Editorial

„Was versuchen wir zu schützen?“

(03.07.2023) Synthetische Embryonen erobern die Schlagzeilen, eine öffentliche Debatte hat aber noch nicht stattgefunden, sagt Medizinethiker Nils Hoppe.
editorial_bild

Im deutschen Recht gibt es das Verbot, Menschen zu klonen, und es ist untersagt, embryonale Stammzellen aus neu gewonnenen Embryonen für die Forschung zu verwenden. Generiert man jedoch aus menschlichen Körperzellen embryo­ähnliche Gebilde, dann greifen diese Regelungen nicht.
Nils Hoppe: Ja, man merkt der Gesetzgebung in Deutschland eine gewisse Hilflosigkeit an. Wir haben einen Gesetzestext, der im Falle des Embryonen­schutz­gesetzes schon über 30 Jahre alt ist. Wir sprechen da von einem Strafgesetz, und Strafgesetze sind ganz besonders unflexibel. Deswegen haben wir in diesem Fall eigentlich eine Festlegung des wissen­schaftlichen Standes der 1990er-Jahre. Insofern überrascht es nicht, dass wir jetzt im Jahr 2023 hier sitzen und feststellen: Irgendwie passt das nicht.

Editorial

Sehen Sie in den aktuellen Entwicklungen, für die die Gruppen von Magdalena Zernicka-Goetz und Jacob Hanna exemplarisch stehen, etwas fundamental Neues? Oder hat sich das alles in den letzten zehn Jahren nicht irgendwie abgezeichnet?
Hoppe: Ich glaube schon, dass es sich abgezeichnet hat. Vielleicht nicht vor zehn Jahren, aber ich würde sagen, seit 2018 war für mich erkennbar, wohin die Reise geht. Gesellschaftlich haben wir darauf nicht gut reagiert, denn es gibt keine dauerhafte Debatte darüber, keinen wirklichen Austausch im Gesellschaftsleben, um die unterschiedlichen Positionen besser zu verstehen. Mir wäre wichtig, zu diskutieren, was wir hier eigentlich versuchen zu schützen. Mit welcher Praxis oder mit welchen wissen­schaftlichen Entitäten haben wir denn eigentlich Schwierigkeiten? [Links zu den neuesten bioRxiv-Preprints von Zernicka-Goetz (doi.org/kg5m) und Hanna (doi.org/kg5n)]

Aber verstehe ich das richtig: Juristisch gibt es keine Einschränkung für den Umgang mit Embryoiden, die aus menschlichen Körperzellen gewonnen wurden?
Hoppe: Es gibt relativ viele Bestimmungen, die man beachten muss, wenn man mit humanen Biomaterialien arbeitet. Nur weil das Embryonen­schutz­gesetz und das Stammzell­gesetz nicht einschlägig sind, bewegen wir uns nicht in einem regulatorischen Vakuum. Meiner Meinung nach wäre es eine Überreaktion, wenn wir sofort eine Gleichsetzung zwischen Embryonen und diesen neuen Modellen unterstellen würden. Wir müssen uns dann fragen, ob die Entität, mit der wir es hier zu tun haben, tatsächlich das ist, was der Gesetzgeber damals erfassen wollte. Und meine Intuition ist, dass das nicht der Fall ist.

Aber glauben Sie nicht, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis diese neuen Entitäten zumindest über weite Stadien hinweg nicht mehr von einem klassischen menschlichen Embryo unterscheidbar sind?
Hoppe: Doch, da bin ich relativ sicher. Und ich glaube, dass die ganze moralische und juristische Diskussion dann noch einmal ganz neu geführt werden muss, falls wir an den Punkt kommen, so etwas implantieren zu können, sodass sich daraus ein ganz normaler Mensch entwickelt. Denn dann könnte man mit dieser Methode faktisch Menschen klonen. Aber wir müssen die Kirche auch ein bisschen im Dorf lassen. Im Augenblick reden wir über Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler, die im Wesentlichen Grundlagen­forschung betreiben zur Embryogenese. Die haben jetzt ein Modell produziert, mit dem sie ihre Forschung betreiben können, ohne dass sie im großen Stil verbrauchende Embryonen­forschung mit überzähligen Embryonen betreiben müssen. Ich glaube, dass wir vielleicht auch wissen­schafts­freundlicher argumentieren sollten. Diese Leute wollen ja nicht franken­stein­artig irgendwelche Dinge im Labor züchten, sondern was Zernicka-Goetz und Hanna da machen, tun sie explizit, um Kinderwunsch­behandlungen sicherer und erfolgreicher zu machen.

