Editorial

Mehr finanzielle Spielräume und Transparenz

(13.03.2023) Der Wissenschaftsrat schlägt eine Neuordnung von Grund- und Drittmittel­finan­zierung deutscher Hochschulen vor. Wir fragen nach bei Rainer Lange.
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Die Hochschulen stehen finanziell unter Druck – nicht nur durch die gegenwärtige Teuerung, sondern auch durch die Bezuschussung von Drittmittel­projekten aus den Grundmitteln. Seit Jahren hat sich die Drittmittel­finan­zierung der Forschung und Entwicklung an Hochschulen bei etwa 45 % und die Grundfinanzierung bei 55 % eingependelt.

Der Wissenschaftsrat hat kürzlich ein Positionspapier zu „Strukturen der Forschungs­finanzierung an deutschen Hochschulen“ verfasst, wie kam es dazu?
Rainer Lange: Die Arbeit an diesem Thema haben wir vor der aktuellen Krise begonnen. Der Wissenschaftsrat hat sich in seinem Positionspapier auch nicht mit der absoluten Höhe der nötigen Mittel befasst, sondern damit, ob die Art und Weise, wie die Mittelströme gelenkt werden, für die Hochschulen gut ist. Eine zentrale Fragestellung war, ob die Hochschulen strategisch frei entscheiden können, wie viel Drittmittel sie einwerben, oder ob sie durch die Strukturen gezwungen sind, ein bestimmtes Niveau anzustreben. Von manchen Hochschulen hören wir, dass sie den Forschenden sagen müssen, sie könnten sich um keine weiteren Drittmittel bewerben, da keine Grundmittel mehr zugeschossen werden können. Kleinere Hochschulen wiederum berichten, dass sie die Voraussetzungen gar nicht schaffen können, antragsfähig zu werden. Wir wünschen uns deshalb eine höhere Flexibilität im System.

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Mit der dauerhaften Bereitstellung von frei einsetzbaren Grundmitteln ermöglichen die Länder den staatlichen Hochschulen, ihre Aufgaben in Forschung und Lehre zu erfüllen. Wozu sollen diese im Detail verwendet werden?
Lange: Der Wissenschaftsrat appelliert an die Länder, ausreichend Grundmittel zur Verfügung zu stellen, damit Forschung unabhängig von program­matischen und konjunkturellen Vorgaben erfüllt werden kann und die nötigen Infrastrukturen bereitgestellt werden können. Die Hochschulen müssen finanzielle Spielräume haben, um Forschungs­potenziale und Kooperations­möglichkeiten zu erkennen, zu entfalten und Profile weiterzuentwickeln. Mit Grundmitteln können Hochschulen Forschung langfristig unterstützen und die Antragsfähigkeit bei der Vor- und Nachbereitung von Drittmittel­projekten gewährleisten, beispielsweise hinsichtlich vorbereitender Forschung und Vernetzung, Antragstellung und Berichtspflichten. Es ist dem Wissenschaftsrat wichtig, dass Gelder für diese Zwecke in der Hochschule verfügbar bleiben, und nicht zur Gegen­finanzierung von Dingen genutzt werden, die von außen durch Drittmittel ausgelöst worden sind.
Die Eigenständigkeit der Hochschulen soll als Prinzip erhalten bleiben. Eine Hochschule muss über Entscheidungs­mechanismen verfügen, wie die Grundmittel verwendet werden. Das muss fair und transparent und nicht nach Gutsherrenart erfolgen. Die Hochschulen sollten definieren, was sie aus den Grundmitteln heraus leisten wollen, um gute Forschungs­bedingungen herzustellen. Das erfordert an der einen oder anderen Hochschule noch Diskussionen. Wir würden uns freuen, wenn unser Positionspapier dazu beitragen würde.

Wie könnten Ihrer Ansicht nach vorhandene Mittel effizienter genutzt werden?
Lange: In seinem Positionspapier schlägt der Wissenschaftsrat vor, Stellen für Wissenschafts-unterstützendes Personal zu verstetigen und professionelle Unterstützung im Wissenschafts­management, Data Science, Forschungs­daten­management sowie für die Betreuung und Entwicklung von Forschungs­infrastrukturen bereitzustellen. Es geht darüber hinaus darum, dass eine Hochschule die Flexibilität hat, Personal­entwicklung zu betreiben. Wir hoffen, dass mit mehr Spielraum in den Grundmitteln Mitarbeiter mit Erfahrung gehalten und für neue Projekte eingesetzt werden können, zum Beispiel Personen, die als Geschäftsführer bereits ein Cluster geleitet haben.
Zudem muss bis Ende nächsten Jahres eine Umsatz­steuer­reform umgesetzt werden, die durch EU-Recht nötig geworden ist. Diese führt dazu, dass bei einem Leistungs­austausch zwischen öffentlichen Einrichtungen Umsatzsteuer fällig werden soll. Das könnte selbst bei gemeinsamen Berufungen an Universitäten und außer­universitäre Einrichtungen ein Problem werden und mit hohen Kosten und hohem administrativem Aufwand verbunden sein. Hier appelliert der Wissenschaftsrat an die Politik, eine Forschungs-freundliche Lösung zu finden.

