Editorial

„Das allein wird die Welt nicht retten“

(12.02.2024) NGT-1-Pflanzen sind eine Möglichkeit, besser angepasste Sorten ins Feld zu bringen, sagt Thomas Ott. Der Saatgutmarkt sollte aber nicht vollständig privatisiert werden.
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Speziell für den Anbau von Pflanzen zur Nahrungs- und Futtermittelgewinnung hat die EU eine neue Richtlinie auf den Weg gebracht. Neben den bisherigen genetisch veränderten Organismen sollen weitere Kategorien geschaffen werden für Pflanzen, die durch „neue genomische Techniken“ erzeugt werden – kurz: NGT. Gemeint sind Genome-Editing-Methoden wie CRISPR/Cas9. Für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 würden dann die Auflagen entfallen, die bislang für GVOs einzuhalten sind, sie wären weitestgehend wie Sorten aus klassischer Zucht reguliert. Nur einzelne Basenänderungen mit insgesamt maximal 20 Mutationen wären zulässig.

Im November hatte Klaus-Dieter Jany im Laborjournal das Vorhaben bereits als einen „mutigen Schritt der Kommission“ bezeichnet und weitestgehend begrüßt. Im Januar und Februar wurde es nun konkret: ENVI, der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, empfiehlt in seiner Abstimmung vom 24. Januar, den Entwurf zur Regulierung für NGT-1-Pflanzen zu übernehmen. Am 7. Februar spricht sich das EU-Parlament für die neue Richtlinie aus. Nun müssen aber auch noch die einzelnen Mitgliedsstaaten zustimmen, und hier gibt es noch Diskussionsbedarf. Vor allem das Thema „Patente“ sorgt noch für Bauchschmerzen. „[Die Neuregelung] darf nicht zur Einführung von Biopatenten durch die Hintertür führen“, kommentierte etwa das deutsche Landwirtschaftsministerium den Stand der Dinge auf seiner Website.

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Über eine Neuregulierung mit der Kategorie NGT-1 sprachen wir mit dem Pflanzenforscher Thomas Ott, Leiter der Arbeitsgruppe Zellbiologie der Pflanzen und Mitglied des Exzellenzclusters CIBSS an der Uni Freiburg. Otts Team erforscht die Interaktion zwischen Mikroben und Pflanzen und würde gern die Fähigkeit der Leguminosen zur Stickstoffsymbiose auch auf andere Nutzpflanzen wie Mais übertragen. „Damit wären diese Pflanzen komplett unabhängig von Dünger“, erklärt er, betont aber, dass hier artfremde Gene zum Einsatz kommen. Seine Arbeit fällt also nicht unter die NGT-1-Regeln. Ott sieht es aber als positiven Schritt an, wenn es gelingt, zumindest die NGT-1-Kategorie in einer neuen Richtlinie umzusetzen und damit Erfahrungen zu sammeln.

Angenommen die neue Richtlinie wird umgesetzt. Was ändert sich faktisch für den Verbraucher?
Thomas Ott: Die Frage ist, welche Traits, also welche Eigenschaften, man mit einer Einzelmutation bei einer Nutzpflanze erzielen kann. Wir kennen eine ganze Liste genetischer Loci, die infrage käme, um hier direkt und sehr präzise anzusetzen. Solange diese Pflanzen dann aber als genetisch veränderte Organismen klassifiziert sind, haben wir selbst in der Grundlagenforschung die ganzen damit verbundenen Auflagen zu beachten, wenn wir diese Pflanzen im Feld testen wollen. Das würde mit der neuen Richtlinie sicherlich einfacher werden. Ziel muss es sein, signifikante Beiträge zur Nahrungsmittelsicherheit und -versorgung zu leisten. Und das betrifft dann direkt die Verbraucher:innen.

Für NGT-1 darf man weder ganze Gene herausnehmen noch einsetzen. Was kann man denn durch den Austausch einzelner Basen verändern? Geht es nur um Knockouts? Kann man auch Eigenschaften verstärken? Und hat das wirklich signifikanten Einfluss auf die Erträge?
Ott: Gain of Function oder Loss of Function sind beides Optionen – es kommt auf die Mutation an. Da sind eine ganze Reihe von Eigenschaften bekannt. Schauen Sie mal in die Publikation von Sunny Ahmar et al. aus dem Jahr 2023 (Biotechnol Adv, 69: 108248): In der Tabelle 1 haben die Autoren einige Eigenschaften aufgelistet, die durch die Einführung von Einzelmutationen zumindest im Labormaßstab verändert werden konnten. Zehn Prozent Ertragsteigerung im Feld halte ich für denkbar, wenn man einen guten Trait hat. Mit der neuen Richtlinie hätten Pflanzenforscher:innen eine verbesserte Chance, diese Loci im Feld zu testen und zu überprüfen, ob sie halten, was sie im Labormaßstab oder Gewächshaus versprechen. Da werden sich natürlich nicht alle bewähren, das wissen wir auch aus der klassischen Züchtung.

