Editorial

Selbst gemachter Strom

(26.09.2023) Bioingenieure konstruieren eine implantierbare Brennstoffzelle, die aus Blutglucose Strom gewinnt und in Zukunft Insulinpumpen versorgen könnte.
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Der Prototyp der Brennstoffzelle, in ein Vlies eingepackt.

„Ich beneide immer die Pokémons“, sagt Martin Fussenegger. „Diese Fantasiewesen sind in meiner Familie gerade sehr beliebt und da gibt es welche, die Photosynthese betreiben können – das wäre ein großer Traum.“ In der Realität ist der menschliche Organismus auf metabolische Energie angewiesen, die er über seine hetero­trophe Ernährung bezieht – oft genug allerdings zu viel davon: Zucker- und fettreiches Essen ist bei unserer modernen Lebensweise ständig verfügbar, während Bewegung meist Mangelware ist. Übergewicht, kardio­vaskuläre Erkrankungen und Diabetes sind die Folgen.

Wie die überschüssige metabolische Energie sinnvoll genutzt werden kann, fragten sich Fussenegger und seine Arbeitsgruppe am Baseler Department Biosysteme der ETH Zürich. Optimal wäre es, sie in diejenige Energieform umzuwandeln, die unsere Gesellschaft heute hauptsächlich verwendet – Elektrizität. Schließlich hat diese auch in der Medizin grundlegende Bedeutung: „Immer mehr elektronische Geräte werden für medizinische Zwecke verwendet und häufig auch implantiert“, erläutert Fussenegger. Beispiele dafür sind Herz- und Hirn­schrittmacher, Hörgeräte und Insulinpumpen. Deren Energiebedarf über elektrische Energie zu decken, die direkt am oder im Körper erzeugt wird, würde Betroffenen das Leben erleichtern. Wenn Patienten nämlich ständig daran denken müssen, die Akkus ihrer medizinischen Geräte aufzuladen, oder gar deren Batterien häufig ausgetauscht werden müssen, schränkt das ihre Bewegungs­freiheit und ihre Sicherheit ein.

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Energie aus Zucker

Zur Verwirklichung ihrer Idee kamen für die Baseler Bioingenieure mehrere körpereigene Energieträger infrage. Den Einfall, Körperwärme zu nutzen, verwarf Fussenegger, da sich die Körper­temperatur in einem engen Fenster bewegt und keine Energie­entnahme zulässt. Fette schieden ebenfalls aus, weil ihre molekulare Struktur zu divers ist. Außerdem könnte es Stoffwechsel­probleme verursachen, dem Körper selektiv Fette zu entziehen, da diese auf vielfältige Weise in den Metabolismus eingebunden sind. Fusseneggers Arbeitsgruppe konzentrierte sich deshalb auf Glucose, deren Menge in unserer Ernährung häufig zu hoch ist.

Der Glucose­spiegel im Blut steigt nach den Mahlzeiten stark an, und genau diese Höchstwerte wollte Fussenegger abgreifen: „Das ist wie bei einem Hybridauto. Wenn man da aufs Gaspedal drückt, wird ein Teil der Verbrennungs­energie abgezweigt und in elektrische Energie umgewandelt.“ Ähnlich könne man sich das bei einer körpereigenen Brennstoffzelle vorstellen, erklärt Fussenegger: „Man isst ein Stück Sahnetorte, der Glucose­spiegel geht hoch, und ein Teil von dessen chemischer Energie wird in elektrische Energie umgewandelt. So kommt im Metabolismus gar nicht die Sahnetorte an, sondern etwas Vernünftiges.“ Derartige Brennstoffzellen auf Basis von Glucose gibt es bereits. Sie verwenden zum Beispiel das Enzym Glucose-Oxidase, um metabolische in elektrische Energie umzuwandeln. Allerdings ist diese Methode mit Problemen behaftet, die von der begrenzten Lebensdauer der verwendeten Enzyme über deren Sauerstoff­verbrauch bis hin zu einer notwendigen unphysiologisch hohen Glucose­konzentration reichen.

