebenfalls die Extrapolation auf den Menschen“, erklärt Fritsche.
Schon frühzeitig kam die Idee auf, den Neurosphären-Assay auch kommerziell anzubieten und somit effektiv nutzbar zu machen. Fritsche erzählt: „Zu einer gelungenen Vermarktung gehören nicht nur die springende Idee und die wissenschaftlich exzellente Durchführung, der Markt muss auch bereit sein. In den letzten Jahren hat er sich gerade durch die Forcierung der Behörden dahingehend entwickelt, dass mehr Daten für die Entwicklungsneurotoxizität regulatorisch gefordert werden. Es herrscht Einigkeit, dass diese Daten nicht mit dem klassischen Tierversuch zu generieren sind.“
Breit aufgestelltes Team
Der Bedarf wird bisher weltweit von niemandem gedeckt. Für Fritsche und ihr Team also genau der richtige Zeitpunkt durchzustarten. Am 4. März dieses Jahres hat sie mit sechs weiteren Gründern die DNTOX GmbH aus der Taufe gehoben. Mit im Team sind die drei Wissenschaftler Katharina Koch (Bild rechts), Kristina Bartmann (2. v. l.) und Stefan Masjosthusmann (2. v. r.), die alle an der Entwicklung des Assays beteiligt waren. Mit ihnen bildet Fritsche das Zell-/Assaykompetenz-Team der DNTOX. Außerdem mit von der Partie sind die beiden Bioinformatiker Axel Mosig und Arif Dönmez, mit denen Fritsche seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitet. In der Geschäftsführung ist neben Fritsche Ökonomin Silke Beaucamp für alle kaufmännischen Angelegenheiten zuständig.
Der Firmenname DNTOX ist ein Akronym aus Developmental NeuroTOXicity, also Entwicklungsneurotoxizität. „Ursprünglich war DNTOX nur der Arbeitstitel für unser Gründungsvorhaben, aber inzwischen ist der Name so bekannt und wir verbinden mit dem Namen und der Gründungsphase so viel Positives, dass wir uns entschlossen haben, DNTOX tatsächlich als Unternehmensnamen zu behalten“, erzählt uns die frischgebackene Firmengründerin.
Dass DNTOX schon einen gewissen Bekanntheitsgrad vorweisen kann, kommt nicht von ungefähr. Erst kürzlich überzeugte das DNTOX-Team mit seiner Geschäftsidee die Jury des Science4Life Venture Cups, einem Business-Plan-Wettbewerb, der jungen Gründern die Möglichkeit bietet, ihre Geschäftsidee auf Herz und Nieren prüfen zu lassen und sie bei der Erstellung von Businessplänen unterstützt. Fritsche berichtet stolz: „Mit DNTOX bei Science4Life prämiert worden zu sein, ist für das gesamte Team nochmals eine Bestätigung für die Marktfähigkeit unserer Innovation und des gesamten Unternehmenskonzepts.“ Zuvor hatte das Projekt bereits bei BioRiver Boost!, einem weiteren Life-Science-Start-up-Wettbewerb, den Preis als bestes Start-up 2021 abgesahnt. Und auch beim Start-up-Wettbewerb der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat DNTOX bereits sowohl den Wettbewerb selbst als auch den Publikumspreis und damit ein Gründerstipendium gewonnen.
Schon weltweit genutzt
Aktuell wird das Testsystem der Düsseldorfer Wissenschaftler in einen Leitfaden der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kooperation) aufgenommen, der gerade vorbereitet wird und regulatorisch angewendet werden soll. „Die Assays sind bereits verfügbar und wurden schon genutzt, um im Auftrag der EFSA und auch des National Toxicology Programs (NTP) des US-amerikanischen Department of Health and Human Services Chemikalien auf ihr entwicklungsneurotoxisches Potential zu testen“, erzählt Fritsche. Die geplante Markteinführung zeitnah nach der Gründung sollte daher für DNTOX kein Problem sein.
Eva Glink
Bild: Science4Life Venture Cup
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