Editorial

Zerbrochenes Vertrauen

(06.04.2023) Auch Österreich hat mit Wissenschafts­skepsis in Politik und Bevölkerung zu kämpfen. Die österreichischen Universitäten sind äußerst besorgt.
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Was soll denn bitte diese ständige Panikmache um den Klimawandel?! „Hier wird eine Untergangs­apokalypse skizziert“. Die Aussage wäre halb so schlimm, käme sie nicht vom österreichischen Bundeskanzler, vorgetragen in aller Öffentlichkeit. Karl Nehammer hat mit dieser Formulierung in seiner „Rede zur Nation“ ökologisches Bewusstsein und Handeln nicht nur als unbedeutend abgetan, sondern das Vertrauen in die Wissenschaft geschwächt. Obendrauf gab es im Kontext Pandemie noch schmerzhafte Begriffe wie „Experten­hörigkeit“. Zu Recht ist die Österreichische Universitäten­konferenz (uniko) „äußerst besorgt über die Ignoranz wissen­schaftlicher Evidenz bzw. die mangelnde Wertschätzung gegenüber Forscherinnen und Forschern.“ Man muss nicht Mitglied der uniko sein, um diese Sorge zu teilen.

Editorial

Volkskrankheit Wissenschaftsskepsis

Die ignorierend bis feindliche Haltung gegenüber der Wissenschaft scheint eine Volkskrankheit zu sein. Laut ÖAW-Wissen­schaftsbarometer 2022 fehlt es 30 Prozent der Befragten generell an Vertrauen in die Wissenschaft. Wie gut es um den allseits angeführten „Hausverstand“ steht, auf den ganze 37 Prozent bevorzugt vertrauen, zeigt sich im Einzelfall bei der Frage, ob Antibiotika gegen Viren helfen. Erschreckend oft lautet die Antwort „ja“.

Wie klassische Volkskrankheiten auch hat Wissenschafts­skepsis verschiedene Ursachen und betrifft nicht jede(n). Immerhin die Hälfte der Barometer-Befragten sieht sich als „an Wissenschaft und Forschung interessiert“. Wenn man also deren Interesse adressieren bzw. fördern könnte, wäre das schon die halbe Miete.

Zwischenbefunde einer jüngst vom Wissenschafts­ministerium in Auftrag gegebenen Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) zu den „Ursachen von Wissenschafts- und Demokratie­skepsis in Österreich“ liegen vor. Demnach sei „Desinteresse“ weder gleichzusetzen mit mangelndem Wissenschafts­vertrauen noch mit Wissenschafts­skepsis. Ihre Recherchen brachten die Autoren zur Erkenntnis, dass Fachwelt und Medien sich unklar äußern, was überhaupt unter „Wissenschafts­skepsis“ zu verstehen sei. Ohne Skepsis und kritisches Hinterfragen gäbe es keine neuen Ideen.

Wirtschaftliche Einflussnahme?

Doch Wissenschafts­skepsis im Sinne von „wissenschaftlich geschaffenes Wissen kategorisch ablehnen“ ist fatal. Spätestens dann, wenn man bei einer Virusinfektion auf Antibiotika setzt. Die Skepsis könne, so die Studie, auch vom Verdacht wirtschaftlicher oder politischer Einflussnahme rühren. Internationale Evidenz dazu gibt es zur Genüge (PLoS ONE, 16(6):e0253272).

Dass es laut einer Umfrage des Meinungs­forschungs­instituts OGM (n=933) um das Vertrauen in einzelne österreichische Institutionen eher schlecht bestellt ist, und sogar richtig mies bei Wirtschaftskammer und Industriellen­vereinigung ebenso wie bei Regierung und Parlament wird bei all jenen, die Einflussnahme auf die Wissenschaft vermuten, die Skepsis wohl befeuern. Universitäten schnitten bei der Umfrage relativ gut ab, Platz 4. Sie genießen das Vertrauen von 42 Prozent. Ob die übrigen 58 Prozent aktives Misstrauen hegen, geht aus dieser Zahl nicht hervor. Auch ist unklar, ob die Universität als Bildungs­einrichtung verstanden wird oder als wissens­generierende Institution.

