Tanz in den Tumor
(09.11.2022) Ein rotierendes Magnetfeld lenkt magnetische Bakterien-Robotor in das Innere von Tumoren. Klingt nach Science Fiction, ist aber bereits Realität.
Würde man das Magnetfeld der Erde umpolen, gäbe es unter Zugvögeln ein heilloses Durcheinander. Aber auch einige Mikroorganismen orientieren sich an Magnetfeldern, etwa magnetotaktische Bakterien (MTB). Diese enthalten einen Dauermagneten aus einer Kette winziger Magnetit-Kristalle (Fe3O4), der ihnen in Süßgewässern den Weg in die bevorzugte sauerstoffarme Tiefe weist.
MTB könnte man aber auch als sogenannte Biohybrid-Mikroroboter in der Medizin einsetzen. In Biohybrid-Mikrorobotern werden in einem Mikroorganismus zelluläre und künstliche Komponenten zu einem Mikroroboter kombiniert, der im Körper eine bestimmte Arbeit verrichten soll. Ein Beispiel wäre ein Bakterium, das auf externe Stimuli reagiert und daraufhin einen Wirkstoff an eine gewünschte Destination liefert, zum Beispiel einen Tumor.
Magnetische Konjugate
Dazu muss der MTB-basierte Mikroroboter mit einer Fracht beladen und mit einem Magnetfeld zu seinem Ziel bewegt werden. Wie man dies bewerkstelligen kann, zeigt Simone Schürle-Finkes Team von der ETH Zürich an ihrem MTB-Modellorganismus Magnetospirillum magnetotacticum.
Die Züricher kultivierten M. magnetotacticum in einer mineral- und vitaminhaltigen Lösung, der sie den Eisenchelat-Komplex „Ferric quinate“ zugesetzt hatten. Danach beluden sie die Bakterien mit Fluoreszenz-markierten Liposomen, die sie über eine kovalente Verbindung auf der Oberfläche der MTB verankerten. Die heraus entstandenen magnetischen Bakterien-Liposomen-Konjugate (MTB-LP) konnte die Gruppe in freier Lösung mit einem Magneten dirigieren – im Körper müssen die MTB-LP jedoch Gewebebarrieren überwinden, um an ihr Ziel zu gelangen.
Bisherige Verfahren, bei denen MTB mithilfe statischer magnetischer Felder oder magnetischer Feldgradienten bewegt werden, lenken die Bakterien stur in eine vorgegebene Richtung und wirken nur über kurze Entfernungen. Sie sind daher nur beschränkt in der Medizin einsetzbar, etwa bei klar definierten oberflächennahen, flachen Tumoren.
Bakterien schlagen Salto
Der Clou der Züricher-Technik besteht jedoch darin, die Bakterien „tanzen“ zu lassen, sodass diese kleine Löcher im Gewebe finden, die sich vorübergehend auftun. Es ist ein bisschen wie die „Reise nach Jerusalem“, nur spielt ein Magnet die Musik. Statt eines statischen magnetischen Feldes oder Gradienten verwendete Schürle-Finkes Gruppe rotierende Magnetfelder (RMF). Dazu arrangierte sie acht leicht geneigte Spulen so zueinander, dass sich ihre Öffnungen auf einen gemeinsamen Punkt fokussierten. Fließt ein elektrischer Strom durch die Spulen, bringt das rotierende Magnetfeld die Bakterien zum Tanzen. Wären die Bakterien rund, brächte das wenig. Sie sind aber unsymmetrisch, wodurch ihre Bewegung einem Salto-schlagenden „S“ ähnelt und das magnetische Drehmoment deutlich stärker ist als die eigene Antriebskraft der Bakterien.
