Editorial

„Wir schaffen Freiräume für Ungewöhnliches“

(14.08.2023) Die Junge Akademie hat sich der Interdisziplinarität verschrieben. Seit Juni ist die Evolutionsbiologin Gisela Kopp die Sprecherin des Netzwerks.
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Gisela Kopp forscht in Radolfzell und Konstanz zu Primaten in afrikanischen Savannen und deren Evolution

Seit wann gibt es die Junge Akademie?
Kopp: Im Jahr 2000 waren wir die erste Junge Akademie weltweit, unsere Träger­akademien sind die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Inzwischen haben sich, basierend auf unserem Modell, weltweit eine Vielzahl von ähnlichen Initiativen gegründet – sowohl auf nationaler Ebene als auch übergreifende Netzwerke wie die Global Young Academy.

Welche Aufgaben hat das Netzwerk?
Kopp: Wie unsere Träger­akademien sind wir sowohl „Gelehrten­gesellschaft“ als auch „Arbeitsakademie“ und bieten eine Plattform für herausragende Wissen­schaftler:innen aller Disziplinen und Künstler:innen, allerdings in einem früheren Stadium ihrer Karriere. Unsere Aufgabe ist es, die Potentiale und Grenzen interdisziplinärer Arbeit auszuloten. Wir bringen Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur miteinander ins Gespräch und setzen Impulse in der wissen­schafts­politischen Diskussion. Ein großer Fokus liegt auch auf der Wissenschafts­kommunikation, zum Beispiel haben wir gerade ein Kinderbuch veröffentlicht. Auf nationaler und internationaler Ebene sind wir in die wissen­schafts­basierte Politikberatung eingebunden. Wir können beratende Mitglieder vorschlagen, die zu verschiedenen Themen Debatten­beiträge abgeben.

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Was konnte die Junge Akademie seit ihrer Gründung erreichen?
Kopp: Wir sind eine wichtige Stimme in der Wissen­schafts­politik und haben beispielsweise Stellungnahmen veröffentlicht zum Wissenschafts­zeitvertragsgesetz, zum Ersatz der Lehrstühle durch eine Department­struktur mit mehreren Professuren, zu Erfahrungen mit der Juniorprofessur, zu Anreizsystemen in der Wissenschaft, und zur Situation der Promovierenden. Wir beschäftigen uns mit Themen, die wir für wichtig halten und die nach unserer Ansicht auf die wissen­schafts­politische Agenda gehören. Unser Ziel ist es, dass Wissen­schaftler:innen unserer Generation in allen wichtigen Entscheidungs­gremien vertreten sind. Viele Alumni der Jungen Akademie sind inzwischen in einflussreichen Positionen angelangt, beispielsweise die DFG-Präsidentin Katja Becker.

Welche Aktivitäten haben Sie für Ihre Amtszeit als Sprecherin der Jungen Akademie geplant?
Kopp: Wir wollen die Junge Akademie international weiter vernetzen, um voneinander zu lernen. Wir hatten kürzlich einen intensiven und sehr interessanten Austausch mit der israelischen Jungen Akademie und sind nächstes Jahr Veranstalterin des Treffens der Europäischen Nationalen Jungen Akademien (ENYA). Ein besonderes Anliegen ist mir persönlich der Austausch mit Jungen Akademien auch abseits der üblichen wissenschaftlichen Kooperationspartner, beispielsweise in Afrika. Wir analysieren zudem, wie Inter­natio­nalisierung in der Wissenschaft praktiziert wird und wo es Ungleichgewichte gibt.
Wir werden auch in den Blick nehmen, wie Forschungs­gemeinschaften und -umgebungen positiv gestaltet werden können, und so hervorheben, dass Forschung meistens im Team praktiziert wird und wie ausschlaggebend eine gute Umgebung für exzellente Forschung ist.

Wie bringen Sie Ihre eigene wissenschaftliche Expertise bei der Jungen Akademie ein?
Kopp: In interdisziplinären Diskussionen bringe ich die Perspektive und Erfahrung aus der Biologie ein. Kürzlich haben wir diskutiert, wie man Ressourcen nutzt, die in anderen Ländern gewonnen wurden. In der Genetik ist das ganz klar durch das Nagoya-Protokoll „über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile“ geregelt. In anderen wissenschaftlichen Disziplinen gibt es allerdings keine internationalen Regelungen und sie könnten gegebenenfalls von der Biologie lernen.
Am Max Planck Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und an der Universität Konstanz erforsche ich, warum und wie engverwandte Arten unterschiedliche Verhaltensmuster entwickeln und wie diese Verhaltensweisen die Evolution der Populationen beeinflussen. Ein Fokus meiner Forschung liegt auf Primaten in afrikanischen Savannen und deren Evolution.
Im Rahmen unseres Junge-Akademie-Projekts „WüstenWissen“ untersuchen wir anhand von Felsbildern aus der Sahara, ob man diese als biologische Daten über Säugetiere nutzen und mit genetischen Daten und Klima­rekonstruktionen zusammenbringen kann. Die heute trockene Sahara war in einer Zeitspanne von vor 5.000 bis vor 14.600 Jahren von einer fruchtbaren Savannen­landschaft bedeckt und mit den entsprechenden Tieren bevölkert. Am Projekt nehmen zum Beispiel auch eine Kunst­historikerin, ein Islam­wissenschaftler, eine Statistikerin und eine Landschafts­ökologin teil. Im Rahmen des Projekts kann ich zu meiner Forschung eine neue Perspektive hinzufügen, die im üblichen Forschungs­kontext keinen Raum hätte.

