Durchstarten in der Life-Science-Industrie (11)
Was macht eigentlich ein Distributor Manager?

Morna Gruber, Laborjournal 4/2023


Editorial

(18.04.2023) Die Position des Distributor Managers in der Life-Science-Industrie ist etwas für Tausendsassas. Wer es liebt, naturwissenschaftliche Expertise, analytisches Denken, strategisches Handeln, gute Kommunikationsfähigkeit und Offenheit für Menschen und Kulturen zu kombinieren, und darüber hinaus ein bisschen „Performance-Pressure“ als Kick empfindet, den kann dieser Job richtig glücklich machen.

Auch ich selbst war zwischendrin mal „Distributor Managerin“. Wie kam’s? Ich rekapituliere mal kurz den ganzen Weg: Im Rahmen meiner Promotion an der Universität Mainz untersuchte ich mit elektrophysiologischen Methoden die visuelle Informationsverarbeitung der Stimuli Farbe und Bewegung im Tectum opticum des Goldfisches. Im Anschluss an meine Promotion beschäftigte ich mich als Postdoc an der Goethe-Universität Frankfurt mit Fragen zur neuronalen Plastizität und Neurodegeneration bei der Alzheimer-Krankheit. Mein erster Job in der Life-Science-Industrie war Wissenschaftlerin in der In-vivo-Abteilung eines Auftragsforschungsunternehmens. Dort habe ich zum Beispiel Implantationsstudien an Göttinger Minipigs im Kundenauftrag durchgeführt. Auf meiner zweiten Station war ich Projektmanagerin bei einem Unternehmen, das im Auftrag von Biotech- und Pharmaunternehmen genetisch veränderte Zelllinien zur Erzeugung therapeutischer Proteine hergestellt hat. Und in meinem dritten Job arbeitete ich als Distributor Managerin bei einem Unternehmen, das primäre humane Zellen und korrespondierende Spezialmedien hergestellt und weltweit vertrieben hat. Heute bin ich Geschäftsführerin in meinem eigenen Unternehmen mit rund fünfzig Mitarbeitenden.

Editorial

Ich zähle diese Stationen aus meiner bisherigen Laufbahn auf, um einen Punkt herauszuarbeiten: Alle diese Positionen unterschieden sich sehr stark voneinander, und ausnahmslos alle Positionen – sei es an der Universität oder in der Industrie – haben mir sowohl inhaltlich als auch operativ riesigen Spaß gemacht. Es gibt aber etwas, das mir persönlich beim Arbeiten in der Industrie noch den Extrakick in der Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit und Freude an der Arbeit beschert. Bei den Jobs in der Industrie reizt mich besonders, dass sie eben nicht nur inhaltlich und fachlich spannend sind – vielmehr hat es mich immer stimuliert zu sehen, dass ich mit meiner Arbeit einen direkten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann.

Unter diesem Aspekt empfand ich neben meiner jetzigen Rolle als Unternehmerin die Position des Distributor Managers tatsächlich als besonders „thrilling“: Da man damit sowohl im strategischen als auch operativen Vertrieb angesiedelt ist, ist man ganz nah dran an allen betriebswirtschaftlichen Zahlen und Themen – und man sieht sofort anhand von Umsatz und Position am Markt, welchen Einfluss das eigene Tun auf den Unternehmenserfolg hat. Man kann tatsächlich „ausrechnen“, welchen monetären Mehrwert die eigene Arbeit dem Unternehmen bringt – und es ist ein cooles Gefühl, den eigenen Erfolg so klar messen zu können.

Marktanalyse auf überdimensionalem Computer-Bildschirm

Dazu kommt noch etwas anderes. Ein Job ohne Bezug zur Naturwissenschaft – etwa ausschließlich im Vertrieb – wäre dauerhaft nichts für mich gewesen. Am Ende ging es mir immer darum, auch meine naturwissenschaftliche Expertise einzubringen, um die Kunden aus Pharmaindustrie und Universität bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu unterstützen – und somit ein wenig zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt oder zur Weiterentwicklung von Diagnostika, Medikamenten und Therapien beizutragen.