Im Inneren der Brennstoffzelle

Anstelle einer Biokatalyse setzte Fusseneggers Gruppe auf verschiedene Nanomaterialien, die sie dreidimensional zusammensetzten. Die Anode ihrer neu konstruierten Brennstoffzelle besteht aus mehrwandigen Kohlenstoff-Nanoröhren, die mit Kupferoxid-Nanopartikeln beschichtet, mit Poly-(3,4-Ethylen­dioxythiophen)-Poly(styrol­sulfonat) (PEDOT-PSS) gefüllt und in einen flexiblen Graphit-Filz eingebettet sind. Ist die Brennstoffzelle in Betrieb, katalysiert das Kupferoxid die Umwandlung von Glucose zu Gluconsäure. Dabei werden Elektronen freigesetzt, die von den Kohlenstoff­röhrchen und deren leitfähiger Füllung aus PEDOT-PSS abtransportiert werden.

In der Kathode hingegen fungieren auf Carbon-Black aufgebrachte Platin-Nanopartikel als Katalysator und reduzieren freigesetzte Protonen mit Sauerstoff zu Wasser. Ein Überzug aus Nafion, einem sulfonierten Tetra­fluorethylen-Polymer (PTFE), leitet selektiv die an der Anode frei werdenden Protonen zur Kathode. Der Grundstoff Carbon-Black – im Prinzip elementarer Kohlenstoff – unterstützt diesen Prozess.

Anode und Kathode sind über isolierte Kupferdrähte an einen Stromkreis angeschlossen, mit dessen Hilfe der Glucose­level bestimmt und die Strom­erzeugung ab einer Konzentration von zehn Millimol pro Liter angeschaltet wird. Der erzeugte Strom lädt schließlich einen Kondensator. Über ein kabelloses Interface können Reaktions­parameter ausgelesen und Einstellungen verändert werden.

Treibstoff für β-Zellen

Um die Brennstoffzelle in vivo zu validieren, implantierten die Bioingenieure einen Prototypen in Mäuse mit Typ-1-Diabetes. Zwar erzeugten die Geräte unter deren Haut nur die Hälfte ihrer Leistungsdichte. Ihre Spitzenspannung sank jedoch nie unter 0,42 Volt. Darüber hinaus konnte die volle Funktionalität der Brennstoffzelle selbst nach längeren Implantationszeiten durch ein einfaches Waschen und Erhitzen des Geräts wiederhergestellt werden. Um die Brennstoffzelle besser vor Störungen zum Beispiel infolge von Fibrose zu schützen und ihre Biokompatibilität zu erhöhen, bettete Fusseneggers Arbeitsgruppe sie in medizinisch zugelassenes Alginat ein. Ihre Leistungswerte beeinflusste das nicht.

Einer therapeutischen In-vivo-Anwendung stand somit nichts mehr im Weg. Erneut bot sich den Bioingenieuren Typ-1-Diabetes als Demonstrationsbeispiel an, da die Krankheit aufgrund eines Insulinmangels dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte verursacht und so kontinuierlich den Treibstoff für die Brennstoffzelle liefert. „Als Ingenieure glauben wir, dass eine Therapie nicht nur dann zielführend ist, wenn wir Insulin-produzierende β-Zellen wieder zum Leben erwecken“, erklärt Fussenegger. Stattdessen sei jedes System hilfreich, das die Glucose­konzentration messen und entsprechend Insulin produzieren kann.

Bereits in früheren Studien hatte Fusseneggers Arbeitsgruppe pankreatische β-Zellen durch konstitutive Expression spannungs­abhängiger Calzium- und Kaliumkanäle so programmiert, dass sie als Reaktion auf eine Membran­depolarisation Insulin ausschütten (Science, 368(6494: 992-1001). Diese Electro-β-Zellen verkapselten die Baseler nun ebenfalls in Alginat und transplantierten sie zusammen mit ihrer Brennstoffzelle in Mäuse mit Typ-1-Diabetes. Wie erhofft sprang die Brennstoffzelle sofort an, sobald der Glucose­spiegel im Blut der Mäuse anstieg. Binnen 30 Minuten schütteten die Electro-β-Zellen daraufhin Insulin aus, und zwar nicht nur einmalig, sondern während wiederholter Phasen hoher Glucose­spiegel.

