Editorial

Wirkstoff wechsel dich

(07.03.2024) Der Schweizer Pharmariese Novartis kauft die deutsche Morphosys. Ein genauerer Blick wirft allerdings die Frage auf: Wer übernimmt hier eigentlich wen?
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Für die einen kam es überraschend, für die anderen eher nicht, Gerüchte gab es schon eine Weile. Seit Anfang Februar ist klar: der Schweizer Pharmakonzern Novartis wird sich die Planegger Morphosys einverleiben. Und zwar für nicht weniger als 2,7 Milliarden Euro.

Morphosys gehört zu den Biotech-Urgesteinen in Deutschland. Bereits 1992 legte das Unternehmen mit der Geschäftsidee los, Antikörper für Diagnostik, Therapie oder als Reagenzien beliebig optimieren zu wollen. Das Startkapital belief sich auf insgesamt 1,3 Millionen – damals noch – Deutsche Mark, erinnert sich der Mitgründer und damalige Geschäftsführer Simon Moroney in einem Interview mit Laborjournal von 2017. Im Gespräch erklärt er auch, was es mit dem Firmennamen auf sich hat. „Wir wollten Proteine so ändern, in ihrer Gestalt, dass die Funktion optimiert wird. Das ist wie die Entstehung eines Schmetterlings. Allerdings dachte ich auch: Metamorphosis, auf Englisch, so kann man keine Firma nennen. Aber was wäre, wenn wir das meta wegnehmen?“. Gesagt, getan.

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Was lange währt, ...

Nach der Gründung war jedoch erstmal Geduld gefragt. Noch bis zum Ende der 1990er-Jahre sollte es dauern, bis die der Antikörper-Optimierung zugrunde liegende humane kombinatorische Antikörperbibliothek namens HuCAL tatsächlich einsatzbereit war. „Bei dieser Technologie wird das humane Antikörperrepertoire durch kombinatorische DNA-Synthese nachgeahmt und die erhaltenen zehn Milliarden Antikörpervarianten mittels Phagendisplay auf die Bindung des entsprechenden Zielmoleküls (Antigens) getestet“, erklärte der damalige Morphosys-Forschungsvorstand Markus Enzelberger in einem Laborjournal-Essay aus dem Jahr 2017.

Die feinabgestimmte HuCAL-Bibliothek spuckte wiederum einige Jahre später (im Jahr 2005) einen Antikörper aus, der Morphosys endlich auf die Erfolgsspur brachte. Das wiederum sollte weitere 12 Jahre dauern. Erst im November 2017 erhielt Guselkumab (Handelsname Tremfya) die Zulassung in Europa zur Behandlung der Schuppenflechte (Psoriasis). Guselkumab bindet an Interleukin-23 und verhindert dessen proinflammatorische Aktivitäten. Mehr als zwei Milliarden US-Dollar Umsatz soll der Antikörper laut Moroney im Jahr 2021 gemacht haben. Morphosys hat davon nur bedingt etwas, denn die Weiterentwicklung und Vermarktung von Guselkumab haben die Planegger dem US-amerikanischen Pharmaunternehmen Janssen Biotech überlassen.

Gemeinsam mit den Großen

Immer wieder hat Morphosys in seiner langen Geschichte mit großen Firmen zusammengearbeitet, denn allein ist die Entwicklung eines Wirkstoffs nicht zu schaffen. „Wir wollen so viele Produkte wie möglich mit unserer Technologie entwickeln lassen. Das geht nur in Kooperation mit den Großen, die das Geld für Entwicklung und Vermarktung haben“, sagte Moroney dem Spiegel bereits 2004. So arbeitete Morphosys mit Roche am Alzheimer-Antikörper Gantenerumab, der zwar 2021 von der FDA den „Breakthrough-Therapy“-Status verliehen bekommen hat, in klinischen Studien allerdings nicht vollends überzeugen konnte (wir berichteten). Von 18 klinischen Studien im Studienregister clinicaltrials.gov sind momentan zehn als „completed“ gelistet, sechs wurden „terminated“, eine „suspended“; nur für eine Phase-2/3-Studie werden Patienten rekrutiert. In der Pipeline von Morphosys ist Gantenerumab aktuell nicht aufgeführt.

Auch mit Novartis hatte Morphosys immer wieder intensive Kontakte. „Wir haben bei sehr, sehr vielen Projekten zusammengearbeitet“, erinnert sich Moroney in einem BioM-Podcast von 2022. „Die Novartis-Partnerschaft war besonders wichtig für [Morphosys] wegen ihres Ausmaßes und ihrer Dauer.“ Herausgekommen sind dabei im Besonderen die zwei Antikörper Ianalumab und Bimagrumab. Ianalumab verhindert, dass das BAFF-Protein (B-cell activating factor) an seinen Rezeptor bindet, was normalerweise die Differenzierung, Proliferation und das Überleben von B-Zellen sichert. Zu viel BAFF führt allerdings zu Autoimmunerkrankungen. Der Antikörper wird daher von Novartis zur Therapie des Sjögren-Syndroms, des systemischen Lupus erythematodes und der Immunthrombozytopenie untersucht.

