Editorial

Es ergibt keinen Sinn!

(04.09.2023) Hunderttausend Fruchtfliegen hat Henrik Mouritsen jahrelang beobachtet. Einen Magnetsinn, wie publiziert, konnte er bei ihnen nicht bestätigen.
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Völlig unbeeindruckt von Magnetfeldern

Mit dem Sommerausklang macht sich mancherorts schon Zugunruhe breit. Mit Plänen der Bahngewerkschaft hat das nichts zu tun. Zugunruhe ist die schon von Charles Darwin beobachtete nervöse Zappelei von Zugvögeln, die sich auf ihren Abflug gen Süden vorbereiten. Dass sie verreisen und auch wieder punktgenau zurückfinden, verdanken sie ihrem Magnetsinn. Seit 1972 ist die Erkenntnis des Frankfurter Forscher­ehepaars Wolfgang und Roswitha Wiltschko publik und anerkannt, wonach Rotkehlchen und andere Vögel über einen solchen Sinn verfügen (Science, 176(4030): 62-4).

Die Tiere orientieren sich nicht wie ein technischer Kompass an der Polarität des irdischen Magnetfelds, sondern am Neigungs­winkel der Feldlinien. Nahezu parallel zur Erdoberfläche verlaufende Feldlinien am Äquator und im steilen Winkel verlaufende an den Polen interpretieren Vögel als Flugrichtung äquator- beziehungsweise polwärts. Vom Winterquartier retour setzten sie beim passenden Neigungswinkel zur Landung an.

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Apfel oder Afrika

Mit lautem Zwitschern könnten Fruchtfliegen ihre Orien­tierungs­fähigkeit zwar nicht äußern, doch hätten auch sie einen Magnetsinn, brächten sie als Modell­organismus in der Navigations­forschung ganz klare Vorteile. Klein, genetisch manipulierbar und kürzere Wege und Wegzeiten als ihre gefiederten Kollegen – mit diesen Eigenschaften wären größere Probanden­gruppen schnell und unter vergleichsweise geringem Aufwand analysierbar. Das minimale Element für eine Kompass, Chryptochrom, das zumindest bei Vögeln und in vitro Magnetfeld-abhängig Radikalpaare bildet (Nature, 594: 535-40), ist unter Lebewesen weit verbreitet.

Henrik Mouritsens Forschung an der Uni Oldenburg hatte sich bislang gänzlich um die Navigation von Vögeln und speziell zu neuro­biologischen Aspekten ihres Magnetsinns gedreht. Gelegentlich auf Drosophila auszuweichen, um wertvolle Daten zu sammeln, hätte zweifelsohne seinen Reiz. Mouritsen ging die Sache nüchtern an und versuchte zunächst, Beobachtungen Dritter zu reproduzieren. Laut Robert Gegear et al. (Nature, 454: :1014-8) und Giorgio Fedele et al. (Nat Commun, 5: 4391) verfügt Drosophila über einen Magnetsinn. PubMed verzeichnet 163 Paper zu „magnetic field“ & „Drosophila“. Welchen Sinn er für eine Fruchtfliege macht, die den Weg zum nächsten Apfel und nicht nach Afrika finden muss, sei dahingestellt.

Bombensicher abgeschirmt

Mouritsen baute die Apparatur gemäß der Gegear-Publikation nach und hielt sich strikt an die Protokolle. Der Apparat ist spiegel­symmetrisch und zweiteilig, sodass sich die Fliegen ihren Präferenzen gemäß bewegen können. Auf beiden Seiten gibt es je eine Spule, durch die Strom fließt. Mit einer der beiden Spulen wird ein Magnetfeld erzeugt, in Höhe der Erdmagnet­strahlung von 500 µT. In der anderen Spule fließt gleich viel Strom in beiden Richtungen, sodass sich die Magnetfeld­wirkung aufhebt, jedoch die Wärme­erzeugung jener der ersten Spule entspricht. Der Apparat steht in einer Holzkiste. Mouritsen stellte die Kiste in einen Raum, der bombensicher von Erdmagnet­strahlung abgeschirmt ist. Konstruk­tions­details zum Raum finden sich in: Front Behav Neurosci, 10:55. Das ist der einzige, aber wesentliche Unterschied zum Original.