Der „Distributor Manager“ erfüllt das. Man kann alles haben: die Kombination von Betriebswirtschaft und Naturwissenschaft, das Unternehmen voranbringen und gleichzeitig die Wissenschaft unterstützen. Ein zusätzlicher Reiz ist, dass sich das Distributoren-Management sehr oft im internationalen Raum abspielt – dass man dadurch Kontakte in alle Welt aufbaut und so nochmals Zusammenhänge in viel größerem Kontext kennenlernt.

So, aber jetzt dann systematisch:

Was ist Distributoren-Management überhaupt?

Hier müssen wir gleich mit einem Hinweis starten: Distributionsmanagement, Distributoren-Management und Distributionslogistik gehören zwar demselben Bereich an, sind aber nicht das Gleiche:

  • Unter Distribution versteht man in der Betriebswirtschaftslehre die systematische Verteilung von Gütern oder Dienstleistungen vom Hersteller zum Endkunden.
  • Distributionsmanagement umfasst alle Prozesse und Maßnahmen innerhalb von Marketing und Vertrieb, die notwendig sind, damit der Kunde Kenntnis vom Unternehmen und seinem Produktangebot hat, ein Verkaufsakt zustande kommt und das Produkt schließlich auch den Kunden erreicht.
  • Die Distributionslogistik ist dann ein Unterprozess in dieser Reihe, in dem es tatsächlich um die physische Verteilung, also die Lagerung, den Transport und die Zustellung des Produkts zum Kunden geht.

Um das Unternehmen und das Produktportfolio in den verschiedenen Zielmärkten und bei unterschiedlichen Kundensegmenten bekannt zu machen sowie um die Distribution beziehungsweise den Absatz zu gewährleisten, nutzt man verschiedene Absatzkanäle – neudeutsch: Channels. Die beiden Hauptkategorien bilden hier der direkte und der indirekte Vertrieb, mit jeweils verschiedenen Unterkategorien.

Beim direkten Vertrieb verkauft das Unternehmen seine Produkte mit einem eigenen Vertriebsteam in direkter Interaktion an die Kunden. „Direkt“ bedeutet nicht zwangsweise, dass alle Verkaufsakte über den Außendienst nur von Gesicht zu Gesicht zustande kommen. Zu den Werkzeugen des Direktvertriebs gehören etwa auch Online-Shops auf der eigenen Website oder eigene Verkaufsfilialen. Verkaufsfilialen sind in der Life-Science-Branche allerdings eher selten – ehrlich gesagt, kenne ich keine.

Für den indirekten Vertrieb nutzt das Unternehmen andere, rechtlich selbstständige Unternehmen oder Handelsvertreter für den Vertrieb seiner Produkte. Handelt es sich um ein Unternehmen, das als Zwischenhändler fungiert, spricht man auch von einem Distributor.

Hierbei gibt es verschiedene Vertragsformen. In der Nahrungsmittel- und Kleidungsbranche ist es meist so, dass die Groß- und Einzelhändler selbst das Eigentum an den Produkten über Einkauf erwerben – mit dem Ziel, diese zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen. Händler können aber auch als Kommissionäre arbeiten: Sie übernehmen das Produkt für eine bestimmte Zeit, um den Verkauf zu organisieren, können aber nach Ablauf einer bestimmten Frist die nicht verkaufte Ware an den Hersteller zurückgeben. Handelsvertreter und Makler dagegen erwerben keinerlei Eigentum. Sie vermitteln lediglich im Auftrag des Herstellers den Verkauf des Produkts an den Kunden und erhalten eine Provision. In der Life-Science-Industrie werden zwar alle Vertragsformen genutzt, häufig wird aber auf Kommissionsbasis oder nach dem Prinzip „Order-on-Demand“ gearbeitet.

Ein Distributor Manager managt nun diese Zwischenhändler, was man dann eben Distributoren-Management nennt.

Wie kann der Job des Distributor Managers in der Life-Science- Branche aussehen?

Damit wir uns hier nicht in Lehrbuch-Definitionen verlieren, wenden wir uns einem konkreten Beispiel zu. Wir stellen uns vor, dass wir auf Stellensuche sind und sinngemäß folgende Stellenanzeige im Laborjournal lesen:

Wir sind SellaCell, ein Produzent und Anbieter von humanen mesenchymalen Stammzellen und den dazugehörigen Differenzierungsmedien. Weltweit bedienen wir Kunden aus Pharma, Biotech und öffentlichen Forschungseinrichtungen mit unseren Qualitäts-Produkten. In Deutschland haben wir einen Marktanteil von 35 Prozent und treten über unser eigenes Vertriebsteam mit unseren Kunden in Kontakt. In allen anderen Ländern arbeiten wir sehr eng mit unseren Distributionspartnern zusammen. Im japanischen Markt sind wir bislang noch nicht vertreten. Daher suchen wir einen Distributor Manager, der für uns den japanischen Markt über einen Distributor erschließt.

