Editorial

Eine klebrige
Angelegenheit

(21.12.2023) In Darmstadt bastelt das Start-up-Projekt MoProX mit molekularen Klebern, um bisher unerreichbare Teile des menschlichen Proteoms therapeutisch zu erschließen.
editorial_bild

Das Prinzip ist einfach und meist dasselbe: Ein Hemmstoff schmiegt sich in die Bindetasche eines Proteins und verhindert so, dass es sich dessen eigentlicher Ligand hier gemütlich machen kann. „Allerdings verfügen nur etwa 15 Prozent der Proteine unseres Proteoms über so eine Bindetasche. Den großen Rest bezeichnet man deshalb auch als undruggable, also bisher nicht therapeutisch nutzbar“, erzählt Thomas Geiger. Er ist Postdoc in der Forschungsgruppe von Felix Hausch an der TU Darmstadt und federführend beim Gründungsprojekt MoProX.

Die Darmstädter haben es sich zur Aufgabe gemacht, das unerreichbare Proteom für Medikamente erreichbar zu machen. Dabei setzen sie auf molekulare Kleber. Spezielle Vertreter diese Substanzklasse werden zwar bereits seit einigen Jahrzehnten therapeutisch eingesetzt, ihren genauen Wirkmechanismus haben Forschende jedoch erst vor Kurzem aufgeklärt – außerdem steckt die systematische Entwicklung dieser Wirkstoffe noch in den Kinderschuhen (mehr dazu im LJ-Artikel „Erst zusammenkleben, dann zerstückeln“).

Editorial

Ungeahnte Möglichkeiten

Mittlerweile weiß man, dass zum Beispiel die Immunsuppressiva Cyclosporin A und Rapamycin (siehe dazu auch unseren „Wirkstoff-des-Monats“-Artikel), aber auch das berüchtigte Schlafmittel Thalidomid, Proteine zusammenkleben. „Die molekularen Kleber verbinden ein Zielprotein mit einem funktionellen Protein, das das Ziel entweder für den Abbau markiert oder selbst hemmt“, fasst Geiger zusammen.

Genau hier setzt MoProX an. Die Forschenden beschäftigen sich mit dem Protein, das Rapamycin an andere Eiweiße klebt: FKBP12. Verbindet man ein Zielprotein über einen molekularen Kleber mit FKBP12, so wird das Zielprotein gehemmt. „Dadurch können wir nahezu jedes Eiweiß therapeutisch erreichen. Wir brauchen nur den passenden Kleber.“

Dafür haben die Darmstädter eine Screening-Plattform entwickelt, die mithilfe der zeitaufgelösten FRET-Technik (Fluoreszenz-Energie-Transfer) die Klebemoleküle identifiziert, die FKBP12 an dem gewünschten Zielprotein haften lassen. „Wenn wir einen potentiellen Kleber identifiziert haben, klären wir die Struktur des zusammengeklebten Komplexes durch Röntgen­kristallo­graphie auf und können den Kleber dann rational optimieren“, erklärt Geiger den Prozess. Mithilfe ihrer Plattform gelang es den Forschenden kürzlich, einen synthetischen Kleber aufzuspüren, der FKBP12 weitaus potenter als Rapamycin an dessen Target-Molekül mTOR bindet.

Raus aus dem akademischen Setting

„Wir haben bewiesen, dass die Methode an sich funktioniert und gehen jetzt in die Sondierungsphase. Unser langfristiges Ziel ist eine Ausgründung“, fasst Geiger den bisherigen Stand des Projektes zusammen. Man befinde sich derzeit aber noch in einem sehr frühen Stadium. Johannes Dreizler, Doktorand in der AG Hausch und ebenfalls an MoProX beteiligt, fügt hinzu: „Für uns ist die größte Hürde derzeit aus dem akademischen Setting herauszukommen. Die Drittmittel für die akademische Forschung decken in der Regel nicht das ab, was wir für eine Ausgründung benötigen.” MoProX will daher langfristig auf Wagniskapitalgeber setzen, die hierzulande allerdings eher zögerlich agieren. Um diese für sich zu gewinnen, wollen die Forschenden die Wirksamkeit der molekularen Kleber schnellstmöglich im Tiermodell zeigen.

Doch zuvor müssen die Darmstädter noch grundlegende Fragen klären: „Wir haben kürzlich die GO-Bio-Initial-Förderung des BMBF erhalten und jetzt ein Jahr Zeit, um zu evaluieren, wie gut sich unser Projekt für eine Finanzierung eignet und wie unser Geschäftsmodell aussehen kann“, sagt Geiger. Perspektivisch will MoProX die Plattform selbst zur Wirkstoff-Identifizierung nutzen. Dabei zeigt sich Dreizler optimistisch: „Wir sind Vorreiter auf dem Gebiet der FKBP-Kleber und es gibt insgesamt nur sehr wenige Proteine, die sich ähnlich wie FKBP12 für diese Methoden eignen.“

Um die Relevanz ihres Ansatzes zu betonen, wollen sich die Forschenden nun auf Kleber für krankheits­relevante Proteine konzentrieren, die sich derzeit nicht oder nur schlecht therapeutisch erreichen lassen. Durch den universellen Ansatz sind sie dabei nicht auf eine bestimmte Indikation festgelegt. Das größte Potenzial sieht Geiger jedoch in der Krebs­therapie. Es wird also vermutlich nicht das letzte Mal sein, dass wir von den Darmstädter Klebemolekülen hören.

Tobias Ludwig

Bild: AdobeStock/misskaterina


Weitere Biotech-Start-ups im Porträt


- Maßgeschneiderte Mini-Magnete

Magnetische Nanopartikel sind in der Biomedizin heiß begehrt. Das Bayreuther Start-up-Projekt BioMagnetix möchte sie in speziellen Bakterien produzieren.

- Ein fruchtbares Waterloo

Ein Molekül gegen rheumatoide Arthritis vom Labormaßstab zur Großproduktion zu bringen, erwies sich für aidCURE als unterschätzte Herausforderung.

- Alle guten Dinge sind zwei

Mit selektiven Hemmern hindert RIANA Therapeutics den Transkriptionsfaktor STAT5 daran, sich zu krebsauslösenden Oligomeren zusammenzulagern.





Letzte Änderungen: 21.12.2023