Editorial

Zellmördern auf der Spur

(06.11.2023) Lösen Mikroben Parkinson aus? Zumindest fanden Forscher einen bakteriellen Metaboliten, der gezielt dopaminerge Neuronen um die Ecke bringt.
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Warum eine bestimmte Krankheit bei Patient X, aber nicht bei Patientin Y auftritt, lässt sich oft durch Faktoren wie familiäre Vorgeschichte, Gendefekt, Lebensstil, Comorbiditäten, Geschlecht und anderes klären. Das beruhigt insofern, als dass ein Risikopatient gewarnt ist und durch sein oder ihr Verhalten den Krankheits­eintritt oder -verlauf mitunter mildern kann. Nicht so bei Parkinson. Die neuro­degenerative Erkrankung scheint aus dem Nichts zu kommen. Nur zehn Prozent der Fälle haben bekannte genetische Ursachen. Gewissheit besteht nur darüber, dass mit steigendem Alter eine Erkrankung wahrscheinlicher wird. Wen sie aber tatsächlich trifft, ist ein Rätsel.

Studien mit eineiigen Zwillingen deuten auf Umweltfaktoren hin. Es gibt Hinweise, aber keine endgültigen Beweise, dass Pestizide wie Rotenon und Dieldrin oder das Herbizid Paraquat eine Rolle spielen. Im Verdacht stehen aber auch bakterielle Stoffwechselprodukte. Schließlich hat jeder Mensch ein ureigenes Mikrobiom, und was dessen Vertreter alles so anstellen, ist hochkomplexe Materie. Sie könnte aber das vermeintlich völlig zufällige Auftreten von Parkinson erklären.

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Darm und Hirn im Dialog

Der Verdacht hat Substanz aus mehrerlei Gründen. Das Darm­mikrobiom von Parkinson-Patienten ist grundverschieden von jenem gesunder Personen (Mov Disord, 32(5): 739–49). Über die Darm-Hirn-Achse steht das zentrale mit dem enterischen Nervensystem, also dem Darmnervensystem, im Dialog. Die Achse verknüpft emotionale ebenso wie kognitive Funktionen mit peripheren Darmfunktionen (Nat Rev Neurol, 18(8):476-95). Außerdem zeigten Mäuse, denen Kot von Parkinson-Patienten übertragen worden war, Bewegungs­störungen, die an das typische unkontrollierte Zucken der Erkrankung erinnern. Interessant: Eine längere Einnahme von Antibiotika verschiebt das Mikrobiom offenbar zugunsten neuro­degenerativer Krankheiten. Prominentes Beispiel dafür ist eine Studie aus Finnland mit 50.000 Probanden, davon 14.000 Parkinson-Patienten (Mov Disord, 35(3):431-42).

Forscher der Unis Wien und Konstanz um Corresponding Author Thomas Böttcher verfolgten eine Spur, wonach sekundäre bakterielle Stoffwechselprodukte zytotoxisch wirken, und zwar speziell auf dopaminerge Neuronen. Die Beobachtungen an Fadenwürmern (C. elegans) nach Kontakt mit Strepto­myces venezuelae gehen auf 2009 zurück. Damals hatte ein Forscherteam der Uni Alabama zwar die dopaminerge Neuro­degeneration, nicht aber die konkrete Identität des oder der bakteriellen Metaboliten gezeigt (PLoS ONE, 4(10): e7227).

Toxisches Strafregister

Nun lebt S. venezuelae aber im Boden. Relevanz zu Effekten im menschlichen Nervensystem besteht dennoch, wenn auch auf Umwegen. Denn Bakterien „erfinden“ schließlich ihre Stoffwechselwege nicht individuell, und horizontaler Transfer von Genen oder ganzen Genclustern gehört zum Tagesgeschäft. Durchaus könnte es also Vertreter im menschlichen Mikrobiom geben, die ebenfalls das verdächtige Molekül produzieren. Da S. venezuelae aber bislang der einzig bekannte Produzent ist, der sich obendrein auch gut kultivieren lässt, war er für die Studie alternativlos. Eingangs führten die Forscher auch Streptomyces lividans mit, welcher phylogenetisch verwandt, aber im toxischen Strafregister unbekannt ist.