Zu Ihren Aufgaben gehört:

  • Analyse des japanischen Marktes
  • Evaluierung potenzieller Distributionspartner und anschließendes Onboarding eines Distributors in Japan
  • Strategisches Management des Distributors inklusive Sicherstellung der Umsatzziele
  • Produkt- und Anwendungsschulungen beim Distributor und bei Kunden vor Ort
  • Erstellung von Vorträgen und Produktinformationsmaterial für den Distributor und die japanischen Kunden
  • Unterstützung des Distributors bei der Reklamationsbearbeitung und im Tech-Support

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

In unserem Gedankenspiel haben wir Glück, denn wir wurden eingestellt und machen uns sofort an die Arbeit. Als Grundlage für alle weiteren Aufgaben und Prozesse benötigen wir zunächst eine Marktanalyse des japanischen Marktes für humane mesenchymale Stammzellen. Nach der Datenlage entscheiden wir zunächst, ob ein Markteintritt überhaupt Sinn ergibt. Wenn wir feststellen, dass der Markt genügend Potenzial für unsere Produkte bietet, entwickeln wir auf Grundlage der erhobenen Daten aus der Marktanalyse eine Marketing- und Vertriebsstrategie, die wir zusammen mit dem Distributor weiterentwickeln und umsetzen können. Zu Marktanalyse gehören mindestens die Analyse der folgenden Parameter: Zielmarkt (der Zielregion), Marktvolumen und Marktwachstum sowie Wettbewerber und Kunden.

Da es sich bei mesenchymalen Stammzellen (MSC) um ein extremes Nischenprodukt handelt, ist das Ergebnis der Zielmarktanalyse in der Zielregion schon vor der eigentlichen Recherche recht klar umrissen. Zumindest für uns als Naturwissenschaftler ist klar, welche Zielgruppen solche Zellen verwenden: die im japanischen Markt forschenden Pharma- und Biotech-Unternehmen sowie Universitätsinstitute mit Schwerpunkt in biologischer und pharmazeutischer Forschung. Herausfinden müssen wir noch, ob es im Markt auch außeruniversitäre Institute mit staatlicher Förderung gibt – analog etwa zu unseren Max-Planck-, Helmholtz-, Leibniz- und Fraunhofer-Instituten; und ob darüber hinaus vielleicht die Kosmetik- oder Medizintechnikindustrie auch an oder mit mesenchymalen Stammzellen forscht.

Mit diesem Schritt gehen wir auch gleich in eine etwas genauere Kundenanalyse über und erstellen eine Liste der universitären Biologie- und Pharmazie-Institute – sowie eine weitere mit den forschenden Pharma-, Biotech-, Medizintechnik- und Kosmetikunternehmen, sofern diese mit MSCs arbeiten. Ebenso hinterlegen wir zu den größeren potenziellen Kunden gleich schon mal relevante Daten in einer Datenbank – beispielsweise das jeweilige Investitionsvolumen in die Forschung. Damit verschaffen wir uns zugleich eine größere Datenbasis zur Ermittlung der Marktgröße und des Marktwachstums. Außerdem haben wir dadurch auch schon eine Adressliste mit potenziellen Kunden (sogenannte „Leads“) erstellt, die wir einem potenziellen Distributor für den Kundenkontakt übergeben können.

