Editorial

Kein Ende der
Postdoc-Misere

(04.04.2024) Würde der aktuelle Entwurf zum WissZeitVG realisiert, bliebe die Situation für Postdocs schlecht. Unterstützung bietet ab Herbst das German Postdoc Network.
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Der Referenten­entwurf zum neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) sieht aktuell vor, dass Forschende nach der Promotion zunächst nur noch vier Jahre zur Qualifizierung sachgrundlos befristet angestellt werden können, danach nochmals maximal zwei Jahre, sofern sie eine Anschlusszusage auf dauerhafte Beschäftigung haben. Falls sie in weniger als sechs Jahren promoviert haben, können zusätzlich nicht-ausgeschöpfte Befristungszeiten aus der Promotion hinzukommen. Auch aus familiären Gründen wie Mutterschutz und Elternzeit, Gründen der Inklusion bei Behinderung und aufgrund Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger sind Verlängerungen möglich. Für bereits promovierte Wissenschaftler soll die Senkung der Höchst­befristungsgrenze allerdings erst vier Jahre nach Inkrafttreten eines reformierten WissZeitVG Anwendung finden.

Die Bundesregierung will mit der Reform des WissZeitVG Planbarkeit und Verbindlichkeit von Karrierewegen erhöhen und die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern. „Nach maximal vier Jahren soll sich in der Regel entscheiden, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Perspektive in der Wissenschaft auf eine Professur oder eine andere dauerhafte Beschäftigung neben der Professur haben“, heißt es im Gesetzes­entwurf. „Eine Entfristung steht nicht mehr unter dem Vorbehalt einer Stellenverfügbarkeit und hängt allein vom Erreichen der vereinbarten Ziele ab. Dies schafft Verlässlichkeit und stärkt die gewünschte Selbstständigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.“ Auf die konkrete Ausgestaltung darf man gespannt sein.

Editorial

Keine verlockende Perspektive

Sollte die neue Regelung umgesetzt werden, könnten akademische Forschungs­einrichtungen als Arbeitgeber für die meisten Postdocs noch unattraktiver werden, als sie es jetzt schon sind – also das genaue Gegenteil der Intentionen des Gesetzesvorschlags. Der Druck auf Promovierte, möglichst schnell Karriere-verwertbare Leistungen zu erbringen, würde zunehmen. Unter diesen Umständen sollte man sich die Postdoc-Stelle schon sehr genau aussuchen.

Die Entscheidung über einen dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft soll für den Einzelnen früher fallen. Wer keine Aussicht auf eine Dauerstelle hat, dem soll der Geldhahn früher abgedreht werden. Zugegebenermaßen haben Promovierte bessere Chancen, eine neue Karriere zu starten, je früher sie aus der akademischen Forschung ausscheiden. Allerdings sind sie dann auch schon in einem Alter, in dem man für Angehörige Verantwortung übernehmen muss und nicht als Sozialfall herumdümpeln möchte, bis man in einem anderen Beruf Fuß fassen konnte. Und selbst das ist ja nicht jedem aussortierten Forscher vergönnt.

In der allgemeinen Bevölkerung herrscht ohnehin die Auffassung, dass „solche Leute“ etwas falsch gemacht haben müssen, da in der sonstigen Berufswelt kein Sonder­befristungsrecht existiert und die Aussortierten in einem Alter von vorne anfangen sollen, in dem ihre Altersgenossen schon etabliert sind und an der Vermögensbildung arbeiten. Zum Glück gibt es duale Studiengänge mit Gehaltszahlung für Studenten, sodass auch die Kinder des akademischen Prekariats studieren können. Das Bürgergeld hilft ja auch ein bisschen.

Forschung nur noch mit Doktoranden?

Unter dem reformierten WissZeitVG hätte risikoreiche Forschung kaum Chancen. Zudem würde sich eine Postdoc-Phase in Deutschland wegen der Knappheit unbefristeter Stellen für viele höchstens als Überbrückungszeit bis zum Antritt einer wissenschaftlichen Stelle im Ausland oder einer Stelle außerhalb der akademischen Forschung eignen. Vermutlich würden viele Promovierte eher ganz auf einen Postdoc verzichten, da sie mit einer weiteren Spezialisierung in einer Sackgasse landen und ihre Zeit verschwenden. Es sind auch vorzeitige Abbrüche laufender Postdoc-Verträge zu befürchten, sobald die Betroffenen eine geeignete anderweitige Tätigkeit gefunden haben, je nach Angebotslage. Forschungsgruppen müssten dann verstärkt auf weniger erfahrene Promotions­studenten zurückgreifen, um ihre Projekte durchzuführen.

Günstig am Referenten­entwurf ist zu bewerten, dass Verträge für die Qualifizierungsphase vor der Promotion mindestens über drei Jahre laufen sollen und Erstverträge nach der Promotion über mindestens zwei Jahre mit dem Ziel, die Unsitte der extrem kurzen Verträge einzudämmen. Die Höchst­befristungsdauer für studienbegleitende Hilfstätigkeiten soll von sechs auf acht Jahre steigen und die Mindestvertragslaufzeit in der Regel ein Jahr betragen.