Koordinierte Vertrauensförderung

Im Frühjahr 2022 hatten die IHS-Wissenschaftler Johannes Starkbaum und Thomas König zusammen mit dem Wissenschafts­journalisten Klaus Taschwer einen Policy Brief veröffentlicht: „Impulse für einen Neustart der Wissenschafts­kommunikation in Österreich“. Darin stellten sie eine Vielzahl an Einzel­aktivitäten/-initiativen von Forschungs­institutionen zur Interessens- und Vertrauens­förderung in die Wissenschaft fest. Koordinierter sollten diese erfolgen, war eine abgeleitete Empfehlung. Zweifelhaft ist, ob das BMBWF (Bundes­ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung) mit seinem kürzlich aufgestellten „10-Punkte-Programm zur Stärkung des Vertrauens in Wissenschaft und Demokratie“ koordinierend und vertrauens­fördernd wirken kann

Skeptisch äußerte sich auch die uniko in ihrem kürzlich veröffentlichten Positionspapier. Das 10-Punkte-Programm sei weder nachvollziehbar noch zielführend, und vieles darin vermengt. Wer ins Programm blickt, versteht die Kritik. Logisch erscheint Programmpunkt Nr. 1, der eine Ursachenstudie vorsieht (eben die eingangs genannte). Einige weitere Programmpunkte haben Substanz (z. B. eine zentrale Anlaufstelle für Wissenschafts- und Demokratie­vermittlung zu schaffen) – wobei vernetzte separate Anlaufstellen fokussierter und zielführender wären. Insgesamt wirkt das Programm jedoch wie eine unstrukturierte, teils schwammig („dahingegend, entsprechend, verankert…“) formulierte Ideensammlung. Was konkret ist beispielsweise unter Programmpunkt 8 zu verstehen? „Stärkere Verankerung von Wissenschafts- und Demokratie­vermittlung in allen Curricula: Dazu soll das bisherige Studienangebot an den Universitäten und Hochschulen dahingehend überprüft und entsprechend adaptiert werden. Das Thema Wissenschafts- und Demokratie­vermittlung soll jedenfalls in den Leistungs­vereinbarungen der öffentlichen Universitäten stärker verankert werden.“

Wissenschaft und Demokratie

Die uniko erachtet Freiheit der Wissenschaft und Autonomie der Universitäten sowie deren solide Finanzierung und langfristige Planungs­perspektive als eine Grundvoraussetzung für Wissenschafts­vertrauen. Autonomie bedeutet aber auch, sich beim Studienangebot nicht reinreden zu lassen. Bei Wissenschafts­vermittlung lautet die effizienz­orientierte Devise: Aufbau auf bestehenden Projekten und Initiativen, Vermeidung von Parallel­strukturen.

Dass Wissenschaft und Demokratie zusammenhängen und Vertrauen eine zentrale Rolle spielt, steht für die uniko außer Frage „Wissenschaft fördert durch die ihr zugrunde­liegende kritische Denkweise, das methodische Entwickeln und Hinterfragen von Positionen die Demokratie­fähigkeit einer Gesellschaft. Sie versetzt damit die Individuen in die Lage, als Zivilgesellschaft Diskurse zu reflektieren und sich in politische Prozesse aktiv einzubringen. Insofern ist es sinnvoll, das Verhältnis von Wissenschaft und Demokratie gemeinsam zu thematisieren, um das Vertrauen in beide Bereiche zu stärken.“

Schwachstelle Wissenschaftsjournalismus

Bei der Frage des „Wie?“ sieht die uniko statt 10-Punkte-Programm konkrete Maßnahmen und Handlungsfelder. Ein Defizit im Wissenschafts­journalismus hatte schon das IHS-Policy-Brief als strukturelle Schwachstelle erkannt und die Bedeutung betont: „Wissenschafts­journalismus versteht sich neben seiner Vermittlungs­funktion auch als ein kritischer Spiegel und öffentliche Kontrollinstanz für Wissenschaft.“

Die uniko greift Wissenschafts­journalismus (erneut) in ihren Forderungen auf: „Angesichts einer zunehmenden Polarisierung und Ideologisierung über Fake News und alternative Fakten ist es umso wichtiger, qualitativen, seriösen und unabhängigen Journalismus und hier insbesondere den Wissenschafts­journalismus als zentrale Demokratie-politische Säule zu stärken und zu fördern. Daher hat die uniko – zusammen mit anderen Wissenschafts­institutionen – mehrfach die Aufnahme von Wissenschafts­berichterstattung als ein Kriterium der Medienförderung gefordert. Als ebenso sinnvoll erachtet die uniko die Einrichtung eines Science Media Center nach internationalem Vorbild in Österreich, das Informationen für Journalist:innen zu aktuellen Themen mit Wissen­schaftsbezug aufbereitet und den Medien die Expertise von Wissenschaftler:innen zur Verfügung stellt. Derartige Zentren gibt es bereits in einigen Ländern (GB, Australien, Neuseeland, Kanada, Deutschland, Taiwan, USA, Afrika, Spanien).“ Ob eine weitere Forderung „Wissenschafts­berichterstattung als ein Kriterium der Medienförderung“ ein offenes Ohr finden wird, bleibt abzuwarten. Sicher wäre nicht jede Partei d´accord. Ihr gingen die Wählerstimmen einstiger Klimawandel­leugner abhanden.

Andrea Pitzschke

Bild: Pixabay/Mitrey


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Letzte Änderungen: 06.04.2023