Schema Marktanalyse

Als Nächstes gehen wir die Bestimmung des Marktvolumens und des Marktwachstums gezielt an – was insbesondere für die Entwicklung einer Sales- und Marketing­strategie relevant ist. Bei der Bestimmung der Marktgröße handelt es sich meistens um eine Schätzung und umfasst salopp gesagt den möglichen Umsatz, den ich generieren könnte, wenn alle potenziellen Kunden am Markt bei mir kaufen würden. Damit diese Schätzung so genau wie möglich wird, sollte man immer mehrere Parameter zu Rate ziehen. Im vorliegenden Beispiel könnte man folgende Parameter wählen:

  1. das Bruttoinlandsprodukt Japans zur Abschätzung der generellen Kaufkraft im Land;
  2. Ausgaben des japanischen Staates für Bildung und Forschung (angegeben als Prozent vom Bruttoinlandsprodukt);
  3. Anzahl der Veröffentlichungen zum Thema mesenchymale Stammzellen aus japanischen Forschungsinstituten;
  4. Auswertung der Geschäftsberichte von japanischen Pharma- und Biotech-Unternehmen hinsichtlich der Investitionssummen in Forschung und Entwicklung mit mesenchymalen Stammzellen.

Zum Beispiel könnten hierbei alle Daten darauf hindeuten, dass das Marktvolumen für mesenchymale Stammzellen in Japan bei sechs Millionen Euro liegt. Dies wäre dann unsere Bezugsgröße für alle weiteren Berechnungen.

Um das Marktwachstum zu bestimmen, betrachten wir rückwirkend die Entwicklung der analysierten Parameter über die letzten fünf Jahre und extrapolieren diese in die Zukunft. Sagen wir, in unserem Fall deutet unsere Analyse darauf hin, dass der Markt für mesenchymale Stammzellen jährlich um 30 Prozent wächst.

Demnach befinden wir uns also in einem Markt mit einer ordentlichen Größe für ein Nischenprodukt wie unsere mesenchymalen Stammzellen. Vor allem die Wachstumsrate ist vielversprechend, sodass wir hier gute Chancen auf Umsatz sehen. Schließlich ist es einfacher, sich in einem wachsenden Markt mit stetig neu hinzukommenden Stammzell-Anwendern zu etablieren, die ich von meinen Produkten überzeugen kann, als sich in einem stagnierenden Markt zu bewegen, in dem meine einzige Chance auf Umsatz ist, womöglich bereits etablierten Konkurrenten die Kunden abzuwerben.

Auch in einem wachsenden Markt muss ich jedoch eine Wettbewerbsanalyse vornehmen, da ich mich bestmöglich von der Konkurrenz absetzen muss, um potenzielle Kunden zu überzeugen. Dazu muss ich die Konkurrenz aber auch kennen. Wir recherchieren also, welche anderen Unternehmen im japanischen Markt mesenchymale Stammzellen vertreiben – und wir evaluieren, wo deren Stärken und Schwächen bezüglich Produktqualität, Kundenservice, Liefertreue und nicht zuletzt Logistik von temperatursensitiven Zellprodukten liegen. Wir versuchen, auch den jeweiligen Marktanteil der Konkurrenten zu bestimmen, denn gegen Konkurrenten mit sehr großem Marktanteil und hohem Bekanntheitsgrad bei den Kunden muss man eine andere Marketingstrategie einsetzen als gegen Konkurrenten mit kleinem Marktanteil.

Analysen über Analysen

Darüber hinaus führen wir ein sogenanntes Price-Benchmarking durch – das heißt, wir evaluieren, mit welcher Preisstrategie diese Unternehmen ihre Produkte am Markt verkaufen. Da in unserem Gedankenexperiment die Auswertung sämtlicher Daten aus den Internetauftritten und Produktkatalogen der Unternehmen wie auch das Kunden-Feedback und die Tests der Konkurrenz-Produkte in unserem Labor zeigen, dass unsere mesenchymalen Stammzellen in unseren Medien deutlich stabiler differenzieren als die Zellen der Konkurrenz, planen wir schließlich eine Hochpreisstrategie für den japanischen Markt.

Die im Rahmen dieser Marktanalyse erworbenen Daten führen wir in einer SWOT-Analyse zusammen. SWOT steht dabei für Strenghts, Weaknesses, Opportunities und Threats. Wir evaluieren hierbei die Stärken und Schwächen der eigenen Produkte und Prozesse – und stellen diese in einen Kontext mit den Chancen und Risiken am japanischen Markt. Die SWOT-Analyse ist demnach notwendig, um die Chancen am Markt perfekt nutzen zu können und um auf mögliche auftretende Risiken rechtzeitig und sinnvoll reagieren zu können.