Mouritsens Fruchtfliegen – er verwendete denselben Drosophila-Stamm wie publiziert – bevölkerten die gesamte Apparatur ohne erkennbare Präferenz bzw. Abneigung. Dabei hätten sie doch eigentlich die „strahlende“ Hälfte vermeiden müssen. Kontroll­experimente mit Zucker oder Gerüchen funktionierten hingegen. Selbst nach längerem Training – hier wurde Fliegen öfter und länger das Magnetfeld angeboten und jene, die die enstprechende Apparatur­hälfte besiedelten, mit Zucker belohnt – ließen sich die publizierten Bewegungen nicht reproduzieren. Hätten die Fliegen das Magnetfeld wahrgenommen, hätten sie zielstrebig jene Bedingung aufsuchen müssen, hinter der gemäß Training die Zucker­belohnung steckte. Mit Düften funktionierte es, mit Magnetfeldern aber eben nicht.

Irrtümliche Interpretation

Mouritsen verwendete sehr viele Fliegen, fast einhunderttausend, und brachte mit insgesamt 48-monatiger Versuchszeit viel Geduld auf. Eine Erklärung zur Nicht-Reprodu­zierbarkeit war bald gefunden. In der Originalstudie waren statistische Berechnungen davon ausgegangen, dass sich jede Fliege unabhängig von den anderen bewegt, was aber nicht der Realität entspricht. Zusammen mit zu geringen Probanden­zahlen hatte das zu der irrtümlichen Ergebnis­interpretation geführt.

Einmal Verdacht geschöpft, hinterfragte Mouritsen auch die Publikation von Fedele et al. Hier hätten Fliegen dem Magnetfeld entfliehen sollen, indem sie in einem Gefäß nach oben klettern (negative Geotaxis). Wiederum hielt sich Mouritsen exakt an die Original­konstellation, verwendete denselben Drosophila-Stamm (CS-LE), filmte die Bewegungen und berechnete den Anteil von Fliegen, die binnen 15 Sekunden um 15 cm geklettert waren. Hierzu klopft man die Fliegen zu Beginn auf den Gefäßboden, nutzt eine sanfte Zentrifugation oder – als weitere und noch sanftere Variante von Mouritsen, appliziert einen kurzen Druckabfall.

Absolut blind für Magnetfelder

In seinen absolut Erdmagnet­strahlung sicheren Kammern verhielten sich die Fliegen völlig blind gegenüber applizierten Magnetfeldern. Da ihm 15 cm Kletterei in 15 Sekunden recht willkürlich als Verhaltens­indikator erschien, ermittelte Mouritsens Team, außerdem die Position der Fliegen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Auswertung brachte keine Zeichen für Magnetfeld-beeinflusstes Verhalten. Dieses ließ sich auch nicht mit weiteren getesteten Magnetfeld­stärken (90, 220, 300 µT) herauskitzeln, und auch nicht mit LED-Beleuchtung als Hintergrund­atmosphäre. Dass Fliegen selbst in Einzelabfertigung – im Teströhrchen war jeweils nur ein Tier, dessen Bewegung aufgezeichnet wurde – sich als absolut blind für Magnetfelder erwiesen, mündete im unvermeidlichen Fazit: die publizierten Arbeiten, Drosophila habe einen Magnetsinn, sind höchst zweifelhaft. Also dann doch lieber wieder zurück zu den Rotkehlchen.

Andrea Pitzschke

Bassetto M. et al. (2023): No evidence for magnetic field effects on the behaviour of Drosophila. Nature, 620: 595–9.

Bild: Wikimedia Commons/Katja Schulz (CC-BY 2.0) & Pixabay/Clker-Free-Vector-Images (Magnet)


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Letzte Änderungen: 04.09.2023