„Es gibt noch keine überzeugende Alternative“
(07.12.2020) Die Berliner Politik will Forschung ohne Versuchstiere. Das ist aber (noch) unmöglich und unethisch, sagt die DRFZ-Tierschutzbeauftragte Anna Pfeffer.
Laborjournal: Die neue Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin Kathrin Herrmann möchte die Stadt zur Hauptstadt der tierfreien Forschungsmethoden machen. Welche Anstrengungen unternimmt Ihre Institution, das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ), um Tierversuche zu minimieren?
Anna Pfeffer: Das beginnt bereits in der Planung von Versuchsvorhaben. Das deutsche und das EU-Recht verbieten den Einsatz von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken, wenn eine alternative Methode verfügbar ist. Die Antragstellenden des DRFZ sind im Verfahren zur Genehmigung von Tierversuchen verpflichtet nachzuweisen, dass ihre wissenschaftliche Fragestellung nicht ohne den Einsatz von Tieren beantwortet werden kann. Dies geschieht anhand von Fachpublikationen und Recherchen in Datenbanken für Alternativmethoden. Wo immer möglich, setzen unsere Forschenden Ersatzmethoden wie beispielsweise Zellkulturen oder Organoide ein. Ist keine geeignete Alternativmethode verfügbar, muss die Anzahl der Tiere für das Versuchsvorhaben auf das unerlässliche Minimum begrenzt werden.
Wie setzt das DRFZ die 3R (Replace, Reduce, Refine) konkret um?
Pfeffer: Auch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus setzt sich das DRFZ klar für die 3R ein. So konnten wir eine Mikroskopie-Methode etablieren, die es ermöglicht, mehr als 50 Marker in einer histologischen Gewebeprobe zu analysieren (Cytometry A, 93(9):876-88). Dies übersteigt die Anzahl mittels konventioneller Mikroskopie messbarer Parameter um ein Zehnfaches, womit eine wesentlich geringere Anzahl von Proben benötigt wird und sich auch die Anzahl benötigter Versuchstiere erheblich reduziert (Reduce). Gleichzeitig erhöht sich durch die parallele Detektion innerhalb einer Probe auch die Aussagekraft der Daten (Refine). Zudem konnte die Methode auf die Untersuchung von menschlichem Gewebe ausgeweitet werden und ersetzt an dieser Stelle die Tierversuche (Replace). Das Projekt wurde neben der aktiven Unterstützung durch das DRFZ auch durch Fördergelder im Rahmen der 3R-Initiative der Charité-Universitätsmedizin Berlin ermöglicht. Wir begrüßen daher die Ankündigung der Landestierschutzbeauftragten zur Förderung von Alternativmethoden.
Ist es in Ihrer Disziplin überhaupt möglich, gänzlich auf Tierversuche zu verzichten?
Pfeffer: Am DRFZ werden Tierversuche auf dem Gebiet der Autoimmun-Erkrankungen durchgeführt. Eines der Hauptziele dabei ist, die Rolle unterschiedlichster Komponenten des Immunsystems bei der Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Entzündungen zu untersuchen, beispielsweise bei der Rheumatoiden Arthritis. Während einzelne Interaktionen immer besser in Gewebekultur untersucht werden können – ein Gebiet, auf dem das DRFZ führend ist – sind für das systemische Verständnis Untersuchungen in Modellorganismen leider unabdingbar. Dies ist insbesondere nötig, um neue Therapiekonzepte in präklinischen Versuchen zu überprüfen, bevor sie am Menschen in klinischen Versuchen eingesetzt werden. Am DRFZ wurde so zum Beispiel eine neue Methode zur Antigen-spezifischen Ablation von Autoantikörper-sezernierenden, pathogenen Plasmazellen entwickelt (Eur J Immunol, 50(2):284-91). Sie kommt bei Antikörper-vermittelten Autoimmun-Krankheiten zum Einsatz.
Sind Tiermodelle für die biomedizinische Forschung wirklich so schlecht wie von den Tierschutz-Anhängern postuliert? Sind tierfreie Systeme allein ausreichend?
