Durchstarten in der Life-Science-Industrie (10)
Kind und Karriere vereinbaren - Teil 2: Gleichberechtigung leben

Morna Gruber und Marta Lee, Laborjournal 3/2023


Editorial

(09.03.2023) In der letzten Laborjournal-Ausgabe haben wir Ihnen eine individuelle Elternperspektive und die persönliche Perspektive einer Unternehmerin zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorgestellt. Heute möchten wir in die Problemanalyse einsteigen und Lösungsvorschläge anbieten. Wir geben Tipps, die schon Absolventen und Absolventinnen berücksichtigen können, um im weiteren Lebensverlauf Familienplanung und Karriere zufriedenstellend miteinander zu harmonisieren.

In Schule, Studium und während der Promotion geht es mittlerweile im Großen und Ganzen schon recht gleichberechtigt zu. Auch die jungen Frauen selbst streben nach Selbstverwirklichung in beruflicher wie auch nach Selbstbestimmung in finanzieller Hinsicht. Bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist also in den letzten fünfzig Jahren schon sehr viel erreicht worden. Die alten Probleme aus der Zeit vor der Emanzipationsbewegung treten aber schlagartig wieder in den Vordergrund, wenn es um Nachwuchs und die Vereinbarung von Kindern und Karriere geht. Die Probleme manifestieren sich in großen Ungerechtigkeiten wie dem Gender-Pay-Gap und dem immer noch nicht ausgeglichenen Anteil von Frauen in Führungspositionen und Vorständen. Bezüglich der Möglichkeit, berufliche und somit auch finanzielle Chancen wahrzunehmen, haben wir also eher ein Problem der Ungleichheit von Männern sowie kinderlosen Frauen auf der einen Seite und von Müttern auf der anderen Seite, wobei die Mütter in dieser Kombination schlechter gestellt sind.

Editorial
Rückfall in alte voremanzipatorische Rollenmuster

Wie kommt es dazu, dass beide Partner gut ausgebildet sind, eine gleichberechtigte Partnerschaft führen, in der beide arbeiten und finanziell unabhängig voneinander sind, sich dazu die Arbeit im Haushalt teilen, aber plötzlich mit der Geburt des ersten Kindes oftmals in die klassische Rollenverteilung zurückfallen. Diese Frage ist umso wichtiger zu klären, da es durch dieses Zurückfallen häufig zum Karriereknick bei Müttern kommt.

Es ist eine biologisch nicht veränderbare Tatsache, dass Frauen die Kinder bekommen. Dieser rein biologische Prozess kann also gar nicht gleichmäßig zwischen Mann und Frau verteilt werden. Leider wird aber auf Grundlage des biologischen Faktums eine Implikationskaskade losgetreten, die genau so eben nicht automatisch ablaufen müsste. Wie sieht diese Kaskade aus?

Junger Vater macht Hausaufgaben mit Tochter
Schön wärs... Wenn Kinder kommen, fallen die meisten Paare wieder zurück in die klassischen Geschlechterrollen: Die Frau kümmert sich um Kind und Haushalt, der Mann übernimmt die Rolle des Ernährers. Foto: Pixabay

Da nach der Geburt erstmal das Wochenbett und die Stillzeit folgt, bleiben Frauen automatisch erstmal zu Hause, was auch durch die achtwöchige Mutterschutzfrist gesetzlich so vorgesehen ist. Viele Frauen stellen sich eine Elternzeit von sechs bis zwölf Monaten vor. Aus dem Gedanken „ich werde sechs Monate oder ein Jahr Elternzeit nehmen“ wird oft eine Verlängerung der Elternzeit auf zwei oder drei Jahre. Die Gründe können vielfältig sein: vielleicht weil man nicht gleich einen Kita-Platz bekommt – vielleicht weil Vollzeit einem zu diesem Zeitpunkt zu viel wäre, der Arbeitgeber aber keine Teilzeitstelle anbietet; vielleicht weil man glaubt, es lohnt sich finanziell nicht mit Lohnsteuerklasse fünf in Teilzeit zu arbeiten oder auch weil das Geschwisterchen sowieso bald kommen soll. Natürlich kann man sich auch ganz bewusst erstmal für Kind(er) und Haushalt entscheiden. So werden aus geplanten sechs bis zwölf Monaten Elternzeit schnell mal zwei bis sechs Jahre. Diese lange Zeitspanne macht es schwer, wieder einzusteigen.

