Editorial

Bakterielle Genotoxine

(24.01.2023) Das Typhus-Toxin, Cytolethal Distending Toxins, Colibactin oder die neu entdeckten Indolimine – all diese Toxine haben es auf die DNA abgesehen.
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Unter den Mikro­organismen tummeln sich ein paar Schurken, die schädliche Substanzen herstellen. Denken wir beispielsweise an das Botulinum­toxin aus Clostridium, das als eines der stärksten Gifte überhaupt gilt. Andere Bakterien produzieren Stoffe, die DNA schädigen. 2016 hatte Teresa Frisan vom Karolinska-Institut in Stockholm für einen Review-Artikel zu zwei Gruppen bakterieller Genotoxine recherchiert und deren Wirkmecha­nismen zusammen­gefasst (Biochim Biophys Acta, 1858(3):567-75).

Zum einen ging es um die Cytolethal Distending Toxins (CDT), hergestellt von einigen gramnegativen Bakterien, etwa aus den Gattungen Aggregati­bacter, Helicobacter, Shigella oder Campylo­bacter, mitunter aber auch von E. coli. Zum anderen beschreibt Frisan im Review den Wirkmecha­nismus des Typhus-Toxins aus Salmonellen des Serotyps „Typhi“. Beides sind sogenannte AB-Toxine; es sind Protein­komplexe mit zwei funktionellen Domänen. Gemeinsam ist ihnen eine Untereinheit, die auf dem Gen cdtB codiert und für die DNAse-Aktivität verantwortlich ist. Außerdem gibt es eine Bindedomäne, über die sich diese Genotoxine gezielt bis zum Kern vorarbeiten.

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Zielsicher gegen die DNA

CDT wird in der Regel von Bakterien außerhalb der Zelle produziert und gelangt über Zellmembran und den retrograden Golgi-Transport ins endoplas­matische Retikulum und schließlich in den Kern. Typhus-Bakterien dringen gleich selbst in die Zelle ein und setzen dort das Typhus-Toxin frei.

Warum aber zielen einige Bakterien so gerichtet auf die DNA? Wenn Doppel­strang­brüche so sehr überhand nehmen, dass sie die Reparatur­mechanismen überfordern, so leitet die Zelle ihren eigenen Tod per Apoptose ein, oder aber sie stoppt ihre Teilung und verharrt in einem Zustand der Seneszenz. Dabei haben es einige CDT-produzierende Bakterien offenbar auf die T-Zellen abgesehen, wie Sarah Mathiasen et al. 2021 berichteten (Cell Rep, 35(10):109220). Die Gruppe isolierte CD4-T-Zellen aus dem Blut gesunder Spender und setzte diese in verschiedenen Experimenten CDT aus. Dabei zeigte sich, dass die Proliferation der T-Zellen gehemmt wird. Das Autoren-Team schreibt im Ergebnisteil von DNA-Schäden und es findet auch molekulare Indikatoren für Seneszenz. Eine Funktion dieser Genotoxine besteht also wohl darin, das menschliche Immunsystem auszubremsen, um sich möglichst ungestört zu vermehren.

Klein und toxisch

Neben Proteinen gibt es auch kleine Moleküle aus dem bakteriellen Stoffwechsel, die als Genotoxine wirken. Ein Beispiel dafür ist das Colibactin einiger E.-coli-Stämme. Es leuchtet ein, dass solche Substanzen, wenn sie im menschlichen Darm permanent von einigen mikrobiellen Mitbewohnern produziert werden, nachhaltig unsere Gesundheit schädigen könnten.

Vor diesem Hintergrund hat ein Team um Noah Palm von der Yale School of Medicine in New Haven ein Screening-Verfahren entwickelt, um Genotoxine im Darmmikrobiom nachzuweisen. Für eine im Oktober 2022 in Science erschienene Arbeit analysierte das Yale-Team Bakterien aus Spendern, die unter einer chronisch-entzündlichen Darm­erkrankung leiden (Science, 378:eabm3233). Palm et al. berichten über eine ganze Reihe bakterieller Small-Molecule-Metaboliten mit genotoxischer Aktivität aus ihren Proben. Sie fanden auch ein Muster von DNA-Schäden, das sich von jenen unterscheidet, die vom Colibactin bekannt sind. In diesen Isolaten gab es auch keine Hinweise auf Stoff­wechsel­wege, wie sie für andere bekannte Genotoxine typisch sind. Schließlich stießen die US-Amerikaner auf eine neue Gruppe genotoxischer Small Molecules, die sie dem Bakterium Morganella morganii zuordnen konnten. Ihre neu entdeckten Genotoxine nennen die Autoren „Indolimine“.

Darmkrebs in Mäusen

Man vermutet, dass Genotoxine im Mikrobiom entzündliche Prozesse auslösen oder zumindest begünstigen können. Naheliegend ist außerdem, dass die permanent induzierten DNA-Schäden auch das Risiko für Darmkrebs erhöhen. Die Gruppe aus New Haven versetzte daher den Darm keimfreier Mäuse mit M. morganii und stellte als Kontrolle eine Indolimin-freie Mutante des Bakteriums her. Die Mäuse mit den Wildtyp-Bakterien zeigten eine erhöhte Darm-Permeabilität sowie Transkriptom-Signaturen, die auf abnormale DNA-Replikation hinweisen. Außerdem entwickelten die „Indolimin-Mäuse“ häufiger Darmtumore als die Kontrollgruppe mit den Bakterien ohne Indolimin-Produktion.

Wie so häufig bleibt zu klären, ob diese experimentellen Daten auch auf den Menschen übertragbar sind. Dass man im Darmmikrobiom von Spendern mit chronisch-entzündlichen Darm­erkrankungen häufiger Bakterien findet, die Genotoxine produzieren, ist zunächst nur eine Korrelation. Möglicherweise können sie sich in einem gestörten Darmmilieu einfach besser vermehren und sind nicht zwangsläufig Auslöser der Krankheit.

Beitrag noch unklar

„Mutationen in der menschlichen DNA sind ein zentraler Bestandteil der Krebsentstehung und es ist verblüffend, wie weit verbreitet die Fähigkeit hierzu in unseren Darmmikroben ist“, kommentiert Jens Puschhof, Forschungsgruppenleiter am Deutschen Krebs­forschungs­zentrum (DKFZ) in Heidelberg, die aktuelle Studie. Er betont aber, dass sichere Rückschlüsse auf den Beitrag dieser neu identifizierten genotoxischen Bakterien auf ein Krankheits­geschehen derzeit noch nicht möglich seien. An dieser Stelle hält Puschhof fest: „In der Tat sind sowohl eine Anreicherung dieser Bakterien in einer entzündeten Mikro­umgebung im Darm als auch ein Beitrag dieser Bakterien zur Entzündung plausible Szenarien, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Es wird besonders wichtig sein, zu untersuchen, ob diese Bakterien in entzündlichen Darm­erkrankungen das Risiko der Krebs­entwicklung durch DNA-Schädigung erhöhen.“

Mario Rembold

Bild: Pixabay/Shafin_Protic (Bakterien) & Pixabay/Clker-Free-Vector-Images (Schädel)

Dieser Artikel erschien als „Stichwort des Monats“ zuerst in Laborjournal 12/2022.


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Letzte Änderungen: 24.01.2023