Editorial

Tschüss, LOM!

(09.05.2023) Die Leistungs­orientierte Mittelvergabe ist gescheitert. Und hat dabei einen gefährlichen Kulturwandel in der Forschung zementiert.
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Vor fast zwanzig Jahren hat die Deutsche Forschungs­gemeinschaft (DFG) eine äußerst wirkmächtige Stellungnahme verfasst. Wirkmächtig in dem Sinne, dass die 2004 veröffentlichten „Empfehlungen zu einer ‚Leistungs­orientierten Mittelvergabe‘ (LOM) an den Medizinischen Fakultäten“ im Gegensatz zu vielen anderen solchen Papieren nahezu eins zu eins umgesetzt worden sind. Alle medizinischen Fakultäten Deutschlands verteilen mittlerweile die entsprechenden Anteile derjenigen Mittel, die sie aus ihrem jeweiligen Bundesland für Forschung und Lehre erhalten, unter Berufung auf die Verwendung der Kriterien aus dem DFG-Papier. Nach diesen sollte die LOM für eine gerechte Mittel­zuweisung anhand klarer Kriterien sorgen – sie sollte Transparenz und Dynamik schaffen, Forschungs­leistungen belohnen und Anreize generieren, diese zu steigern („Incentivierung“). In Akademia sollte endlich der Wind des „New Public Management“ wehen – womit die LOM zugleich zum Angriff auf die Erb- und Gutshöfe der Ordinarien blies.

Editorial

So wohlmeinend die Intentionen der DFG und der Fakultäten dabei auch gewesen sein mögen, so gründlich ist das Projekt gescheitert. Die DFG empfahl für die LOM einen Anteil von 20 bis 40 Prozent des Landes­zuführungs­beitrags. Er liegt heute weit darunter: zwischen 0,4 und 15 Prozent, im Median um die 5 Prozent. Dabei muss man bedenken, dass die Landes­zuführungs­beiträge weder mit den gestiegenen Preisen und Personal­kosten noch mit den glücklicher­weise steigenden Drittmittel-Einnahmen Schritt gehalten haben. Die den Wissenschaftlern real zur Verfügung stehenden LOM-Mittel sind deshalb mittlerweile an fast allen Fakultäten lächerlich gering. Ein ohnehin kleiner – und weiter schrumpfender – Kuchen wird in immer kleinere Stücke zerteilt. Trotzdem sind diese Mickerbeträge für die Wissen­schaftler lebensnotwendig, weil nicht nur die Projektmittel, sondern auch die Grund­finanzierung nicht auskömmlich ist.

Obzwar verschiedene Studien es versucht haben, gibt es auch keinerlei Nachweis dafür, dass die LOM als Steuerungs­mittel funktioniert hat – dass sie also in der Incen­tivierung von mehr oder besseren Publikationen und Drittmitteln Wirkung zeigte. Es kommt aber noch schlimmer: Die in der LOM mathematisch kodifizierte Gleichsetzung von Forschungs­leistung mit Journal-Impact-Faktor (JIF) und Drittmitteln übte eine toxische Wirkung auf die Sozialisierung der Wissenschaftler und deren Nachwuchs aus. Übersetzt sagt die LOM-Formel nämlich: In der Forschung leistet man was, wenn man in renommierten Journalen publiziert und viel Fördergelder reinholt. Erkenntnis­gewinn, gesell­schaftlicher Nutzen oder gar Forschungs­qualität sind dabei bestenfalls Mittel zum Zweck – und kommen in der Gleichung auch gar nicht vor. Zusammen mit den Berufungs­verfahren, in denen JIF und Drittmittel ebenfalls regieren, hat die LOM auf diese Weise schleichend zu einer Umdefinierung des Zwecks von Forschung beigetragen – zu einem Kulturwandel, der heute fast vollständig vollzogen ist: Der Zweck von Forschung ist die Einwerbung von Drittmitteln und Publikationen mit hohem JIF. Und weil die LOM retrospektiv – in der Regel drei Jahre rückwirkend – ermittelt wird und sich damit auf „Leistungen“ bezieht, die viele Jahre zuvor erfolgt sein müssen, sind sowohl der wissen­schaftliche Nachwuchs wie auch nach vorne gerichtete Forschung gemäß dem Motto „To boldly go where no man has gone before“ sowieso außen vor.