Es gab unlängst auch einen offenen Brief, unterzeichnet von Nobelpreisträgern wie den CRISPR/Cas9-Pionierinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Der Tenor: Man solle das Feld nicht Ideologen und Dogmatikern überlassen, sondern Genome-Editing evidenzbasiert regulieren. Die Verfasser sprechen dabei auch die Herausforderungen rund um den Klimawandel an und die Sicherheit der weltweiten Nahrungsversorgung. Aber wird eine NGT-Richtlinie die Welt besser machen? Unternehmen werden ja weiterhin darauf schauen, was für sie lukrativ ist – und das ist nicht die Produktion von Pflanzen für die ärmsten Länder der Welt. Somit scheint mir dieses Argument vorgeschoben, zumal die Richtlinie ja ohnehin bloß die EU betrifft.
Ott: Ich würde grundsätzlich sehr vorsichtig sein, wenn jemand verspricht, mit einer einzigen Technik die Welt zu retten. Wir sollten uns aber trotzdem dafür öffnen, neue Techniken zu nutzen, wenn sie das Potential bergen, einen wichtigen Beitrag leisten zu können. Denn wir müssen uns darüber bewusst werden, dass es oft zehn bis 15 Jahre dauert, bis eine neue Sorte auf dem Acker etabliert ist. Und dass wir neue oder angepasste Sorten brauchen, wird sicher niemand bestreiten. Da ich aus wissenschaftlicher Perspektive hier Techniken sehe, mit denen wir dieses Ziel in einigen Fällen viel schneller erreichen und viel präziser eingreifen können, sollten wir jetzt damit beginnen, sie zu nutzen.
Der zweite Teil der Frage betrifft die wirtschaftliche Rentabilität von Saatgut. Und in der Tat denke ich, dass wir hier aufgrund der ungeheuren Wichtigkeit ein wachsames Auge haben müssen. Das gilt für mich aber erst einmal für alles Saatgut, unabhängig von der Technik, mit der es erzeugt wurde. Vielleicht darf ich aber ein Beispiel für eine Initiative nennen, an der auch wir beteiligt sind. ENSA heißt der Projektverbund. Da versuchen wir, primär für afrikanische Kleinbauern Sorten speziell für ihre Standorte zu entwickeln. Und es ist vertraglich vereinbart, dass das Saatgut dort lizenzfrei abgegeben wird, falls wir mit den Sorten erfolgreich sind. Ich glaube, wir brauchen mehr solcher Projekte und sollten den Saatgutmarkt nicht vollständig privatisieren.

Ein Kritikpunkt ist die Patentierbarkeit der Sorten. In der Vergangenheit gab es ja Klagen gegen Bauern, denen einfach passiv fremdes Saatgut aufs Feld geweht wurde, und die dann für etwas zahlen sollten, das sie gar nicht bestellt hatten.
Ott: Soweit ich weiß, sind diese Fälle, auf die Sie sich beziehen, aber tatsächlich aus den 1990ern und betrafen speziell Monsanto. Ein solch aggressives Vorgehen eines Konzerns ist sicherlich nicht akzeptabel. Ich habe allerdings von ähnlichen Streitfällen in neuerer Zeit nichts mehr gehört. Korrekt ist aber: Wenn unterschiedliche Sorten auf benachbarten Feldern angebaut werden oder unterschiedliches Saatgut in gleichen Produktionslinien verarbeitet wird, kann es zu einem sehr geringen Maß an Durchmischung kommen. Das ist allerdings unabhängig von der Herstellungsart des Saatguts.
Patente selbst sind sicherlich ein schwieriges Thema. Denn zum einen muss sich die jahrelange Entwicklung von Sorten für die Firmen am Ende rechnen, zum anderen muss es das Ziel sein, wirtschaftliche Abhängigkeiten so klein wie möglich zu halten. Im aktuellen Fall hat sich das EU-Parlament ja erst einmal abwehrend gegenüber Patenten bei NGT-1 Pflanzen positioniert. Hier muss man nun sicherlich mit Bedacht und Umsicht einen akzeptablen Weg finden.

Das heißt, unterm Strich gibt es einen Bedarf auch für NGT-1 hier in der EU?
Ott: Wir neigen dazu, unseren Saatgutmarkt zu romantisieren und dabei zu ignorieren, dass wir ungeheure Mengen an Saatgut importieren. Das sind zum Beispiel jedes Jahr Millionen Tonnen Soja für die Viehzucht, und da ist auch gentechnisch verändertes Soja dabei. Wir möchten einen umweltverträglichen Landbau, und der Ökolandbau schneidet da, was die Böden und Diversität betrifft, zweifelsohne besser ab. Das ist aber nicht so, wenn wir den Flächenverbrauch und den Ertrag pro Fläche betrachten. Persönlich hätte ich daher wenig Bedenken, zukünftig auch ertragreichere NGT-1-Pflanzen im ökologischen Landbau einzusetzen. Denn wenn wir die Sorten verbessern, können wir die verfügbaren Flächen noch effizienter nutzen, ohne weitere Ackerflächen auszuweisen. Deshalb braucht Europa eine vielfältige Weiterentwicklung des Saatgutes, und NGT-1 kann eine Möglichkeit dafür sein. Das allein wird die Welt natürlich nicht retten. Wir müssen uns gleichzeitig fragen, wo wir uns einschränken können. Wenn jeder von uns auf die Hälfte seines Fleischkonsums verzichten würde, wäre schon viel gewonnen.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: Michal Rössler/Universität Freiburg


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