Hätten Sie einen Vorschlag, wie eine gesetzliche Grundlage aussehen könnte, die zwar forschungs­freundlich ist, aber Missbrauch unterbindet?
Hoppe: Je spezifischer ein Gesetz zu Technologie, Wissenschaft oder Medizin formuliert ist, desto wahrscheinlicher wird es relativ schnell ungeeignet für seinen Zweck. Deshalb wäre ein geeigneter regulatorischer Rahmen einer, der abstrakt bleibt und benennt, welche Ergebnisse wir verhindern wollen. Wir könnten zum Beispiel sagen, dass wir das Klonen von Menschen nicht wollen – egal mit welcher Technologie. Dazu müssten wir im Abstrakten definieren, was für uns einen Klon ausmacht.

Ethikkommissionen prüfen hierzulande ja ohnehin Forschungs­vorhaben, sobald Menschen, menschliche Materialien oder Wirbeltiere involviert sind. Solange diese Mechanismen funktionieren, braucht es da überhaupt für alles explizite Gesetze?
Hoppe: Wir haben die klinischen Ethik­komitees, und wir haben die Forschungs­ethik­kommissionen, und bei beiden gibt es eine gewisse Unterregulierung. Die geben sich ihre eigenen Spielregeln, wie sie zu Ergebnissen kommen. Im Wesentlichen sind das Leute, die dort ehrenamtlich oder nebenamtlich tätig sind. Das wäre beim derzeitigen Stand eine Zumutung für die existierenden Ethik­kommissionen, wenn sie eine solche Aufgabe einfach zusätzlich wahrnehmen müssten. Hinzu kommt die lokale Ausrichtung: Die Ethik­kommission in Ulm hat unter Umständen keine Ahnung, was die Ethik­kommission in Kiel in solch einer Situation schon mal entschieden hat. Das System muss aber prozedural fair sein. Das heißt, dass ähnlich gelagerte Fälle auch ähnlich entschieden werden müssen. Und dafür brauchen wir einen systematischen Überblick.

Also braucht es sehr wohl eine Gesetzgebung als Orientierung.
Hoppe: Ja, allein schon aus dem Grund, weil unsere derzeitige gesetzliche Orientierung nicht gut funktioniert. Wir sollten sie durch etwas Besseres ersetzen. Da wäre mein Plädoyer, einen innovations­freundlichen Rahmen mit vielen Ermessens­spielräumen zu gestalten. Und dass wir dann darüber sprechen, auf welche Art und Weise wir diese Ermessens­spielräume kontrollieren.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Dieses hier gekürzte Interview ist Teil unseres demnächst erscheinenden Sommerheftes. Neben der ausführlichen Version des Interviews lesen Sie darin Essays unter anderem von Patrick Cramer, Björn Brembs und Friedemann Weber über disruptive Forschung, Datenkraken und schwurbelresistente Uni-Lehre.

Bild: Junge/Uni Hannover (Porträt Hoppe) & Magdalena Zernicka-Goetz, Bailey Weatherbee, Carlos Gantner (Embryoid)


Weitere Artikel zum Thema Medizinethik


- „Das Verbot, Menschen zu klonen, bedeutet nichts mehr“

In Deutschland schützen das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz nur menschliches Leben, das aus mindestens einer Meiose hervorgegangen ist. Inzwischen aber gebe es Verfahren, die von der Gesetzgebung nicht erfasst sind, erklärt der Embryologe Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster.

- Der moralische Status von Organoiden

Organoide erzeugen Menschen-ähnlichere Modellsysteme. Am Horizont tauchen aber bereits ethische Fragen im Umgang mit ihnen auf.

- „Unser Embryonenschutzgesetz ist lückenhaft und restriktiv“

Für Mediziner antiquiert, für Bioethiker ungerecht, für Juristen rechtlich unsicher. Rasante Fortschritte in der Genom-Editierung stellen die deutsche Gesetzeslage zur Reproduktionsmedizin zunehmend in Frage.

 




Letzte Änderungen: 03.07.2023