Von Europa nach Amerika

Bimagrumab ist gegen den Activin-Typ-II-Rezeptor gerichtet. Eigentlich wollte Novartis damit die sogenannte Einschlusskörpermyositis, eine entzündliche Muskelerkrankung, kurieren. Eine klinische Studie brachte jedoch nicht die erwünschten Ergebnisse. Novartis entschloss sich daher, den Antikörper aus der eigenen Entwicklungs-Pipeline zu werfen, und gab ihn für die Einlizenzierung durch andere frei. Biotech-Investment-Firma Aditum Bio, gegründet unter anderem vom ehemaligen Novartis-Chef Joe Jimenez, schnappte 2021 zu und gründete kurzerhand Versanis Bio, um Bimagrumab weiterzuentwickeln. Allerdings nicht gegen Myositis, sondern zur Behandlung von Fettleibigkeit (aktuell in einer Phase-2-Studie). Im Juli 2023 kaufte schließlich der Pharmakonzern Eli Lilly Versanis Bio plus „deren“ Wirkstoff-Kandidaten Bimagrumab. So ging die Reise also von Planegg über Basel nach New York und zur (vorerst) letzten Station Indianapolis.

Morphosys hat sich allerdings nicht nur auf seine Antikörperbibliothek verlassen. Bereits 2010 haben die Bayern damit begonnen, auch Wirkstoff-Kandidaten von außerhalb einzukaufen. Zum Beispiel den Anti-CD19-Antikörper Tafasitamab (Handelsname Minjuvi bzw. Monjuvi) vom US-amerikanischen Unternehmen Xencor. An der Entwicklung waren übrigens auch zwei Kieler Forscher beteiligt (Cancer Res, 68 (19): 8049–57). Die Zulassung in der EU zur Behandlung des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms erfolgte 2021.

Die vollständige Abkehr von Antikörpern vollzog Morphosys dann ebenfalls 2021 mit dem Kauf der Epigenetik-Experten von Constellation Pharma für geschätzte 1,7 Milliarden US-Dollar. Der Deal spülte die beiden Antikrebsmittel Pelabresib und Tulmimetostat in das Portfolio der Planegger. Pelabresib ist ein Small-Molecule-Inhibitor, der an BET-Proteine (bromodomain and extra-terminal proteins) bindet und dadurch deren Interaktion mit acetylierten Histonen verhindert. Das stört die Genexpression und die Chromatin-Remodellierung. BET-Proteine sollen bei der Myelofibrose, bei der blutbildende Zellen im Knochenmark durch Bindegewebe überwuchert werden, einen Rolle spielen. Tulmimetostat ist ebenfalls ein Inhibitor, er bindet und unterdrückt die Aktivität der Histon-Methyltransferase EZH2, die besonders üppig von sich teilenden Tumorzellen exprimiert wird. Aktuell befindet sich Tulmimetostat in zwei Phase-1-Studien: bei Mycosis fungoides, eine Art Lymphom, und bei Patientinnen mit Eierstockkrebs. Die Wirkstoff-Reise nimmt hier also den umgekehrten Weg von Boston über Bayern nach Basel.

Kapitel beendet

Vorangetrieben hat die Entwicklung hin zu Krebs und weg von Antikörpern auch Jean-Paul Kress, der Simon Moroney 2019 nach 27 Jahren an der Spitze des bayrischen Biotech-Unternehmens ablöste. Mit der Übernahme von Constellation Pharma sollte ein „wichtiges neues Kapitel“ in der Unternehmensgeschichte begonnen werden. Das mit der Novartis-Übernahme nun aber bereits wieder zu Ende ist.

Morphosys’ ehemaliger Chef hingegen suchte sich eine neue Beschäftigung – seit Februar 2020 ist Simon Moroney im Aufsichtsrat von … richtig, Novartis, seit März 2022 sogar Vize-Vorsitzender. Gelockt hat ihn zu den Schweizern Jörg Reinhardt, aktueller Vorstandsvorsitzender und von 2001 bis 2004 im Aufsichtsrat von Morphosys. Gemeinsam wollen Moroney und Reinhardt die Firmenkultur bei Novartis umkrempeln: Flache Hierarchien, eine offene Diskussionskultur. „Besonders junge Leute wollen nicht in eine Firma kommen und gesagt kriegen, was sie zu tun haben. [...] Wenn wir also schlaue Leute anlocken wollen, müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Ideen zu äußern und wir müssen ihre Vorschläge auch anhören“, sagte Moroney im BioM-Podcast. Ganz so wie früher bei Morphosys.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/geralt


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Letzte Änderungen: 07.03.2024