Nun ist es nicht so, dass die Autoren der DFG-Empfehlungen damals naiv waren. Vielmehr haben sie sogar vor all den Entwicklungen gewarnt, die jetzt eingetreten sind. Eine Leseprobe: „Bei stagnierenden beziehungsweise sinkenden Zuführungs­beträgen führt aber das Fehlen der Finanzierung der tatsächlichen Projektkosten, also auch des Infra­struktur­kostenanteils („overhead“), zu empfindlichen Belastungs­proben innerhalb der Fakultäten.“ Oder, an anderer Stelle: „ ..., dass Originalität und Qualität als Bewertungs­maßstab stets Vorrang vor Quantität haben. Sinnvoller ist es, die inhaltliche Bewertung von Publikationen, also die Qualität der erbrachten Forschungs­leistung, zum Kriterium der Vergabe von Forschungs­mitteln zu machen.“ Die Verwendung des JIFs wurde daher für eine Pilot- und Übergangsphase empfohlen, bis „unter Mitwirkung der Fakultäten Mechanismen entwickelt werden, wie ein echtes Prüfverfahren zeitnah und kostengünstig erfolgen kann.“

Nur ist das nicht passiert. Wir sind im Jahr 2004 stecken geblieben.

Die LOM ist also zu niedrig, verfehlt ihre Steuerungs­wirkung und schafft Fehlanreize – womit sie als Folge eine gefährliche Unkultur erzeugt hat und bis heute zementiert. Etwas abgeschwächt, aber eleganter formuliert das auch der Medizinische Fakultätentag (MFT), der einflussreiche Verband der Medizinischen Ausbildungs- und Forschungs­stätten Deutschlands. Er ist die Stimme der 39 deutschen Medizin­fakultäten. In seinem kürzlich veröffentlichten Impulspapier „Indikator­gestützte Mittel­allokation für die Forschung in der Hochschul­medizin (ehemals LOM)“ beerdigt er die LOM schon gleich im Titel und stutzt sie auf das, was sie in Wirklichkeit ist: eine „indikator­gestützte Mittel­allokation“ (IMA).

Die neue Terminologie löst zwar nicht die Probleme der unter­finanzierten Fakultäten, und noch weniger diejenigen der prekären Forschungs­projekte der Wissenschaftler. Mit den richtigen Argumenten stellt der MFT aber immerhin klar, dass es bei der „ehemals LOM“ nicht um „Forschungs­leistung“ und auch nicht um Incen­tivierung geht – sondern um eine Kofinanzierung, basierend auf verausgabten Drittmitteln und einem mittlerweile gänzlich desavouierten Indikator – dem JIF.

Und damit kann der MFT auch viel klarer Ross und Reiter benennen: „Eine IMA kann Defizite in der Grund­finanzierung beziehungsweise das Fehlen von kosten­deckenden Drittmitteln nicht kompensieren.“ Und er fordert weiterhin, dass „eine finanzielle Honorierung von Leistungs- und Belastungs­unterschieden in Forschung und Lehre geschaffen, eine Rechen­schafts­legung gegenüber den Länder­parlamenten etabliert und der sachgerechte Umgang mit knappen Haushaltsmitteln optimiert werden“ solle.

Was heißt das nun für die Fakultäten? Und übrigens nicht nur für die medizinischen, denn das LOM-(Un-)Wesen hat inzwischen in fast alle Universitäten und deren Fakultäten metastasiert. Sollen sie alle die LOM nun einfach abschaffen? Oder genauso weitermachen, sie aber anstatt LOM nun einfach IMA nennen? Natürlich nicht!