In einer parallelen Testreihe brachte Fusseneggers Team mit dem Strom aus der Brennstoffzelle eine subkutan in Mäusen implantierte blaue LED-Lampe zum Leuchten. Deren Licht regte in lichtsensitiven iβ-Zellen den transgen in der Zelllinie exprimierten G-Protein-gekoppelten Rezeptor Melanopsin an. Dies führte ebenfalls zur Depolarisation der Zellmembran und infolgedessen zur Ausschüttung des in den iβ-Zellen produzierten Insulins. Erneut erreichten die Bioingenieure eine Normalisierung des Blutglucose­spiegels ihrer Testtiere. Entscheidend dabei ist, dass die Brennstoffzelle tatsächlich ausreichend Strom zum Betrieb einer LED-Lampe erzeugt. „Das heißt, unser System funktioniert nicht nur konzeptionell, sondern auch praktisch. Man kann es tatsächlich anschalten und sehen“, freut sich Fussenegger.

Implantierbare Lichtquellen, die mit Energie aus Blutglucose im Körper leuchten, klingen ein bisschen nach Science Fiction. Dabei ist die Optogenetik bereits heute eine naheliegende Anwendungs­möglichkeit für die Brennstoffzelle, so Fussenegger: „Alle, die klinische Versuche mit Optogenetik machen, könnten anstatt mit Batterien oder drahtloser Stromübertragung mit unserem System arbeiten.“ Das wäre vorteilhaft, da LEDs so viel Strom verbrauchen, dass ihre Batterien jede Nacht geladen werden müssen. Eine Brennstoffzelle mit kontinuierlicher Stromproduktion wäre hingegen ein Fortschritt.

Regelkreise

Egal, ob elektro- oder optogenetisch reguliert, beide Brenn­stoffzellen­systeme schalten sich wieder ab, sobald ein physiologischer Glucose­spiegel erreicht wird. Schließlich dürfen die Brennstoffzellen dem Blut nicht zu viel Glucose entziehen. Die Freisetzung von Insulin stoppt nach Versiegen der Stromversorgung. Unterm Strich ist es Fusseneggers Arbeitsgruppe somit gelungen, einen geschlossenen Regelkreis zu konstruieren, der den Glucose­spiegel im Blut der Mäuse autonom kontrolliert. Auch zur dynamischen Regulation anderer metabolischer Krankheiten wäre er einsetzbar. Klinische Versuche als der nächste Schritt hin zu einer Therapie von Diabetes-Patienten sind für Fussenegger indes schwer zu realisieren. Dafür benötigt seine Arbeitsgruppe nach seiner Aussage die Unterstützung von Start-ups oder Industrie­partnern, die die dafür erforderlichen Kompetenzen mitbringen.

Unterdessen ist Fussenegger davon überzeugt, dass Regelkreise in der Medizin extrem wichtig sind. Therapien sollten nach dem Vorbild der Natur Stoffe wiederverwerten und Regelkreise schließen. Entsprechend steht auch sein Brenn­stoffzellen­system in der Tradition früherer Projekte seiner Arbeitsgruppe, in denen beispielsweise ein genetischer Regelkreis für den Abbau von Harnsäure und damit die Therapie von Gicht etabliert wurde.

Wird es in Zukunft vielleicht sogar möglich sein, die Stoffwechselenergie des eigenen Körpers zum drahtlosen Aufladen externer Geräte zu benutzen? „Vielleicht“, meint Fussenegger, „denn allein über die Körperwärme strahlt der menschliche Organismus schon 100 Watt ab, womit man heutzutage viel machen kann.“ Sicher ist es nicht möglich, diese Energie vollständig umzusetzen, befindet der Bioingenieur. „Eine Tesla-Batterie können wir mit einer metabolischen Brennstoffzelle natürlich nicht aufladen; für alle Geräte, die wir so mit uns herumtragen, also Handy, Uhr und Laptop, könnten 100 Watt aber reichen.“ Mit dieser Aussage schließt sich auch der Kreis zu den in Fusseneggers Familie so beliebten Pokémons: Manche unter ihnen betreiben nämlich nicht nur Photosynthese, sie erzeugen auch elektrische Felder.

Angela Magin

Maity D. et al. (2023): Blood-glucose-powered metabolic fuel cell for self-sufficient bioelectronics. Adv Mater, 35(21):e2300890

Bilder (2): Fussenegger Lab/ETH Zürich

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal 9/2023.


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Letzte Änderungen: 26.09.2023