Editorial

Alte Sünden & lange Schatten

(02.04.2024) Ende 2023 häufen sich die Hinweise, bei den Publikationen von Simone Fulda sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Sind die Vorwürfe berechtigt?
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Maushirnschnitte aus einer Nature-Medicine-Veröffentlichung. Die Ähnlichkeiten in e und f deuten auf Schnitte des identischen Maushirns hin.

Der wissenschaftliche Nachwuchs kennt die Herausforderung: Es ist schwer, Publikationen als Erstautorin oder Erstautor zu verfassen und auf deren Erfolg eine eigene Nachwuchsgruppe aufzubauen. Sind es zu wenige Artikel oder sind die darin aufgeführten Forschungsdaten nicht spektakulär genug, nimmt die wissenschaftliche Karriere ein schnelles Ende. Doch Simone Fulda meisterte diesen Übergang um das Jahr 2003 herum.

Acht Jahre zuvor hatte die Humanmedizinerin an der Universität Köln promoviert. Es folgten ein Heisenberg-Stipendium, mehrere Wissenschaftspreise und schließlich 2007 eine W3-Forschungsprofessur der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Ab 2010 leitete die hoch dekorierte Wissenschaftlerin das Institut für Experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Juni 2020 wurde sie zur Präsidentin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gewählt.

Editorial

Merkwürdige Abbildungen

Doch die Nutzer der US-amerikanischen Post-Publication-Peer-Review-Plattform PubPeer deckten über die letzten Jahre Ungereimtheiten in Fuldas Forschungsartikeln auf. Mit Stichtag 26. Februar 2024 stehen 27 Artikel der Forscherin auf PubPeer zur Diskussion. An der Hälfte dieser Publikationen aus den Jahren 1998 bis 2006 war Fulda ausschließlich als Erst- oder Zweitautorin beteiligt, trug also maßgeblich zur experimentellen Durchführung, zur Analyse der Forschungsdaten und zur Erstellung von Text und Abbildungen bei. Für die Jahre um die Jahrtausendwende stellen die PubPeer-Nutzer Teile von bis zu drei Vierteln ihrer damaligen Artikel in Frage.

Weswegen stehen Fuldas Artikel auf dem Prüfstand? Weil einige der in ihnen enthaltenen Abbildungen Merkwürdigkeiten aufweisen: In Nuklein­säure-Gelen und Western Blots erscheinen identische Banden und identisches Hintergrundrauschen, obwohl die Experimente zu unterschiedlichen Forschungsreihen gehören; Zellsortieranalysen zeigen extrem ähnliche Verteilungen; Hirnschnitte (siehe Bild) und Kolonie­bildungs­tests aus unterschiedlichen Experimenten ähneln sich stark.

Nur ehrliche Irrtümer?

Sah Fulda am Anfang ihrer Karriere also die Notwendigkeit, ihrem Publikationserfolg nachzuhelfen? Einige der auf PubPeer diskutierten Abbildungen sind einfach zu offensichtlich fehlerhaft. Im besten Fall zeugen sie von wissenschaftlicher Schlampigkeit und werfen weder auf die Autoren noch auf den Peer-Review-Prozess ein gutes Licht. Manche Abbildungen lassen sich jedoch nicht mit Unachtsamkeit erklären. Sie wurden absichtlich bearbeitet und zusammengesetzt. Aber warum sollte jemand derart auffällige und leicht nachweisbare Bildmanipulationen riskieren? Und wer ist für die Unregelmäßigkeiten verantwortlich?

Gegenüber Laborjournal äußerte sich Simone Fulda bis zum Redaktionsschluss Anfang März 2024 nicht. Öffentlich wies sie jeden Vorwurf der Datenmanipulation zurück. Laut ihr gebe es keine Tatsachengrundlage für die Unterstellungen.

Trotz Unschuldsvermutung zog Simone Fulda bereits am 10. Februar 2024 Konsequenzen. Laut Pressemitteilung der Universität Kiel trat sie „in Verantwortung für die Universität […] schweren Herzens“ von ihrem Amt als Präsidentin zurück, da „leider bei Teilen der Universität offenkundig keine ausreichende Vertrauensbasis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mehr vorhanden ist“.

Derzeit prüft unter anderem ein Juristenteam der DFG-Geschäftsstelle etwaige DFG-Bezüge. Wann diese Vorprüfung abgeschlossen sein wird, lässt sich nach Angaben des DFG-Pressesprechers „zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehen“. Sollte ein förmliches Verfahren seitens der DFG folgen und wissenschaftliches Fehlverhalten beschieden werden, drohen Fulda Maßnahmen, „die von einer schriftlichen Rüge bis hin zum mehrjährigen Ausschluss von der Antragsberechtigung bei der DFG oder aus DFG-Gremien reichen können“, so der DFG-Pressesprecher gegenüber Laborjournal.

Alleinige Verantwortung?

Die Vorwürfe gegen die Krebsforscherin beziehen sich im Wesentlichen auf ihre Zeit an der Universität Ulm. Wenn sie damals als Autorin in Erscheinung trat, stand fast immer ein weiterer Wissenschaftler in der Autorenliste: Klaus-Michael Debatin, von 1997 bis März 2024 Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin sowie ehemaliger Dekan der Medizinischen Fakultät und Vizepräsident der Universität Ulm.

Seit 1997 verfassten Fulda und Debatin laut Web of Science zusammen 193 Artikel. Tatsächlich verantwortete Debatin als Seniorautor die Gesamtheit aller auf PubPeer besprochenen Erstautor-Publikationen von Fulda. Welche Mitverantwortung trägt er als Mentor der damaligen Postdoktorandin und Betreuer ihrer klinischen Ausbildung?

„Natürlich besteht bei einem Gruppenleiter oder Abteilungsleiter stets eine Mitverantwortung“, erklärt Debatin gegenüber Laborjournal. Auch wenn der Publikationsdruck damals für Simone Fulda hoch gewesen sei, habe er sie stets als integre Wissenschaftlerin erlebt. Die fachliche Zusammenarbeit sei immer unproblematisch verlaufen.

In der öffentlichen Berichterstattung wird der Ulmer Klinikdirektor bislang nicht erwähnt. Sein erst 2024 angetretenes Amt als Ombudsmann für gute wissenschaftliche Praxis der Heidelberger Akademie der Wissenschaften stellte er bereits Mitte Februar 2024 zur Verfügung. Kommen auf den 71-Jährigen weitere Konsequenzen zu? Er antwortet: „Unsere gemeinsamen Publikationen sind in den letzten 25 Jahren hundertfach zitiert und reproduziert worden. Niemand hat Fehler gefunden. Wenn jetzt jemand nach all den Jahren Dinge hervorholt, dann kann ich das nicht mit einem genuinen Interesse an wissenschaftlicher Wahrheit in Einklang bringen.“

Henrik Müller

Bild: Original in Fulda et al., Nat Med. doi.org/d8m3dn

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 3/2024.


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Letzte Änderungen: 02.04.2024