Kuchendiagramm über Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken für den Markteintritt

Was heißt das für unser Gedankenexperiment? Unsere größten Stärken sind die hohe Differenzierungsrate und die hohe Stabilität der Differenzierung unserer Zellen in Verbindung mit unseren Medien. Unsere größte Schwäche ist, dass wir in Japan vollständig unbekannt sind und wir noch keine Kontakte in Japan haben. Die größte Chance wiederum liegt in der hohen Wachstumsrate für mesenchymale Stammzellen am japanischen Markt. Und die größte Bedrohung ist, dass der japanische Markt nicht offen sein könnte für Zellhersteller aus Deutschland – sowie dass in der Logistik Probleme auftreten könnten, die die Qualität unserer temperatursensitiven Produkte gefährdeten.

Die Ergebnisse dieser SWOT-Analyse verwendet man letztlich auch für die Formulierung von Verkaufsargumenten zugunsten der eigenen Produkte beim Kunden. Auch können die Ergebnisse an die Forschung und Entwicklung (R&D) sowie ans Management zurückgespielt werden, um Produktverbesserungen oder Prozessoptimierungen anzustoßen.

Auf Grundlage der Ergebnisse der Markt- und SWOT-Analyse leiten wir jetzt unsere Marketing- und Vertriebsziele für den japanischen Markt ab: Wir möchten den japanischen Markt mithilfe eines Distributors erschließen. Im ersten Jahr geht es um die Schaffung einer generellen „Brand Awareness“ und um die Generierung erster Umsätze in Höhe von 1 bis 2 Prozent des Marktanteils – also in Höhe von 60.000 bis 120.000 Euro. Im Laufe der nächsten fünf Jahre möchten wir eine Steigerung des Marktanteils auf 15 Prozent und somit mindestens einen Umsatz von 900.000 Euro erreichen – eher mehr, da der Markt ja wächst.

Da wir selbst jedoch keinen direkten Zugang zum japanischen Markt haben, möchten wir nun einen Distributionspartner in Japan finden. Bevor wir in die Evaluation von potenziellen Partnern gehen, müssen wir uns aber klarmachen, nach welchen Kriterien wir unseren Partner aussuchen möchten. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass eine Partnerschaft keine Einbahnstraße ist: Auch der Distributor muss uns als Lieferanten und Partner bewerten – und insbesondere prüfen, ob wir ihm einen Mehrwert für sein Business liefern können. Folglich müssen wir uns auch selbst gut präsentieren.

Als wichtigste Kriterien legen wir fest, dass der Distributor schon über Erfahrung im Zellkulturmarkt verfügen soll, dass er aber keine mesenchymalen Stammzellen im Portfolio haben soll, um eine direkte Konkurrenzsituation beim Distributor selbst zu vermeiden. Da indes die Logistik ein sehr sensitives Thema ist, sollte er bereits Erfahrung mit dem Import von temperatursensitiven Life-Science-Produkten aus Europa nach Japan haben. Überdies sollte er bei den für uns relevanten Zielkunden in Japan bekannt sein und einen guten Zugang zu ihnen haben. Da uns selbst Kundenbetreuung und Tech-Support sehr wichtig sind, sollte er hier ebenfalls seine Priorität haben. Und schließlich wünschen wir uns eine Partnerschaft auf Augenhöhe, in der man vertrauensvoll und transparent zusammenarbeitet.

Im Rahmen einer Internetrecherche und von Messebesuchen spüren wir potenzielle Distributionspartner auf, und mithilfe der zuvor bestimmten Parameter und einer Entscheidungsmatrix beschließen wir, drei Distributoren zu kontaktieren. In unserer E-Mail zur Kontaktaufnahme stellen wir uns und unsere Produkte vor – und unter Verweis auf unsere Marktanalysedaten beschreiben wir, welche gemeinsamen Möglichkeiten wir sehen. Wir betonen aber auch, dass unsere Kenntnisse vom japanischen Markt nur auf reiner Recherchearbeit beruhen – und dass wir auf der Suche nach jemandem sind, der den japanischen Markt aus erster Hand gut kennt und somit ein starker Vertriebspartner für uns sein kann.

