Der Fehlerbalken im Auge des Forschers
"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-5 und 6, Update vom 25. Februar 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.
Folge 6: Vermittlungsversuche.
Robert Nitsch, der wiederholt von Kühbacher in der Sache angeschrieben worden war, stellte sich auf den Standpunkt, daß er mit den Manuskripten und Untersuchungen „rein gar nichts zu tun habe“. Damit hat Nitsch Recht: er ist auf keinem Manuskript als Coautor aufgeführt. Hartmut Kühn, Coautor auf Ms2 und Professor am Institut für Biochemie der Charite, versuchte zwischen Savaskan und Kühbacher zu vermitteln. Die Mediation sollte am 9.7.08 stattfinden. Kühbacher lehnte eine Mediation jedoch ab: gefälschte n-Zahlen ließen sich durch Mediation nicht wegmoderieren. Savaskan fuhr dennoch nach Berlin, doch Kühbacher kam nicht und hatte sein Händi ausgeschaltet.
Kühn recherchierte nun in der Sache und sprach mit dem Editor des J. Neurochem. und Kühbacher. Anschließend verfaßte Kühn ein fünfseitiges Schriftstück, das er am 1.8.08 Kühbacher, Savaskan, Hahnen und Eyüpoglu zukommen ließ. Darin trifft auch Kühn nicht immer die Kernpunkte. So versichert er, daß Savaskan ihm gegenüber nie behauptet habe, er habe die Tierversuche mit 75Se durchgeführt. Strittig ist aber, wer die Schnitte gemacht hat. Nach einem Vergleich von Ms1 und Ms2 bestätigt Kühn „daß einige Textpassagen ähnlich formuliert, andere auch wortidentisch sind“. Als Plagiat will Kühn Savaskans Ms2 dennoch nicht bezeichnen, weil er vermutet, daß Savaskan als Seniorautor großen Anteil an der Gestaltung des Ms1 hatte. Kühn kann das nur vermuten, weil aus Ms1 nicht hervorgeht, welcher Autor was gemacht hat. Es gibt zwar Email-Verkehr in der Sache, und der verträgt sich gut mit Kühbacher als Hauptautor von Ms1, aber eindeutig ist das nicht. Hier steht Aussage gegen Aussage. Es kann also vorläufig nicht entschieden werden, wer, Kühbacher oder Savaskan, das Ms1 schrieb. Bezüglich der video time lapse Beobachtung in Ms1 stellt Kühn fest, daß dazu keine Daten präsentiert werden, man also auch nicht von Datenfälschung sprechen könne. Er vermutet, das Savaskan diesen Abschnitt nur als „Marker“ eingefügt habe, d.h. als Hinweis, daß ein solches video von Wert sein könnte. Dies bestätigte Savaskan mir gegenüber: „Ja, ich habe diesen Abschnitt eingefügt. Er war als Vorschlag gemeint, daß diese Experimente in das Ms sollten. Die Videoaufnahmen lagen am HMI ja auch vor.“
Kühbachers Vorwurf der veränderten n-Zahlen in der Legende von Ms1 Figur 4D zwischen der 4. und 5. Version des Ms1, bezieht Kühn irrtümlich auf Ms2 und stellt dann fest, daß in der entsprechenden Legende (zu Figur 3B, Ms2) gar keine n-Zahlen angegeben werden. Das ist zwar richtig, entkräftet jedoch Kühbachers Vorwurf nicht.
Die angebliche Änderung der Legende von Figur 5, Ms1 durch Savaskan hält Kühn nicht für kritisch, da diese Daten ja nicht in Ms2 übernommen wurden. Zudem habe grundsätzlich jeder Coautor das Recht, experimentelle Daten in einer ihm plausiblen Art und Weise auszulegen.
Was die von Kühbacher gemessenen größeren Standardabweichungen der relativen 75Se Aktivitäten in verschiedenen Hirnteilen betreffe (Balkengrafiken, Ms1, 5. Version, Figur 3C gegen Ms2, Figur 2C) so stellt Kühn fest: „dass unabhängige morphometrische Evaluierungen ein und derselben Probe durchaus zu unterschiedlichen Mittelwerten bzw. Standardabweichungen führen können.“
Kühn kann jedenfalls keine Hinweise auf systematische Datenmanipulationen erkennen. Er hält daher Kühbachers Beschuldigungen gegen Savaskan nicht für zweifelsfrei erwiesen. Er, Kühn, arbeite seit zehn Jahren mit Savaskan zusammen und hätte nie Grund gehabt, dessen Integrität anzuzweifeln.
von Hubert Rehm
Als PDFs zum Download:
MS1 v4
MS1 v5
Ms2
Dalla Pu
Was bisher geschah:
Folge 1: Die Kontrahenten
Folge 2: Der Krach
Folge 3: Die Affäre eskaliert
Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück
Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters
Folge 6: Vermittlungsversuche
Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen
Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an
Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab
Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung
Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme
Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper
Folge 13: Juristische Nullnummer
Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein
Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!
Folge 16: Seltsame Endziffern
Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar
Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen
Letzte Änderungen: 09.08.2010