Editorial

„Ich wünsche mir mehr
Aktivitäten wie unsere“

(14.03.2024) Sagt Marco Janezic, Co-Chef der Göttinger Life Science Factory, und verbindet damit einen Appell an die Politik, mehr Geld in die Zukunft von Biotech zu investieren.
editorial_bild

Marco Janezic (links) und Sven Wagner (beide Managing Director) bei der Eröffnung der Life Science Factory 2022.

Seit 2019 unterstützt die Life Science Factory in Göttingen Gründungsprojekte aus den Lebenswissenschaften. Initiiert wurde es einst vom Laborzulieferer Sartorius. Was die Life Science Factory genau tut und wie eng die Verbindung zum Mutterkonzern Sartorius noch ist, haben uns die beiden Chefs der Factory Tatjana Kasper und Marco Janezic erzählt.

Wie sind Sie überhaupt bei der Life Science Factory gelandet und was haben Sie vorher gemacht?
Marco Janezic: Ich bin Theoretischer Physiker und nach dem Studium erstmal ins Investment-Banking gegangen. Danach ins Unternehmertum. Ich habe als klassischer Tech-Unternehmer begonnen und einige Firmen gegründet. Eine dieser Firmen habe ich dann an Yahoo verkauft und bin so mit dem Silicon Valley in Kontakt gekommen. Da habe ich gemerkt, dass es in Deutschland an diesem Unternehmertum mangelt und ich möchte das nun zum einen als Unternehmer, zum anderen im Rahmen meiner Tätigkeit für die Life Science Factory ändern.
Tatjana Kasper: Ich bin durch und durch Betriebswirtin. Als Bilanzbuchhalterin habe ich lange in einem S-DAX-Konzern gearbeitet. Ich bin hier in Göttingen groß geworden und habe dann schon sehr früh mit der Life Science Factory und auch mit dem Life Science Valley über meinen damaligen Arbeitgeber Kontakt gehabt. Ich habe mich dann entschlossen, die Finanzwelt zu verlassen und hier in die Geschäftsführung mit einzusteigen, um Menschen und Organisationen weiterzuentwickeln.

Editorial

Angenommen ich bin ein Forschender, der ausgründen möchte oder schon ausgegründet hat. Wie komme ich da auf Sie zu?
Kasper: Wir arbeiten sowohl mit akademischen als auch außerakademischen Teams zusammen. Akademische Gruppen treten meist über die Transferbüros der Universitäten, mit denen wir Partner sind, an uns heran. Die Zusammenarbeit mit den Transferbüros beginnt oft schon vor der Gründung, sodass uns die Teams in dieser frühen Sensibilisierungsphase kennenlernen und wissen, dass wir unterstützen können. Aber darüber hinaus gibt es auch sehr viele Gruppen, die unabhängig von den Transferstellen auf uns zukommen, weil sie von uns hören oder über uns lesen. Diese Anbahnungsphase kann dann in zwei Wochen abgeschlossen sein und die Teams kommen bei uns auf die Infrastruktur. Teilweise arbeiten wir mit den Gruppen aber auch über ein Jahr zusammen. Wir begleiten und entwickeln die Projekte so weit, dass die Teams überhaupt in der Lage sind, bei uns zu arbeiten.

Welche Infrastruktur bieten sie den Teams?
Janezic: Unser Anspruch ist es, dass ein Team in unsere Räume kommt und innerhalb von 48 Stunden anfangen kann zu pipettieren. Im Vergleich zu anderen Anbietern vermieten wir auch keine Fläche, sondern Benches. Das funktioniert sehr flexibel: In einem Monat können Sie eine Bench mieten, im nächsten fünf, danach wieder drei und so weiter. Diese Benches sind in der Regel so ausgestattet, dass Sie gleich loslegen können. Das heißt, Sie müssen nicht erst irgendwie ein Vergabeverfahren durchführen und Dinge einkaufen, sondern das ist alles schon da. Einige Geräte, die besonders kostenintensiv sind, teilt man sich auch mit anderen Teams. Dazu kommen noch kostenlose Beratungsleistungen, da es den wissenschaftlichen Projekten oft an betriebswirtschaftlichem Wissen mangelt.

Während ihrer Zeit bei der Life Science Factory haben Sie schon einige Start-ups oder Projekte begleitet. Welches ist Ihnen denn da persönlich am besten in Erinnerung geblieben?
Kasper: Ich glaube, man kann das wirklich gar nicht auf ein Team reduzieren. Ich möchte aber mal ein Team hervorheben, das ein absolutes Highlight war und ein guter Proof of Concept der Life Science Factory. Das Team von Ucaneo Biotech hat sich in einem internationalen Acceleratoren-Programm kennengelernt und ist mit eigenen Mitteln auf unsere Fläche gekommen. Die haben sich hier eine Bench gemietet und mit einer Person an ihrem Projekt gearbeitet. Und tatsächlich hat dieses Team nach fünf, sechs Monaten bei uns ihren Proof of Concept so weit erbracht, dass sie eine siebenstellige Summe einsammeln und sich so weiterentwickeln konnten. Das Team beschäftigt sich mit CO2-Capture. Da sieht man auch, wie thematisch breit unser Ansatz ist.

