Editorial

Anaerobe Kammer für Darmbakterien

(20.12.2023) Wie sich kleine Moleküle auf die Zusammensetzung der Darmflora auswirken, lässt sich mit einem anaeroben Hoch­durchsatz-Screening analysieren.
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Ohne die tatkräftige Unterstützung von Darmbakterien lägen uns noch heute die vielen Lebkuchen vom Wochenende schwer im Magen. Längst haben ihre Enzyme wieder Platz für neue Versuchungen geschaffen. Dass neben den „guten“ Bakterien mitunter aber auch recht unangenehme Mikroorganismen im Darm vertreten sind, verleiht dem Darm-Mikrobiom ein zwiespältiges Image. Die Fieslinge produzieren oft Substanzen, die verschiedene Krankheiten auslösen können (siehe dazu „Zellmördern auf der Spur“ auf LJ online). Gegen diese unerwünschten Darmbewohner müssen wir uns mit entsprechenden Mitteln wappnen – und vielleicht verbergen sich in den vielen Wirkstoffen, Naturprodukten oder anderen kleinen Molekülen, die mit dem Darm-Mikrobiom interagieren, bereits die passenden Therapeutika. All diese Substanzen auf eine Hemmwirkung gegen bestimmte Mikroorganismen zu testen, ist aber nicht einfach. Das fängt schon damit an, dass die Kulturbedingungen strikt anaerob sein müssen, um der Darmumgebung zu entsprechen. Zudem sollte jeder Schritt reproduzierbar sein, damit die biologische Variabilität die einzige Schwankungsgröße bleibt.

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Authentische Mikroben-Gemeinschaft

Wie empfindlich ein Mikroorganismus auf eine Substanz reagiert, kann man mit isolierten Stämmen oder künstlich geschaffenen Mikroben-Gemeinschaften testen. Im zweiten Fall hat man den Vorteil, einzelne Stämme ein- oder ausblenden zu können. Der Natur am nächsten kommt man jedoch, wenn man die Mikroorganismen direkt aus einer biologischen Probe kultiviert, die die komplette mikrobielle Gemeinschaft in ihrer authentischen Zusammensetzung bereits mitbringt. Als Testpool für potenziell inhibierende Moleküle bietet sich die Substanz-Palette an, die bereits von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) oder der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassen wurde.

Lisa Maiers Team am Uniklinikum Tübingen entschied sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg sowie weiterer internationaler Gruppen dafür, die über 1.200 von der FDA zugelassenen Substanzen aus der „Prestwick Chemical Library“ für die In-vitro-Analyse von Einzelstämmen sowie künstlich zusammengestellten oder authentischen mikrobiellen Gemeinschaften des Darms zu verwenden.

Inkubationsschrank in Handschuhkasten

Dazu konstruierten die Forschenden aus einem Alurahmen sowie schwarzen PVC-Platten einen maßgeschneiderten Inkubationsschrank, den sie in einem als anaerobe Kammer dienenden Handschuhkasten („Glovebox“) platzierten. Die Platten sind fest miteinander verschraubt, die Tür besteht aus zwei magnetisch fixierbaren Platten an der Frontseite des Inkubators. Die Temperatur innerhalb des Inkubators wird elektronisch geregelt, ein kleiner Ventilator sorgt für die gleichmäßige Verteilung der Wärme. Optional kann in der Kammer eine kleine Wasserwanne untergebracht werden, um die Luftfeuchte konstant zu halten beziehungsweise Verdunstung vorzubeugen. Das Hantieren in der anaeroben Kammer mit den vier an der Vorderseite angebrachten dicken Handschuhen der Glovebox ist zwar nicht so feinfühlig wie mit normalen Laborhandschuhen. Durch die winzigen Löcher in einfachen Handschuhen würde aber sofort Sauerstoff in die Kammer gelangen. Die anaeroben Bedingungen überwacht ein CO2-Controller, der die Daten an einen Monitor übermittelt.

Die Forschenden etablierten ein Protokoll für das Hoch­durchsatz-Screening der Substanzen in 96-Well-Platten. Dazu kultivierten sie die Bakterien in einem sogenannten Gifu-Anaerobic-Medium (mGAM), das eng an die Bedingungen im menschlichen Darm angelehnt ist. Mit einem in der Kammer untergebrachten Spektrometer verfolgten die Gruppe das Bakterienwachstum anhand der optischen Dichte (OD). Das Protokoll kann auch an weitere Parameter adaptiert werden, etwa abiotische Faktoren wie pH-Wert, Temperatur oder osmotischer Stress. Es eignet sich für alle fakultativen und strikten anaeroben Mikroorganismen, vorausgesetzt sie wachsen in den Wells der Mikroplatte.

Besser nur ein Stamm pro Platte

Für das Screening großer Substanz-Bibliotheken stellt man zunächst eine Vorlage (Drug Master Plate) her, indem ein Pipettierroboter die Substanzen in mGAM verdünnt. Jedes Well der Master Plate enthält den Wirkstoff danach zweifachkonzentriert in mGAM. Die aus frisch gezogenen Kulturen stammenden Bakterien werden 16 bis 24 Stunden in Flüssigmedium subkultiviert, anschließend auf die gewünschte OD verdünnt und danach im Verhältnis 1:1 zu den Substanzlösungen in der Master Plate hinzupipettiert. Damit die Pipettiererei und die anschließende Analyse nicht zu komplex werden und keine Kreuzkontamination auftreten, empfehlen die Forschenden, nur jeweils einen Bakterienstamm oder eine Mikroben-Gemeinschaft pro Platte zu testen.

Am Spektrometer lässt sich ablesen, wie sich die OD in den einzelnen Wells verändert. In Wells ohne Wirkstoff steigt die OD schnell an, was auf ein ungebremstes Wachstum der Mikroorganismen hindeutet. Interessanter sind die Wells, in denen die OD kaum oder gar nicht steigt – in ihnen könnte ein potenziell inhibierender Wirkstoff enthalten sein. Die von dem Team entwickelte Software NeckaR (R-package) übernimmt die vollautomatisierte Aufzeichnung der Wachstumskurven und wertet sie inklusive statistischer Berechnungen aus.

Für das Substanz-Screening von synthetischen Mikroben-Gemeinschaften kann man die Stämme zunächst einige Zeit zusammen kultivieren und erst danach mit den Substanzen versetzen oder einfach nur mischen und danach sofort mit den Substanzen behandeln. Im ersten Fall kann man analysieren, wie sich die Wirkstoffe auf die Interaktionen der bereits etablierten Bakterien-Gemeinschaft auswirken. Mit der zweiten Variante kann man auch Effekte der Substanzen auf Mikroorganismen beobachten, die nur langsam wachsen und in der Masse der schneller wachsenden Bakterien untergehen.

Andrea Pitzschke

Müller P. et al. (2023): High-throughput anaerobic screening for identifying compounds acting against gut bacteria in monocultures or communities. Nature Protocols, DOI: 10.1038/s41596-023-00926-4.

Bild: AdobeStock/Anastasiia Trembach



Letzte Änderungen: 20.12.2023