Im weiteren Mail- und Videocall-Kontakt stellt sich heraus, dass zwei der Distributoren gut zu uns zu passen scheinen. Wir organisieren eine Reise nach Japan, um beide potenziellen Partner sowie die Gegebenheiten vor Ort besser kennenzulernen. Dabei prüfen wir auch die Lagerhaltung im temperatursensitiven Bereich und besprechen vertragliche Rahmenbedingungen Nach unserer Rückkehr bestimmen wir einen Favoriten für unsere Zusammenarbeit – und wir haben Glück: Unser Favorit möchte auch gerne mit uns zusammenarbeiten.

Gemeinsam gehen wir in die Finalisierung des Vertrages und vereinbaren unter anderem eine Marge von 30 Prozent des Verkaufspreises für den Distributor. Auch legen wir fest, dass wir den Distributor bei der Reklamationsbearbeitung und im Tech-Support aus der Ferne unterstützen werden, damit dieser sich auf den Verkauf konzentrieren kann. Zusammen reevaluieren wir unsere Marktanalyse, um unsere Daten mit dem umfangreichen Marktwissen des Distributors zu ergänzen und so ein noch realistischeres Bild der Marktlage zu erhalten. Auf Grundlage dieser Ergebnisse verfeinern wir die Marketing- und Vertriebsziele und bekennen uns gegenseitig dazu, die Ziele gemeinsam erreichen zu wollen.

Ein konkreter Maßnahmenkatalog, der auch einen Promotionsplan für die nächsten zwölf Monate enthält, rundet den gemeinsamen Marketing- und Vertriebsplan ab. Der Distributor verpflichtet sich, immer bis zum fünften Arbeitstag eines Monates die Ergebnisse des Vormonats an uns zu übermitteln. Wir selbst stellen quartalsweise ausführliche Berichte zusammen. Diese Reports besprechen wir in Videocalls, in denen wir gemeinsam evaluieren, ob die vereinbarten Maßnahmen zum gewünschten Erfolg führen. Sollten die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurückbleiben, passen wir die getroffenen Maßnahmen an, um den gemeinsamen Erfolg sicherzustellen.

Und damit sollte es dann konkret losgehen können ...

Take-Home-Message

1) Die Position des Distributor Managers in einem Unternehmen der Life-Science-Branche ist perfekt für Naturwissenschaftler geeignet, da man als solcher sowohl die Produkte als auch die Bedürfnisse der Kunden versteht. Des Weiteren sind unsere naturwissenschaftlich trainierten Gehirne bestens geeignet für die Datenerhebungen, Auswertungen und Maßnahmen-Ableitungen im Rahmen der Marktanalyse, der Strategieentwicklung, des operativen Managements der Distributoren und des Maßnahmen-Controllings.

2) In unserem Artikel „Einstiegsjobs mit Potenzial“ (LJ 10/2022: 68-69 - Link) hatten wir eine breite Palette von Einstiegspositionen vorgestellt, die im Vertrieb und der Kundenbetreuung angesiedelt sind und Absolventen und Absolventinnen dadurch sehr schnell einen guten Einblick in betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und Abläufe geben. Von dort aus kann man sich unter anderem in Richtung von Positionen im strategischen Vertriebsmanagement weiterentwickeln – wie zum Beispiel dem Distributoren-Management. Die Position des Distributor Managers kann wiederum eine Position sein, auf der man langfristig bleibt, da sie durch das gute Mischungsverhältnis aus operativen und strategischen Aufgaben viel Gestaltungsspielraum bietet. Sie kann aber auch als weitere Zwischenstation auf dem Weg in höhere Managementpositionen gesehen werden. Die Gehaltsspanne ist sehr breit – je nach Größe und Produktportfolio des Unternehmens, Anzahl der zu betreuenden Distributoren sowie Stand der eigenen Berufserfahrung liegt das Gehalt zwischen 60.000 und 120.000 Euro im Jahr plus 10 bis 20 Prozent Bonus.

3) Wer bemerkt hat, dass das strategische Vorgehen im Distributoren-Management demjenigen sehr ähnlich ist, das bei der Aufgabenbeschreibung des Produktmanagers vorgestellt wurde, hat recht. Eine Marktanalyse ist auch im Produktmanagement essentiell – genau genommen ist sie eigentlich die absolute Grundlage für alle strategischen Unternehmensentscheidungen. Wenn man also das Vorgehen bei einer Marktanalyse und vor allem auch die logischen Prinzipien dahinter verstanden hat, verfügt man schon über ein sehr solides Fundament an betriebswirtschaftlicher Denkweise.