Dies hat aber nicht nur Einfluss auf den weiteren Verlauf der Karriere und die finanzielle Selbstbestimmtheit und Rentenvorsorge der Mutter. Es hat auch Einfluss auf die Partnerschaft. Nicht nur die Frau wird in die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter gedrängt. Auch der Mann fällt häufig in die klassische Rolle des Ernährers und Versorgers zurück. Dadurch lastet einerseits ein großer Druck auf ihm, in seinem Job darf nichts schiefgehen, denn sonst fehlt das komplette Einkommen der Familie, andererseits bekommt er kaum etwas vom Alltag seines Kindes mit und hat nur wenige auf die Abende und das Wochenende beschränkte Erlebnisse mit dem Kind.

Es ist festzuhalten, dass dieser automatisierte Rückfall in die klassische Rollenverteilung einen immens negativen Einfluss auf die berufliche und finanzielle Zukunft der einzelnen Frau hat – dies übrigens auch mit auf Frauen, die bewusst kinderlos bleiben wollen. Wie kommt es dazu?

Sind die Arbeitgeber schuld?

Hier kommt die Denkweise zum Tragen, dass allen kinderlosen Frauen zwischen 30 und 40 unterstellt wird, Kinder bekommen zu wollen. Unternehmen befürchten, wenn sie eine kinderlose Frau in diesem Alter einstellen, dass diese im ersten Jahr nach der Einstellung schwanger wird. Dies wird den Unternehmen als Benachteiligung von Frauen ausgelegt. Wenn wir nun aber wieder das Instrument des Perspektivenwechsels anwenden, kann man vielleicht die Sorgen der Unternehmer ein bisschen besser nachvollziehen.

Hier ein Beispiel aus der Unternehmerperspektive: „Ich benötige einen Projektmanager oder eine Projektmanagerin für ein Kundenprojekt, das eine Dauer von drei Jahren haben wird. Das Projekt hat ein Volumen von drei Millionen Euro und der Auftrag kommt von einem unserer Key Accounts, mit dem wir jedes Jahr in Summe dreißig Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften. Da darf nichts schiefgehen, dieser Kunde ist existentiell wichtig für uns. Frau Dr. Müller bringt die richtige Expertise mit. Aber sie ist 34 Jahre alt, hat noch keine Kinder und hat erzählt, dass sie letztes Jahr geheiratet hat. Wird sie demnächst schwanger, fällt sie genau in der Hochphase des Projektes aus und eine Übergabe wird wieder große Verzögerungen und Kosten mit sich bringen. Ich stelle lieber Herrn Dr. Meier ein. Er hat zwar weniger Praxiserfahrung, aber durch ihn stellen wir zumindest die so wichtige Kontinuität im Projekt sicher.“

Vierköpfige Familie und Arbeitgeberin schaukeln im Gleichtakt
ALLE müssen sich bewegen: Es ist wie beim Schaukeln, manchmal schaukelt man gegeneinander, dann kann es auch mal eine Kollision geben, aber solange man sich bewegt und aufeinander achtet, findet man irgendwann wieder zurück in den gemeinsamen Schwung. Illustr.: HOX Life Science

Natürlich könnte es genauso gut sein, dass die Partnerin von Herrn Dr. Meier gerade schwanger geworden ist und er jetzt schon weiß, dass er in einem Jahr sechs Monate Elternzeit nehmen möchte. Genauso wie, dass Frau Dr. Müller überhaupt keine Kinder will. Aber aufgrund der Erfahrungen, die der Unternehmer in der Vergangenheit gemacht hat, ist das Eintreten der Annahmen aus seinen eigenen Risikoanalysen wahrscheinlicher.

Wie kann man dieser Falle entrinnen?