Konstruktionsfehler Flaschenhals

Seit Jahren beschweren sich Postdoc-Vertretungen und die GEW über zu wenige Dauerstellen in der Wissenschaft. Mit einem Ausbau des unbefristeten Mittelbaus, zum Beispiel in Form von Lecturer- bzw. Reader-Stellen, ließe sich das Problem abmildern. „Schluss mit Hire and Fire in der Wissenschaft – das Parlament muss den Gesetzes­entwurf so überarbeiten, dass das reformierte WissZeitVG Dauerstellen für Daueraufgaben, verbindliche Mindestvertragslaufzeiten für Zeitverträge und berechenbare Karrierewege in Hochschule und Forschung sorgt“, kritisiert etwa Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Hochschulexperte.

Der Bund fördert im Rahmen des von 2017 bis 2032 laufenden Tenure-Track-Programms immerhin tausend Tenure-Track-Stellen an 75 Hochschulen mit einer Milliarde Euro, die nach einer erfolgreichen Bewährungsphase direkt in eine unbefristete Professur übergehen. Mit der Förderung über den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ wird seit 2021 unbefristetes, mit Studium und Lehre befasstes Hochschulpersonal ausgebaut. Aber auch so lässt sich der Flaschenhals beim Übergang von der Promotion zu einer akademischen Dauerstelle lediglich erweitern, aber nicht beseitigen. Durch die Anstellungsverhältnisse und Auslese in der Wissenschaft bleibt eine akademische Karriere auch mit den geplanten Reformen nur für eine kleine Personenzahl mit dem realen Leben und seinen Anforderungen vereinbar. Qualifizierte Beratungsangebote und Netzwerke sind daher zentral für die weitere berufliche Orientierung und Vermittlung der Postdocs, um den wertschätzenden und zeitnahen Übergang in eine andere Tätigkeit zu bahnen, die tatsächlich auch eine langfristige Perspektive bietet.

Nationales Postdoc-Netzwerk

Im Herbst 2024 soll mit Förderung der VolkswagenStiftung ein deutschlandweites German Postdoc Network offiziell starten, das vom Forschungszentrum Helmholtz Munich koordiniert wird. Zu den weiteren Beteiligten gehören u. a. das Max-Planck-Institut für Biochemie, die Hochschule München, das Leibniz PostDoc Network, das Max Planck PostdocNet, die Max Delbrück Center (MDC) PostDoc Association in Berlin und das Postdoc-Team am Alfred Wegener Institut – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremen.

Mit dem German Postdoc Network soll eine umfassende Gemeinschaft und Vertretung von Postdocs aller Disziplinen und Institutionen aufgebaut werden, um zum Beispiel die Datenlage zu Postdocs und ihren Bedürfnissen zu verbessern, Arbeitsgruppen zu koordinieren und mit verschiedensten Interessengruppen zusammenzuarbeiten. Langfristiges Ziel der Initiative ist es, eine Plattform für Kooperationen mit Organisationen, Forschungseinrichtungen und Industriepartnern zu bieten. Die Initiative zielt darauf ab, die Sichtbarkeit der Postdocs zu stärken, ihnen eine Stimme zu geben und die Rahmenbedingungen für die Postdoc-Phase und weitere Karrierepfade zu verbessern. Sobald das Netzwerk aufgebaut ist, werden Postdocs zu Arbeitsgruppen eingeladen, die es ihnen ermöglichen, das Netzwerk nach ihren Bedürfnissen zu gestalten.

„Die Gründung des German Postdoc Networks ist ein wichtiger Schritt und baut auf unseren langjährigen Bemühungen auf, eine engere Zusammenarbeit zwischen den wissenschaftlichen Organisationen in Deutschland zu fördern, um gemeinsam Postdocs in dieser wichtigen Phase besser zu unterstützen“, erklärt Neele Meyer, Koordinatorin des Postdoc-Zentrums bei Helmholtz Munich. „Gemeinsam mit unseren Partnern in ganz Deutschland haben wir in den vergangenen Jahren die Postdoc Appreciation Week Germany etabliert, das Munich Postdoc Network ins Leben gerufen, und gemeinsame Veranstaltungen der bestehenden Postdoc-Netzwerke organisiert. Diese Erfahrungen haben uns gezeigt, dass eine starke Postdoc-Community von entscheidender Bedeutung ist, um die Bedürfnisse und Interessen der Gruppen zu vertreten und sicherzustellen, dass alle Postdocs umfassend über diese Karrierephase und Unterstützungsangebote informiert sind.“ Für das German Postdoc Network werden derzeit übrigens noch zwei Koordinatoren (Bewerbungsschluss: 11. April 2024) gesucht, für eine 100-%-Stelle am Helmholtz Munich und für eine 50-%-Stelle am Max-Planck-Institut für Biochemie in Planegg.

Bettina Dupont

Korrektur: In einer früheren Version schrieben wir: „Falls sie in weniger als drei Jahren promoviert haben, können zusätzlich nicht-ausgeschöpfte Befristungszeiten aus der Promotion hinzukommen.“ Richtig muss es heißen: „Falls sie in weniger als sechs Jahren promoviert haben, …“. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Bild: Pixabay/RosZie


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Letzte Änderungen: 04.04.2024