Pfeffer: In einem Interview mit der TAZ vom 11.11.2020 traf die Landestierschutzbeauftragte Frau Hermann die Aussage, dass chronische Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer nicht am Tier nachstellbar seien. Es ist zwar wahr, dass die meisten Krankheiten des Menschen nicht exakt in einem Tiermodell nachstellbar sind, zumal nicht in einem kurzlebigen Nagetier wie der Maus. Dies ist jedoch auch gar nicht der Anspruch. Im Tiermodell werden grundlegende Mechanismen untersucht, die beim Menschen aus den verschiedensten Gründen so nicht untersucht werden können, beispielsweise weil es keine Möglichkeit der systemischen Analyse durch Mutagenese gibt. Die Tatsache, dass wir für sehr viele Krankheiten, insbesondere solche, bei denen das Immunsystem beteiligt ist, auch heute noch keine heilenden Therapien haben, zeigt, dass wir diese Krankheiten nicht gut genug verstehen. Wir können sie also nicht nur im Reagenzglas untersuchen oder an isolierten Zellen oder Zellhaufen. Dieses mangelhafte grundlegende Verständnis ist ja auch ein Grund, warum die tierfreien Systeme oft widersprüchliche Ergebnisse liefern, je nachdem, wie sie durchgeführt werden. Deshalb sind Tierversuche leider auch heute noch unverzichtbar.
Wäre es überhaupt vertretbar, gänzlich auf Tierversuche zu verzichten bei Produkten, die für die Verwendung am Menschen bestimmt sind?
Pfeffer: Tests neuer Substanzen am Tier vor dem Einsatz beim Menschen sind essentiell und zum Teil auch rechtlich vorgeschrieben, da der Einsatz eines neuen Medikaments beim Menschen ohne vorherige Untersuchung im Tier potentiell die Gefahr schwerer Nebenwirkungen birgt. Deren Inkaufnahme halten wir für ethisch nicht vertretbar. Zu diskutieren wäre jedoch, ob neue Stoffe, die bereits bekannten und ausführlich getesteten Stoffen sehr ähnlich sind, tatsächlich wieder ausführlich in Tierversuchen getestet werden müssen, bevor sie in klinischen Versuchen am Menschen eingesetzt werden. Ein Beispiel wären generische Impfstoffe, die auf bekannten Plattformen aufbauen, und die durch den Verzicht auf oder die Minimierung von Tierversuchen eventuell schneller dem Menschen zur Verfügung stehen könnten. Hier kann die Reaktion der menschlichen Immunzellen tatsächlich ex vivo besser erkannt werden, als man sie im Tiermodell nachstellen kann, weil genetische Heterogenität und immunologische Kreuzreaktionen des Menschen sich im Tier nicht modellieren lassen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Tierversuche?
Pfeffer: Die starke mediale Präsenz der Tierversuchsgegnerschaft lässt einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Konsens über die generelle Ablehnung von Tierversuchen vermuten. Aus direkten Gesprächen gewinnen wir allerdings den Eindruck, dass viele Mitbürger und Mitbürgerinnen Tierversuche nicht kategorisch ablehnen, sondern sie sogar befürworten, sofern sie einem nachvollziehbaren und sinnvollen Zweck dienen, wie der Erforschung und Heilung von Krankheiten. Es ist daher Aufgabe der Wissenschaft, mit der Bevölkerung in Dialog zu treten und über den Nutzen von Tierversuchen aufzuklären. Eine Plattform dafür ist das Portal „Tierversuche verstehen“, an welcher sich auch das DRFZ beteiligt.
Was würde es für den Forschungsstandort Berlin bedeuten, wenn alle Tierversuche eingestellt werden müssten?
Pfeffer: Ein Stopp aller Tierversuche in Berlin würde die Stadt als Standort biomedizinischer Forschung bedeutungslos machen. Aus den oben angeführten Gründen sind Tierversuche derzeit für die Forschung und die Entwicklung von neuen Behandlungsmethoden noch ohne überzeugende Alternative. Spitzenforscher würden Berlin verlassen, neue würden nicht nach Berlin kommen. Ein Verbot aller Tierversuche würde darüber hinaus das Ende der Entwicklung von Alternativmethoden in Berlin bedeuten. Da diese Methoden den Anspruch haben einen lebenden Organismus zu modellieren, sind für ihre Entwicklung Tierversuche notwendig. Alternativmethoden sind auch nicht gleichzusetzen mit einem Verzicht auf Tierversuche (Replacement), denn Zellkulturen und Organoide erfordern in vielen Fällen die Entnahme von Zellen aus Tieren, also einen Tierversuch nach § 4 Tierschutzgesetz. Statt zur Hauptstadt der Alternativmethoden würde Berlin also zum Verlierer des Wettbewerbs um biomedizinische Spitzenforschung.
Das Interview führte Bettina Dupont
Bilder (2): Jacqueline Hirscher/DRFZ