Anna-Katharina Ückert et al. zerhäckselten Agar-Platten, auf denen S. venezuelae oder S. lividans fett gewachsen waren, und extrahierten die Stücke mit verschieden kombinierten Lösungsmitteln. Über Fest­phasen-Chromoto­graphie und Elution mit unterschiedlich konzentrierten Methanol­lösungen tasteten sie sich zu einer Fraktion aus S. venezuelae vor, die auf Kulturen dopaminerger Neuronen höchst tödlich wirkte. Diese Fraktion splitteten sie weiter mittels HPLC in Subfraktionen. Die bioaktive Fraktion gab ihre Identität bei NMR-Spektroskopie und Massen­spektrometrie preis: Aerugin und Aeruginol. Aufgrund seiner höheren Wirksamkeit fanden die Folge­untersuchungen mit Aerugin (zytotoxisch im niedrigen mikromolaren Bereich) statt.

Aerugin als Nebenprodukt

Zunächst aber ging’s von der Bench ins Büro. Nach konzentriertem Wühlen durch Literatur und Substanz-Datenbanken zeichnete sich ein möglicher Syntheseweg ab. Demnach entsteht Aerugin durch Hydrolyse von Watasemycin, dessen Synthese wiederum auf Salicylsäure und Cystein beruht. Als potenzielles Antibiotikum wurde Watasemycin einst diskutiert, doch klinische Studien blieben aus (J Antibiot, 55(3):249-55). Das öster­reichisch-deutsche Forschungsteam konnte das zugehörige Gencluster identifizieren – wirklich einzigartig ist die Synthese-Strategie nicht. Der unter anderem für Lungen­entzündungen und Harnwegs­infektionen gefürchtete Pseudomonas aeruginosa (man beachte den Wortstamm!) verwendet einen ganz ähnlichen Weg, um das Siderophor Pyochelin herzustellen. Schlimmer noch, Aerugin ist ein Nebenprodukt von eben diesem Syntheseweg (ACS Infect Dis, 7(3): 544-51). Dass eine Vielzahl humaner Darmbakterien, inklusive E. coli, diesen Siderophor-Syntheseweg codieren, schlägt auf den Magen.

Zurück an den Agarplatten dann die Bestätigung: C. elegans’ dopaminerge Neuronen, die sich dank GFP-Expression gut beobachten lassen, reagierten auf Aerugin (sie verkümmerten konzen­trations­abhängig und binnen 48 Stunden); die GABA-Neuronen hingegen zeigten keine Reaktion. Dass diese zelltyp­spezifische Degeneration in Parkinson-ähnlichen Störungen mündet, demonstrierten die behandelten Würmer mit motorischen Verhaltens­auffälligkeiten. Normalerweise werden Würmer bei Fütterung träge („basal slowing response“). Die Aerugin-behandelten jedoch zappelten unabhängig von Mahlzeiten eifrig weiter. Humane dopaminerge Neuronen reagierten binnen sechs Stunden auf die Behandlung mit morphologischen Änderungen. Ihre kuppelartige Form rutscht zusammen wie in einem angepiksten Spiegelei. Humanen Leber- oder Nierenzellen, oder auch Bakterien, konnte Aerugin nichts anhaben.

Heiße Eisenfährte

LUHMES-Zellen, also menschliche immortalisierte neuronale Zellen aus dem Mittelhirn, die innerhalb einer Woche in postmitotische Neuronen mit dopaminergem Phänotyp ausdifferenziert werden können, reagierten mit voranschreitender Differenzierung immer empfindlicher auf die toxische Substanz. Hinter der apoptotischen Wirkung könnten eisen­abhängige oxidative Stressantworten stecken. Zumindest blieben mit Eisen­chelatoren behandelte Zellen am Leben, und das sogar trotz ununterbrochener Gegenwart von Aerugin.

Die Eisenfährte scheint auch hinsichtlich einer Therapie­entwicklung heiß. Ins Bild passen dabei Eisen-Mapping-Studien von Gehirnschnitten, wonach sich in dopaminergen Neuronen von verstorbenen Parkinson-Patienten übermäßig hohe Mengen an Eisen finden lassen (Acta Neuropathol Commun, 9(1):47).

Andrea Pitzschke

Ückert A.-K. et al. (2023): Identification of the bacterial metabolite aerugine as potential trigger of human dopaminergic neurodegeneration. Environ Int, 180: 108229.

Bild: Pixabay/DesignByDessie


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Letzte Änderungen: 06.11.2023