Wie könnten die Drittmittelgeber die Rahmen­bedingungen für die Forschung verbessern?
Lange: Das Positionspapier schlägt beispielsweise eine stufenweise Erhöhung der Pauschalen für indirekte Kosten von Drittmittel­projekten auf 40 % in diesem Jahrzehnt vor, einen Ausgleich von Teuerung und Tarif­steigerungen, den Abbau von Bürokratie bei Beantragung, Verwaltung und Rechnungslegung von Drittmitteln sowie größere Flexibilität in der Drittmittel­finanzierung wegen Unwägbarkeiten des Forschungs­prozesses und des Lebens allgemein. Das sind Wünsche, die wir häufig aus der Wissenschaft hören. Verbindlich geregelt werden muss, wie die Programm- oder Projektpauschalen eingesetzt werden können. Die Deutsche Forschungs­gemeinschaft (DFG) erwartet, dass sich die Hochschulen für die Verwendung dieser Mittel Leitlinien geben. Der Wissenschaftsrat schlägt vor, dass sich andere Zuwendungsgeber zur Vereinfachung ebenfalls an diesen Leitlinien orientieren. Wenn man das erreichen könnte, wäre schon viel gewonnen. Die Pauschalen werden ja für Dinge verwendet, die nicht trennscharf dem einzelnen Projekt zuzurechnen sind. Da macht es Sinn, über übergeordnete Leitlinien der Verwendung nachzudenken.

Welche besonderen Förder­maßnahmen empfehlen Sie für Fachhochschulen und  Hochschulen für Angewandte Wissenschaften?
Lange: Mit den Hochschul­gesetzen haben die Fachhochschulen und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften einen Forschungs­auftrag. Hier müssen die Sitzländer und Zuwendungsgeber über die Grundfinanzierung dafür sorgen, dass diese Institutionen über die Eintrittsschwelle in das System kommen, indem über Sonder­zuweisungen der Länder für Forschung die nötigen Strukturen geschaffen werden. Wo Forschungs­aktivitäten vorhanden sind, sollen diese gezielt gefördert werden, zum Beispiel über Schwerpunkt­professuren im Bereich Forschung. Es wird allerdings nicht möglich sein, in der Fläche in jedem Fachbereich Universitäts-ähnliche Zustände zu schaffen.

Der Wissenschaftsrat plädiert in seinem Positionspapier dafür, dass Drittmittel­einwerbungen in erster Linie Forschung ermöglichen und nicht vordringlich als Leistungs­indikator herangezogen werden sollen. Was sind hierbei Ihre Kritikpunkte?
Lange: Die Änderungen in der Verwendung der Drittmittel und Grundmittel, die der Wissenschaftsrat anstrebt, sind nur schwer umzusetzen, solange die Praxis bestehen bleibt, die Qualität der geförderten Hochschulen oder Forschenden an der Höhe der Drittmittel bemessen zu wollen. Es gibt hierzu auch eine große internationale Diskussion über die Coalition for Advancing Research Assessment (COARA). Drittmittel sind in erster Linie finanzieller Input zur Ermöglichung von Forschung. Begutachtung und Bewilligung sind höchstens indirekte Indikatoren für Qualität. Die Höhe der Drittmittel als solche hat mit vielen anderen Faktoren als nur der Qualität zu tun, zum Beispiel wie teuer die betriebene Forschung ist. Wir brauchen aber möglichst gute Qualitäts­indikatoren. Der Wissenschaftsrat befürwortet deshalb vielfältige Bewertungswege, die verschiedene Arten von Leistungen würdigen, zum Beispiel auch die Bereitstellung von Strukturen und Services.

Können wir uns die vielfältige Forschungs­landschaft in Deutschland noch leisten oder wird es Ihrer Ansicht nach zu Schrumpfungs­prozessen kommen?
Lange: Ich sehe im Moment nicht, dass die derzeitige finanzielle Situation unmittelbar Einfluss auf die Forschungsfreiheit in Deutschland hat. Gemäß dem aktuellen Academic Freedom Index ist Deutschland unter den Top Five auf der Welt. Aber wir müssen die Ressourcen­knappheit so intelligent nutzen, dass die Vielfalt erhalten bleibt. Und wir müssen uns gut aufstellen für die Zeit nach der Krise. Ob es auf längere Sicht zu Schrumpfungen kommt, bleibt abzuwarten.

Das Gespräch führte Bettina Dupont

Rainer Lange ist Leiter der Abteilung Forschung in der Geschäftsstelle des Wissenschaftsrates und berät Bund und Länder.

Bild: Wissenschaftsrat/Peter Nierhoff & Pixabay/Alexas_Fotos (Hintergrund)


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Letzte Änderungen: 13.03.2023