Dafür müssen wir den Mechanismus durchbrechen, dass Elternpaare den Eindruck haben, es gäbe für die Baby- und Kleinkind-Jahre keine andere Art der Organisationsform als die klassische Rollenverteilung. Auch bei Arbeitgebern muss der gedankliche Automatismus durchbrochen werden, dass Frauen sowieso bald Mütter werden und dann nur noch „halbe Arbeitskräfte“ sind, die auch noch „ständig“ aufgrund von erkrankten Kindern fehlen.

Um dies zu durchbrechen, gibt es nur eine Lösung: Sowohl die Care-Arbeit als auch die Erwerbstätigkeit muss balanciert zwischen beiden Elternteilen (sei es Vater und Mutter oder gleichgeschlechtliche Elternpaare) aufgeteilt werden. Wir wissen, dass dies kein neuer Gedanke ist und wir kennen auch die Einwände, dass die balancierte Aufteilung gegenwärtig nicht möglich ist, da es zu wenig Betreuungsplätze gibt, die Arbeitsbedingungen zu unflexibel und die Arbeitgeber nicht verständnisvoll genug sind.

Natürlich würden weitere Betreuungsplätze die Situation entschärfen, und natürlich gibt es in vielen Unternehmen immer noch stark verkrustete Strukturen, die eine Vereinbarung von Familie und Beruf schwierig machen. Es ist aber auch klar, dass diese Bedingungen verändert werden müssen. Wir sind der festen Überzeugung, dass Politik und Unternehmen folgen werden beziehungsweise folgen müssen, wenn ein Großteil der Elternpaare das jetzt schon Mögliche konsequent umsetzt. Nach und nach wird sich die strukturelle Ungleichheit aufheben und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf das nächste Level gehoben.

Was können Elternpaare tun?

Beide Elternteile nehmen zu ähnlichen Teilen Elternzeit. Wenn eine große Mehrheit der Eltern die Elternzeit zu gleichen Teilen oder annähernd zu gleichen Teilen aufteilt, dann klebt nicht mehr das Stigma an allen werdenden Müttern, dass sie „ewig“ ausfallen werden. Plant man zum Beispiel ein Jahr Elternzeit und teilt diese gleichmäßig auf, dann beträgt die vollständige Ausfallzeit der Mütter – sechs Wochen vor der Geburt plus sechs Monate nach der Geburt – in Summe 7,5 Monate. Stellt man dies den sechs Monaten Elternzeit der Väter gegenüber, gibt es kaum noch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen und der Grund, warum Unternehmen Frauen in den Dreißigern als Risikofaktor ansehen könnten, fällt weg.

Außerdem: Beide Elternteile reduzieren ihre Stunden auf 32 bis 35 Stunden pro Woche. Zusätzlich achten beide Elternteile darauf, die „Notdienste“ bei Erkrankungen der Kinder und Schließzeiten der Kita im Wechsel zu übernehmen. Mit 32 bis 35 Arbeitsstunden pro Woche kann man immer noch eine verantwortungsvolle Position bekleiden, sofern die Strukturen im Unternehmen darauf angepasst sind (siehe nächsten Abschnitt). Um die Nachhaltigkeit und Stabilität in den Arbeitsprozessen sicherzustellen, sollte es nicht zu langen Ausfallzeiten im operativen Alltag kommen. Deshalb ist es wichtig, dass nicht immer nur ein Elternteil die Notdienste übernimmt und dann vielleicht gleich eine ganze Woche im Job ausfällt. Wenn beide sich diese Notdienste aufteilen, werden die Arbeitgeber mehr Verständnis aufbringen, da für den einzelnen die Fehlzeiten kürzer sind. Auch hier könnte sich das Stigma, das Frauen sowieso immer mit halbem Bein auf dem Sprung sind, falls die Kita mit einem Notfall anruft, auflösen.