Wie sieht es denn derzeit bei Ihnen aus? Wie viele Gründungsprojekte oder auch ausgegründete Unternehmen arbeiten derzeit in Göttingen? Sind auch schon Teams am neuen Standort in München aktiv?
Kasper: Auf der Laborfläche in Göttingen haben wir im Moment 13 aktive Teams mit unterschiedlichen Größen. Wir haben natürlich einen ganz starken Schwerpunkt im Biotech- und im Medtech-Bereich, aber darüber hinaus haben wir auch komplett digitale. Sonst gibt es bei uns 25 bis 30 Teams, die regelmäßig an unseren Coachings teilnehmen.
Janezic: In München sind wir bereits dabei, durch Beratung, Coaching und andere Veranstaltungen eine gewisse Awareness zu schaffen. Damit wir, wenn wir irgendwann mal das rote Band dort durchschneiden, nicht erst anfangen müssen zu erklären, was die Life Science Factory eigentlich ist und macht.

Wann ist denn geplant, das rote Band in München zu durchschneiden?
Janezic: Ach, haben Sie schon mal was gebaut? (lacht) Wir gehen fest davon aus, dass wir vor den bayerischen Sommerferien [ab 29.07.2024, Anm. der Red.] fertig sind. Es waren auch schon mal die Weihnachtsferien 2023. Es ist schwer, das genau zu datieren, aber so lange verschieben wie beim Berliner Flughafen wird es sich nicht.

Im Impressum Ihrer Website finden sich zwei Unternehmen. Das ist einmal die gemeinnützige Life Science Factory und die Life Science Factory Management GmbH. Wer macht da was?
Janezic: Letztendlich sind die beiden Gesellschaften als eine zu sehen. Der Grund ist, dass wir eine Mischung aus gemeinnützigen und nicht-gemeinnützigen Aktivitäten haben. So sind wir für alle Eventualitäten abgesichert. Zudem ist die gemeinnützige Life Science Factory das Hauptvehikel und ein Signal, dass Sartorius hier keine ökonomischen Ziele verfolgt. Aus gemeinnützigen Unternehmen können keine Dividenden abgezogen werden und die Teams, die bei uns arbeiten, sind auch in keiner Weise an Sartorius gebunden.

Jetzt sind Sie ja auch kürzlich innerhalb Göttingens in das Sartorius-Quartier – das ehemalige Werksgelände des Unternehmens – umgezogen. Wie unabhängig ist die Life Science Factory da wirklich?
Janezic: Na ja, zum einen sind wir eben gemeinnützig. Wir bekommen keine Anteile an den Teams, die bei uns sind, und das gilt auch für Sartorius. Des Weiteren hat der Konzern keine Einsicht in die Intellectual Property der Projekte. Hier wird ganz scharf getrennt, auch was Daten und Informationen angeht.
Kasper: Allerdings können die Teams so auch nicht erwarten, dass Sartorius unbedingt in sie investiert. Wir haben da keine Absprachen getroffen und vermitteln auch nichts. Das läuft komplett unabhängig. Sartorius hat sich zwar langfristig verpflichtet, die Life Science Factory finanziell zu unterstützen, aber sobald sich das Modell von alleine trägt, wird der Anteil, den der Konzern aufbringt, wahrscheinlich geringer.

Sie erhalten also derzeit noch Geld von Sartorius. Wie finanzieren Sie Ihren Betrieb darüber hinaus?
Janezic: Neben den Geldern von Sartorius erhalten wir als gemeinnütziges Unternehmen auch Fördermittel vom Land Niedersachsen. Das Ziel ist aber natürlich, ein profitables, nachhaltiges Geschäftsmodell zu etablieren. Das wollen wir zum einen über die Nutzungsgebühren für die Benches, zum anderen über die Vermittlung von Sponsorings und eigene Veranstaltungen realisieren.

Es scheint so, als bestehe in Deutschland das Problem für junge Start-ups oft darin, nach der Ausgründung Fuß zu fassen und irgendwie weitermachen zu können. Was tun Sie konkret, um diese Durststrecke bis zum ersten Risikokapital für die Teams zu erleichtern?
Janezic: Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Das Problem ist im letzten Jahr noch mal schlimmer geworden. Wir haben im Augenblick das größte Biotech-Beben seit 2008. Durch unsere Infrastruktur unterstützen wir ein Stück weit auch den Cashflow der Start-ups, aber das reicht natürlich nicht aus. Um den Projekten das Einwerben von Geldern zu erleichtern, organisieren wir eine ganze Reihe von Veranstaltungen, zu denen wir auch Investoren einladen. Wir arbeiten auch sehr eng mit der Agentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) und dem Hightech Gründerfonds (HTGF) zusammen. Als dritte Säule haben wir zusammen mit dem Land Niedersachsen einen Investment-Fond mit einer Zielgröße von etwa 20 Millionen Euro aufgesetzt, der die Projekte noch zusätzlich unterstützen soll. Um diese Problematik jedoch auf größerer Ebene zu bewältigen, würde ich mir wünschen, dass es in Deutschland mehr Aktivitäten wie unsere gäbe. Insofern ist das ein Appell an die öffentliche Hand, vielleicht noch ein bisschen mehr Geld in die Hand zu nehmen, um hier Wasser auf die Mühlen der Ökosysteme zu spülen.

Das Gespräch führte Tobias Ludwig

Bild: Life Science Factory


Weitere Artikel aus der Biotech-Welt


- Wirkstoff wechsel dich

Der Schweizer Pharmariese Novartis kauft die deutsche Morphosys. Ein genauerer Blick wirft allerdings die Frage auf: Wer übernimmt hier eigentlich wen?

- Status offen

Ausgeschlichen, auf Eis gelegt oder weiterentwickelt – was wurde aus den COVID-19-Wirkstoffkandidaten von Corat Therapeutics, Biotest und Formycon?

- Von Arexvy bis Zilucoplan

Über 70 Wirkstoffe bekamen 2023 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur den Daumen hoch – darunter Mittel gegen Krebs, Myasthenia gravis und Haarausfall.

 




Letzte Änderungen: 12.03.2024