Editorial

„Als Anfänger macht man einfach Fehler“

(08.06.2023) Zehn Jahre später steht Josef Scheibers Firma BioVariance umso besser da. Mit uns sprach er über Daten, Biomarker und die Oberpfälzer Provinz.
editorial_bild

Im idyllischen Tirschenreuth lässt es sich prima an „data-driven diagnostics“ arbeiten.

Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre eigene Firma zu gründen?
Josef Scheiber: Schon im Biologiestudium wollte ich eine eigene Firma gründen. Es war mir schon immer klar, dass die großen Unternehmen nicht das sind, was mir langfristig Spaß machen würde. In diesen „großen Tankern“ dauert alles sehr lange. Ein Start-up ist flexibler. Als frisch Promovierter von der Uni hat man von der Firmenwelt allerdings zu wenig Ahnung. Daher war es natürlich sehr wertvoll, erst einmal Erfahrungen bei Novartis in Boston und Basel und bei Roche in Penzberg zu sammeln.

Wie konnten Sie von diesen Erfahrungen profitieren?
Scheiber: Ich habe Einblicke in die Wirkstoff­forschung im Pharmabereich erhalten, immer mit Daten­analyse­bezug. Damals wurde die Daten­erhebung und Datenauswertung immer günstiger und es wurden immer mehr Daten generiert. Daher habe ich mit BioVariance zunächst als reiner Datenanalyse-Dienstleister begonnen. Da es sich nicht um eine forschungs­intensive Gründung handelte, war der Kapitalbedarf sehr überschaubar.

Editorial

Welche Unterstützung haben Sie für die Firmengründung erhalten?
Scheiber: Was die Geschäftsseite angeht, muss man sich die Unterstützung aktiv suchen – in unserem Falle kam sie vom Medical Valley Erlangen und BioM, der Entwicklungs- und Management­organisation des Münchner Biotechnologie-Clusters. Von der Industrie- und Handelskammer habe ich Gründungs­förderung erhalten. Als Anfänger macht man einfach Fehler. Man lernt Business so wie das kleine Kind, das sich auch mal die Finger verbrennt. Ich hätte vielleicht noch länger im Voraus planen müssen. Damit etwas vorwärts geht, muss man aber auch einfach mal in die Dinge hineinspringen.

Sie feiern dieses Jahr zehn Jahre Firmenjubiläum. Wie hat sich die Firma in dieser Zeit entwickelt?
Scheiber: Wir sind inzwischen von der reinen Datenanalyse ein ganzes Stück weggekommen und betreiben jetzt auch Software­entwicklung und Laboranalysen inklusive Massen­spektrometrie, sodass wir für Medizinprodukte Studien durchführen können. Wir haben über verschiedene Partner sehr guten Zugang zu Patientenproben für verschiedene Indikationen und können Tests im Labor mit anschließender statistischer Analyse und Auswertung durchführen. Im Rahmen der individualisierten Medizin machen wir Sequenz­analysen. Das Portfolio ist also deutlich abgerundeter. Momentan haben wir knapp über 30 Mitarbeiter, davon 23 in Vollzeit.

Wer gehört zu Ihrer Kundschaft?
Scheiber: Das sind zum einen onkologische Tageskliniken, zum anderen Medizin­produkte­hersteller aus dem asiatischen Raum, die eine Zulassung in Europa benötigen und vor Ort Studien durchführen müssen. Im Rahmen der P4D-Studie sind wir an der Suche nach Biomarkern für eine personalisierte Behandlung bei depressiven Erkrankungen beteiligt. Die Studie wird vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung gefördert. Weitere Teilnehmer sind mehrere Universitäten, das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin sowie die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Wir werden im Rahmen dieses Projektes einen Marker lizenzieren und als Produkt vermarkten.

Wie sind Sie mit Ihrer Firma durch die Coronakrise gekommen?
Scheiber: Der Landkreis Tirschenreuth war einer der ersten Corona-Hotspots. Damals war uns gerade ein großes Projekt weggebrochen und die Mitarbeiter langweilten sich im Homeoffice. Ende 2020 haben wir mit dem Landkreis Tirschenreuth den Vertrag unterschrieben, ein Labor für PCR-basierte Coronatests aufzubauen. Wir hatten damals noch kein Labor, aber die nötige Expertise für fluoreszenz­basierte PCR. Außerdem hatten wir bereits einen digitalen Workflow von Registrierung bis Befundversand aufgebaut. Das Labor haben wir übrigens mit einigen Überstunden im alten Krankenhaus von Waldsassen eingerichtet, das nur noch als Lager diente. So konnten wir innerhalb weniger Wochen so weit kommen, PCR-Ergebnisse innerhalb von drei bis vier Stunden liefern zu können. Wir haben dann sogar von anderen Landkreisen täglich Proben zur Auswertung erhalten. Am Ende konnte die Firma durch diese Aktivitäten sogar wachsen.