Häufig wird jedoch von Elternpaaren argumentiert, dass man sich diese Lösungen nicht leisten könne, da der Mann oft mehr Geld verdient als die Frau. Die Höhe des Elterngeldes bemisst sich am Nettogehalt des Elterngeld beantragenden Elternteils von vor der Geburt. Der Höchstbetrag beträgt 1.800 Euro. Die meisten Paare rechnen sich aus, dass sie in Summe mehr Geld in der Tasche haben, wenn der werdende Vater weiter Vollzeit arbeiten geht und die Mutter die Elternzeit übernimmt und das Elterngeld bezieht. Das halten wir aber für zu ungenau kalkuliert. Für das Jahr, in dem Elterngeld bezogen wird, mag das stimmen. Langfristig haben aber jeder Partner einzeln und erst recht das Paar zusammen mehr Geld in der Tasche, wenn sie die Elternzeit unter sich aufteilen. Denn durch die gleichmäßige Aufteilung der Care-Arbeit auf beide kann der Karriereknick bei der Frau abgewendet oder minimiert werden und sie verdient mittel- und langfristig deutlich mehr Geld als in der klassischen Rollenaufteilung. Dies gilt auch dann, wenn die Karriere des Mannes kurzzeitig durch die aufgeteilte Care-Arbeit eingebremst wird. Da keiner komplett aussteigt, wird die Karriere schnell wieder Fahrt aufnehmen. Außerdem kann man nur so langfristig den Gender-Pay-Gap und die Rentenlücke bei den Frauen beseitigen, da Frauen nicht mehr stigmatisiert sind. Und zudem erhalten die Väter endlich auch die Chance, wirklich präsent im Leben ihrer Kinder zu sein.

Was können Unternehmen tun?

Ein weiterer Einwand, den Elternpaare häufig anbringen: „Auf 80 Prozent reduzieren, wird mein Arbeitgeber niemals akzeptieren und meine gut bezahlte Position bin ich dann los – erst recht, wenn ich dann auch noch Kindkranktage nehme.“

Dieser Einwand muss genauer betrachtet werden, da man auf die Entscheidungen der Unternehmensführung nur bedingt Einfluss hat. Häufig hilft es aber, bei der Formulierung seiner Vorstellungen auch gleich schon konkrete Umsetzungsvorschläge zu präsentieren. Ein guter Lösungsansatz ist die schon im letzten Artikel skizzierte Tandemlösung. Es arbeiten immer zwei Teammitglieder oder Führungskräfte so eng zusammen, dass bei kurzfristigen Ausfällen oder längeren Urlauben kein Vakuum entsteht und Prozesse und Projekte geschmeidig weiterlaufen können.

Selbstverständlich müssten Unternehmen sich darauf einlassen wollen, Strukturen und Arbeitsbedingungen zu verändern. Wir denken, ins Gespräch gehen lohnt sich. Es ist gerade so viel in Bewegung. Durch die Corona-Pandemie hat sich extrem viel getan, vor allem bezüglich Remote Work und Flexibilität der Arbeitszeiten. Vieles davon hat sich erhalten oder wird nun in systematischer Weise in eine sich in Erneuerung befindende Arbeitskultur integriert. Man sollte auch nicht unterschätzen, dass in den Chefetagen ebenfalls ein Generationenwechsel im Gange ist. Es werden nun mehr und mehr Menschen zu Vorgesetzten, die selbst kleine Kinder zu Hause haben, eine moderne Vorstellung von der Verknüpfung von Arbeits- und Familienleben haben und offen für Veränderungsprozesse sind. Aber eines sollte man auch mit in Betracht ziehen: Die Unternehmen sind vielen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen und müssen viele Aspekte in ihre Entscheidungsfindung miteinbeziehen. Deshalb braucht es manchmal auch mehrere Gesprächsrunden, um geeignete Lösungen zu finden.

Fazit: ALLE müssen sich bewegen

Wir wollen auf keinen Fall „Sugarcoating“ betreiben: Es ist und bleibt ein Spagat für alle Beteiligten, wenn gleichzeitig Maßnahmen zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Stabilität des Unternehmens und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in Einklang gebracht werden müssen. Flexibilität heißt für uns, sich in beide Richtungen zu bewegen, nicht nur zu fordern, auch zu geben. Nur wenn sich alle Parteien bewegen, kann man einen gemeinsamen Flow finden. Es ist wie beim Schaukeln: Manchmal schaukelt man gegeneinander, dann kann es auch mal eine Kollision geben, aber solange man sich bewegt und aufeinander achtet, findet man irgendwann wieder zurück in den gemeinsamen Schwung.