Als Erstes sind die Fakultäten aufgerufen, das Ziel zu definieren, um das es ihnen geht. Will die Universität etwa so viele CNS (Cell, Nature, Science)-Paper wie möglich akkumulieren – und dann damit glänzen? Dann kann sie beim JIF als Haupt­indikator bleiben, darf aber nicht der Illusion verfallen, dass sie dadurch mehr CNS bekommt. Letztlich honoriert sie lediglich die Zielerfüllung mit einem finanziellen Zuschuss. Was natürlich absurd ist, selbst wenn die Incenti­vierungs-Logik stimmen würde: Schickt denn irgendjemand Manuskripte zu CNS, zu Lancet oder zum New England Journal of Medicine, weil man dafür LOM bekommt?

Oder will die Fakultät Wissenschaftler unterstützen, indem sie regelhaft unter­finanzierte Drittmittel­projekte kofinanziert? Dadurch erleichtert sie ihren Wissen­schaftlern vielleicht die Durchführung der Projekte, wird aber nicht mehr Drittmittel bekommen.

Will sie den wissen­schaftlichen Nachwuchs fördern? Dann muss sie sich ein Programm ausdenken, bei dem sie die Mittel des Landes­zuführungs­betrages direkt zu den jungen Wissenschaftlern bringt.

Will sie Kollaborationen unter ihren Wissen­schaftlern fördern? Dann muss sie ihnen dafür Geld geben. Will sie Innovation und Hochrisiko-Forschung fördern? Will sie mehr offene Wissenschaft? Und so weiter.

Ich denke, es wird klar, was ich meine: Erstmal die Ziele definieren – am besten zusammen mit den Wissenschaftlern und nicht „per ordre du mufti“ –, und dann definierte Instrumente und Programme etablieren, um diese umzusetzen.

Nun werden die Dekane sagen: „Klingt ja schön und gut, aber wir können nur verteilen, was wir haben – und wir haben eben nur sehr wenig.“ Das ist natürlich richtig. Aber es erhöht den Druck in der Diskussion über die Unter­finanzierung der Unis und befördert eine bisher nicht­existierende Debatte. Denn viele Bundesländer praktizieren in der Universitäts­finanzierung ebenfalls LOM-Modelle – und unterwerfen die Unis dabei häufig denselben Indikatoren wie diese in der Folge ihre Wissenschaftler. Vielfach lassen sie sogar die landes­eigenen Unis um die LOM konkurrieren. Und da gilt dann wieder alles bereits oben Gesagte: Zu wenig Geld, unwirksame Steuerung, falsche Anreize. Dennoch hinterfragen die Wissenschafts­ministerInnen, Staats­sekretärInnen und deren Arbeitsbienen bisher weder die Logik noch die Effektivität der Maßnahme. „Leistungs­orientiert“ klingt doch schließlich super, oder?

Dazu kommt, dass die Umdefinition von LOM in IMA einen fakultäts­internen Diskurs über die Ziele und Möglichkeiten einer solchen Kofinanzierung fördert. Klar, Wissenschaftler sind bekanntermaßen konservativ – und Dekane waren schließlich auch mal Wissenschaftler. Aber vielleicht gibt es doch die eine oder andere fortschrittliche Fakultät, die jetzt angestoßen wird, über die Ziele und Kultur ihrer Forschung nachzudenken. Damit wären sie nicht zuletzt in guter Gesellschaft, ja sogar Teil einer großen Initiative – der Coalition on Reforming Research Assessment (CoARA). Angestoßen von der Europäischen Kommission haben sich ihr bereits eine Vielzahl wichtiger Unis und Forschungs­förderer weltweit angeschlossen.

Raten Sie mal, wer der erste Unterzeichner in Deutschland war? – Die DFG!

Ulrich Dirnagl

Weiterführende Literatur und Links finden sich wie immer unter: http://dirnagl.com/lj


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Letzte Änderungen: 09.05.2023