Im März dieses Jahr ist BioVariance von Waldsassen ins wenige Kilometer entfernte Tirschenreuth in die umgebauten Räume einer ehemaligen Knopffabrik gezogen. Warum haben Sie die Oberpfalz als Firmensitz gewählt?
Scheiber: Zu Beginn waren die Startbedingungen gut und ich konnte schnell Software­entwickler rekrutieren. In den letzten Jahren hat sich die Region extrem gut entwickelt. Im Regionalranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Jahr 2022 lagen wir bezüglich Wertschöpfung pro Kopf bundesweit auf Platz vier, hinter dem Stadt- und Landkreis München und dem Main-Taunus-Kreis. Wir haben hier an der tschechischen Grenze eine gute Lage in Mitteleuropa. Berlin, München, Frankfurt oder Prag sind in einer Tagesreise erreichbar. Außerdem bin ich hier in der Gegend aufgewachsen.

Wie gestaltet sich die Mitarbeiter­suche abseits der großen Ballungsgebiete?
Scheiber: Das funktioniert ganz gut mit einem gewissen Aufwand. In Heidelberg oder München müssten wir mit vielen anderen Firmen um die Mitarbeiter konkurrieren. Das ist hier nicht der Fall, da wir gewissermaßen die Exoten sind. Die Löhne sind etwas niedriger als in München, aber höher als in Ostdeutschland. Wir haben hier ein sehr gutes Preis-Leistungs­verhältnis, zum Beispiel sind Immobilien günstig. Viele aus der Region möchten nach dem Studium auch wieder zurückkommen. Die Universitäten Bayreuth und Regensburg und die Fachhoch­schulen Weiden und Hof sind in der Nähe. Tirschenreuth hat allerdings keine eigene Bahnanbindung. Dazu muss man 10 km weiter nach Wiesau fahren.

Kürzlich haben Sie an der Harvard Medical School erfolgreich das „Global Healthcare Leaders Program“ absolviert. Welche wichtigen Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Scheiber: Ich habe Gesundheits­systeme weltweit kennengelernt und konnte ein internationales Netzwerk aufbauen. Im Rahmen der Schulung habe ich als Projekt in meiner Firma einen Ansatz für personalisierte Methadon­behandlung entwickelt – gemeinsam mit einer Leiterin mehrerer Suchtkliniken in den USA. Wichtige Themen waren globale Ansätze bezüglich Innovation, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Standortes Deutschland für Firmen wie Ihre?
Scheiber: Ich bin ein notorischer Optimist. Die deutsche Biotech­branche hat im Ausland ein besseres Image als im Inland, auch bei den chinesischen Firmen. Wir können uns langfristig gut differenzieren, auch bezüglich Machine Learning. Wir müssten aber an einigen Stellen wieder pragmatischer werden und Dinge angehen, die in anderen Ländern bereits gut funktionieren. Es fehlt an Risikofreude. Wir sollten bei der Digitalisierung im Gesundheits­wesen nicht jeden Mausklick überregulieren, sodass der Datenschutz nur noch vor guter Behandlung schützt. Bei den Analysen sind die individuell identifi­zierbaren Daten in der Regel nicht von Interesse.

Wo sehen Sie sich und Ihre Firma in zehn Jahren?
Scheiber: Wir wollen mit der Anwendung von Machine Learning und künstlicher Intelligenz kombiniert mit molekularer Datenerhebung weiter in Richtung Diagnostik wachsen. In zehn Jahren wollen wir mehrere Biomarker für die personalisierte Behandlung von Krebs-, Infektions-, neurodegenerativen und psychischen Erkrankungen entwickelt haben.

Das Gespräch führte Bettina Dupont

Bild: Zebra848 (gemeinfrei) & BioVariance


Weitere Biotech-Firmen im Porträt


- „Wir brauchen Millionen dieser Dosen“

Zell-Therapien, wie die CAR-T-Zell-Therapie, sind stark im Kommen. Ihre Herstellung aus Patientenzellen ist jedoch arbeits- und zeitaufwendig. Das österreichische Start-up Sarcura entwickelt deshalb ein Gerät, das die bestehenden Prozesse automatisiert, miniaturisiert sowie in Echtzeit kontrollierbar macht. Die Idee dazu hatte die Biotechnologin und Firmen-CEO Daniela Buchmayr bei einer anderen Firma.

- Voll toll – und volles Risiko

Das Start-up Kupando entwickelt Agonisten für die Toll-like-Rezeptoren 4 und 7. Mit dem Doppelpack soll therapiert, vorgebeugt und verstärkt werden.

- Smart gescreent und gut vernetzt

Das Start-up Smartbax bringt mit ihrem Antibiotikum-Kandidaten PK150 eine neue Wirkstoffklasse in Stellung. Auch gegen multiresistente Keime.

 




Letzte Änderungen: 08.06.2023