Editorial

Ribosomales Frameshifting

von Ralph Bertram (Laborjournal-Ausgabe 4, 2024)


(24.04.2024) Bei der zellulären Proteinbiosynthese übersetzen Ribosomen offene Leseraster (Open Reading Frame, ORF) von mRNAs in die Aminosäuresequenzen von Polypeptiden. Als Adapter fungieren mit Aminosäureresten beladene tRNAs, deren Sequenzabschnitte zu Basentripletts der mRNA komplementär sind. Leserasterverschiebungen entstehen, wenn der codierenden DNA oder mRNA während der Replikation, der Transkription oder einer Reparatur eine oder mehrere Basenpaare hinzugefügt oder entfernt werden, deren Anzahl kein Vielfaches von drei ist.

Uracil und 1-Methyl-Pseudo- Uracil (m1Ψ)
m1Ψ resultiert in Frameshifts – auch in mRNA-Impfstoffen. Illustr.: Nach Cell Rep. doi.org/gqpxdf

Aber auch fehlerfreie mRNA-Moleküle können in seltenen Fällen in Peptiden resultieren, die sich in Länge und Sequenz von kanonisch produzierten Produkten des entsprechenden ORF unterscheiden. Diese spontanen Fehler in der Translationsmaschinerie treten im Durchschnitt einmal alle 100.000 Codons auf (Annu. Rev. Virol. doi.org/mn59).

Ungerichtet oder programmiert

Leserasterverschiebungen während der Translation werden als ribosomales Frameshifting bezeichnet. Dabei verrutscht das Ribosom stromaufwärts in Richtung des 5’-Endes der mRNA oder stromabwärts in Richtung des 3’-Endes der mRNA. Aus derselben mRNA entstehen dann verschiedene Polypeptide (Nucleic Acids Res. doi.org/f83sp7). Derartiges ribosomales Frameshifting ist aus Hefen und humanen Krebszellen bei Tryptophan-Mangel bekannt, kommt aber auch in Bakterien sowie im Kontext mobiler genetischer Elemente vor. Im Menschen werden die entstehenden abnormalen Peptide häufig als körperfremd erkannt und lösen dann spezifische T-Zell-Immunantworten aus (Mol. Cell. doi.org/gqsr88).

Editorial

Leserasterverschiebungen können allerdings auch als translationale Regulationsstrategie dienen, indem einzelne mRNA-Moleküle mit überlappenden, aber phasenverschobenen ORFs sowohl einzelne als auch Fusionsproteine codieren. Insbesondere bei Viren ist ein solches programmiertes ribosomales Frameshifting (PRF) weit verbreitet. Dabei spielen spezifische mRNA-Signale eine entscheidende Rolle, die Ribosomen verlangsamen oder gar stoppen und damit Leserasterverschiebungen begünstigen. Gut untersucht ist PRF für die ORFs gag und pol des humanen Immundefizienz-Virus-1, bei dem am 3‘-Ende des kanonischen gag-ORF ein chimäres und für die Reverse-Transkriptase-Aktivität entscheidendes Gag-Pol-Fusionsprotein entsteht (Trends Genet. doi.org/grhqcp).

Auch andere Viren nutzen PRF, um ihre Proteine von infizierten Zellen synthetisieren zu lassen. Bei Coronaviren wie SARS-CoV-2 dient es beispielsweise zur Produktion von Transkriptions- und RNA-Modifikationsenzymen. So sorgt PRF bei der Translation der SARS-CoV-2-RNA für ein ausgewogenes Verhältnis der Produkte des einzelnen ORF1a und der kombinierten ORF1a und ORF1b (Nature. doi.org/d8pb). Als entscheidender Faktor fungiert dabei eine bestimmte RNA-Tertiärstruktur, der sogenannte Pseudoknoten (Science. doi.org/gn9tsz): Stabilisiert durch Stamm-Schleife-Strukturen verkeilt er sich in der Nähe des mRNA-Eintrittskanals des Ribosoms und drosselt so dessen Translationsgeschwindigkeit. Dies begünstigt Leserasterverschiebungen an kurzen Sequenzbereichen der mRNA, die unter der Bezeichnung „Slippery Sequences“ anfällig für ein solches Verrutschen sind. Bei zahlreichen RNA-Viren bestehen diese „schlüpfrigen“ Sequenzabschnitte aus einem schwach konservierten Nukleotidheptamer.

Pseudouracil als Auslöser

Im SARS-CoV-2-Genom befindet sich stromabwärts von ORF1b die Sequenzinformation für das Spike-Protein, das für die Rezeptorbindung, den Zelleintritt und die Membranfusion des Virus relevant ist und somit ein Hauptangriffsziel für antivirale Antikörper darstellt. Entsprechend codieren die mRNA-Impfstoffe Spikevax und Comirnaty für ein modifiziertes Spike-Protein, um die Immunantwort zur Herstellung von Anti-Spike-Antikörpern zu stimulieren. Beiden Impfstoffen ist gemein, dass bei ihrer In-vitro-Transkription 1-Methylpseudouracil (m1Ψ) anstelle von Uracil eingebaut wird. Das macht die mRNA-Moleküle weniger immunogen und gleichzeitig stabiler, was für eine stärkere Translation sorgt. Allerdings resultiert die chemische Modifikation – zumindest im Fall von Comirnaty – auch in unerwünschten nicht-programmierten ribosomalen Frameshifts (Nature. doi.org/gs8h8k): m1Ψ verursacht zwar keine Translationsfehler, verlangsamt aber die Translation und damit deren Qualität. Zusätzlich zum korrekten Spike-Protein entstehen verkürzte Proteine, die ebenfalls immunogen sind und eine unerwünschte T-Zell-Antwort auslösen. Vermutlich sind die fehlerhaften Proteine nicht gesundheitsschädlich, lassen sich durch Nukleotidaustausche in den Slippery Sequences aber reduzieren.

Während ribosomales Frameshifting also einerseits als Ansatzpunkt für antivirale Interventionen dienen kann (PNAS. doi.org/mn6d), ist andererseits bei RNA-Impfstoffen Aufmerksamkeit hinsichtlich unbeabsichtigter Translationsfehler geboten. Beim Design künftiger mRNA-Impfstoffe sollten ribosomale Frameshifts wohl besser vermieden werden.