Wie kann man in der Jungen Akademie Mitglied werden?
Kopp: Die Junge Akademie hat konstant 50 Mitglieder. Eine Mitgliedschaft dauert jeweils fünf Jahre. Jedes Jahr scheiden zehn Mitglieder aus und zehn neue Mitglieder werden zugewählt. In geraden Jahren wählen die Träger­akademien (BBAW und Leopoldina) die neuen Mitglieder aus. Eigenbewerbungen sind in diesen Jahren nicht möglich, sondern nur Nominierungen. Man könnte natürlich auch auf ein Akademie­mitglied zugehen und um Nominierung bitten.
In den ungeraden Jahren, also auch dieses Jahr, liegt die Verantwortung für den Zuwahlprozess bei der Jungen Akademie und erfolgt über Eigenbewerbungen der Kandidat:innen im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung. Zehn neue Mitglieder werden von einer Zuwahl­kommission unter den Bewerbungen in einem zweistufigen Verfahren ausgewählt. Das Mitgliederplenum muss der Zuwahl zustimmen.

Wer kann Mitglied bei der Jungen Akademie werden?
Kopp: Bewerben können sich herausragende junge Wissenschaftler:innen und Künstler:innen, die ein eigenständiges Forschungsprofil vorweisen können oder sich eine eigene künstlerische Handschrift erarbeitet haben. Neben einer abgeschlossenen Promotion oder einem künstlerischen Qualifikationswerk wird mindestens eine weitere herausragende wissenschaftliche oder künstlerische Leistung erwartet. Wissen­schaftler:innen bewerben sich bei uns etwa drei bis sieben Jahre nach der Promotion (wobei wir natürlich Ausfallzeiten berücksichtigen), haben in der Regel aber noch keine Lebenszeit­professur.
Bewerber:innen müssen ihre Motivation zur aktiven Mitarbeit nachweisen, indem sie zum Beispiel bereits interdisziplinär gearbeitet oder sich in verschiedenen Initiativen engagiert haben. Es gibt keinen festen Proporz für die verschiedenen Disziplinen. Wir achten aber auf eine ausgewogene Mitgliederschaft aus Natur-, Lebens-, Gesellschafts- und Geistes­wissenschaften, Technik und Künsten.
Die Mitglieder betreiben Arbeitsgruppen und Projekte. Ihre Aktivitäten sind frei und eigenmotiviert. Es gibt auch Anfragen von außen, die an die Mitglieder herangetragen werden. Es gibt keine Verpflichtung, diesen Anfragen nachzukommen, die Motivation dazu ist aber gewünscht.

Woher bekommt die Junge Akademie Gelder?
Kopp: Wir werden hauptsächlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und zu einem kleineren Teil vom Land Sachsen-Anhalt und der BBAW. Von unserem Gesamtetat werden die Geschäftsstelle und Mitglieder­versammlungen finanziert, Mitglieder erhalten sowohl persönliche Förderung als auch Förderung für Gemeinschafts­projekte. Sie können intern Finanzanträge für Projekte und Arbeitsgruppen stellen, über die das Plenum entscheidet. Inhalt und Format der Projekte sind wenig reglementiert und bieten größtmöglichen Freiraum, müssen aber natürlich zu den Zielen der Jungen Akademie passen. Der Aufwand ist geringer als bei einem Antrag bei einer der üblichen Förder­organisationen und es sind auch nicht unbedingt Vorarbeiten nötig, dafür aber ein hoher Innovationsgrad und man muss es schaffen, die anderen Mitglieder für seine Idee zu begeistern.

Worin bestehen aktuell die größten Herausforderungen für Wissen­schaftler:innen in Ihrer Karrierephase?
Kopp: Im deutschen System und auch international sind die Beschäftigungs­verhältnisse eine große Herausforderung. Kreative „Blue-Sky-Forschung“ kommt dabei zu kurz, da Wissen­schaftler:innen mit ihren befristeten Verträgen lieber den sicheren Weg wählen. Gleichzeitig haben die Anforderungen zugenommen mit der Verpflichtung zum Einwerben von Geldern, zum Betreiben von Wissenschafts­kommunikation und Transfer, zum Netzwerken und zur Inter­diszipli­narität. Das kann zu Überlastung führen. Als Junge Akademie bringen wir neue Ideen und Impulse in die Wissen­schafts­politik ein und nehmen über Beratung Einfluss auf politische Entscheidungsträger und Förder­organisationen. Wir bieten eine Plattform mit großer Sichtbarkeit und Reichweite sowie ein Netzwerk an Kontakten, die Individuen auf dieser Karrierestufe in der Regel nicht haben. Für unsere Mitglieder schaffen wir zudem Freiräume für Ungewöhnliches und Neugier-getriebene Forschung – so wie man sich die Wissenschaft eigentlich wünscht.

Das Interview führte Bettina Dupont

Bild: Ulrike Sommer


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Letzte Änderungen: 14.08.2023