Um zu klären, ob die MTB-LP wirklich durch Gewebebarrieren tanzen können, kultivierte das ETH-Team Caco-2-Zellen auf einer Transwell-Membran, bis sie eine Einzelschicht bildeten, die Enterozyten ähnelt. Auf die Schicht gaben die Forscher und Forscherinnen die MTB-LP und suchten eine Stunde später im darunterliegenden Medium nach Bakterien, die es geschafft hatten, die Zellschicht zu überwinden. War das rotierende Magnetfeld rechtwinklig zur Zellschicht orientiert, gelang dies mehr MTB-LP als bei paralleler Ausrichtung. Tatsächlich erreichten mit dem RMF dreimal mehr Bakterien die andere Gewebeseite als mit einem statischen Magnetfeld. Bei Letzterem kommen die MTB-LP nur durch Lücken, die sich gerade auftun – bei ihrem durch das RMF ausgelösten Tanz gehen sie hingegen selbst auf Erkundungstour nach offenen Poren.
Statische und rotierende Felder
Anhand der Fluoreszenz-Markierung konnte die Gruppe die MTB-LP lokalisieren. Um sie jedoch auch in Echtzeit verfolgen zu können, konstruierte sie einen Magnetometer. Das Mess-Prinzip des Instruments ist nur etwas für hartgesottene Physiker. Es beruht darauf, dass sich das Drehmoment der Bakterien während der Bewegung verändert und dies als Induktionssignal erfasst werden kann.
Die rotierenden Magnetfelder lassen sich durch zusätzliche statische Magnetfelder gezielt steuern, um die MTB-LP örtlich eng begrenzt in die gewünschte Richtung zu lenken. Dazu legte die Gruppe eine Multititerplatte in das Magnetfeld der RMF-Apparatur und platzierte vier Blockmagneten kreuzförmig um diese herum. Die statischen Magnetfelder waren stärker als das rotierende Feld der Spulen und neutralisierten es – sie hoben sich aber auch genau im Mittelpunkt des Kreuzes gegenseitig auf. Lag unter diesem Punkt ein Well der Mikrotiterplatte, reagierten nur die darin enthaltenen MTB-LP auf das rotierende Magnetfeld.
Schwer durchdringbarer Sphäroid
Das größte Potenzial der MTB sehen die Züricher in der Krebstherapie. Dafür müssen die Bakterien jedoch in Tumore vordringen können. Dass ihnen dies tatsächlich gelingt, zeigt ein Experiment der Gruppe mit einem Tumor-Sphäroid aus MCF-7-Zellen, der als schwer durchdringbar gilt. Dazu markierte sie die Liposomen der MTB-LP mit dem Fluoreszenz-Farbstoff DiO, setzte die MTB-LP in Gegenwart der Späroide eine Stunde einem rotierenden Magnetfeld aus und inkubierte die Suspension danach einen Tag. Die MTB-LP drangen nur in die Sphäroide ein, wenn das rotierende Magnetfeld auf sie einwirkte. Dabei sammelten sie sich zunehmend im Zentrum der Sphäroide, was sich nicht allein mit dem RMF erklären lässt. Offensichtlich war es ihre eigene Aerotaxis, die die Bakterien in das sauerstoffarme Zentrum der Sphäroide führte.
Um zu zeigen, dass die MTB-LP auch in einem echten Tumor funktionieren, injizierten sie die Schweizer intravenös in den Schwanz einer Maus, die einen Tumor am Rücken hatte. Anschließend positionierten sie den Tumor unter dem RMF und brachten die Maus nach einer einstündigen „Magnetfeldtherapie“ in den Stall zurück. In dieser Zeit hatten es die magnetgesteuerten Bakterien bis zum Tumor geschafft und drangen in den Folgestunden, aufgrund ihrer Vorliebe für sauerstoffarme Zonen, in Eigenregie in das Innere des Tumors vor. Der nach acht Tagen entnommene Tumor enthielt tatsächlich lebende Bakterien. Obwohl das Team die MTB-LP intravenös verabreicht hatte, und diese im gesamten Körper zirkulieren konnten, befanden sich in Herz sowie Lunge fast keine MTB-LP. Auch in Leber, Nieren und Milz fand die Gruppe deutlich weniger MTB-LP als im Tumor.
Andrea Pitzschke
Gwisai T. et al. (2022): Magnetic torque–driven living microrobots for increased tumor infiltration. Science Robotics, 7(71):eabo0665
Bild: Yimo Yan/ETH Zürich