Editorial

Die katholische Kirche und das Kreuz mit der Evolution (2)

Das "roll back": Kardinal Schönborn und das intelligente Design

(22.06.2007) Unter dem Druck evolutionstheoretischer Erklärungserfolge erklärte Papst Wojtyla (1996): "Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der Enzyklika, geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorien dar".

War damit schon alles gesagt? Offensichtlich nicht, denn im Sommer 2005, nur wenige Monate nach dem Tod von Papst Wojtyla, konkretisierte der Wiener Kardinal Schönborn dessen Aussage in einem in der New York Times veröffentlichten Artikel und übte scharfe Kritik an der "neodarwinistischen" Evolutionstheorie (Schönborn 2005). Offenbar wurde Papst Wojtylas Position dahingehend missverstanden, dass man mit der Anerkennung der Evolution auch die Akzeptanz natürlicher Evolutionsmechanismen unterstellte.

"Ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion kann nicht wahr sein."

In bemerkenswert dogmatischer Eindeutigkeit korrigiert Schönborn diesen Irrtum. Er betont: "Seit Papst Johannes Paul II. 1996 erklärt hat, dass die Evolution ... mehr sei als nur eine Hypothese, haben die Verteidiger des neo-darwinistischen Dogmas eine angebliche Akzeptanz oder Zustimmung der römisch-katholischen Kirche ins Treffen geführt, wenn sie ihre Theorie als mit dem christlichen Glauben in gewisser Weise vereinbar darstellen. Aber das stimmt nicht." Zwar könne "Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht. Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder weg zu erklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft."

In der Tat hätte man die Ablehnung materieller Ursachen auch schon in Papst Wojtylas Verlautbarung erkennen können, denn er spricht von "materialistisch-reduktionistische Lesarten und auch spiritualistische Lesarten der Evolutionstheorie". Da in der modernen Evolutionstheorie "spiritualistische Interpretationen" nicht akzeptiert werden, sondern ausschließlich materielle Zusammenhänge gelten, die katholische Kirche aber kaum Sympathien für die materialistische Variante hegen dürfte (Junker 2007), deckt sich Papst Wojtylas Verlautbarung im Prinzip mit Schönborns Position.

Schönborn spricht also allen Modellen, die sich auf die elementaren Faktoren der ungerichteten genetischen Variation in Kombination mit der natürlichen Selektion (dazu zählen im weiteren Sinne auch innerorganismische Gesetzmäßigkeiten, die den Weg der Evolution maßgeblich mitbestimmen) – pauschal die Wissenschaftlichkeit ab. Da Schönborn kein Randdetail kritisiert, sondern das integrale Konzept aller modernen Evolutionstheorien angreift, "das auf vielfältige Weise in die allgemeine Biologie und in andere Wissenschaften, von der Chemie und Molekularbiologie bis zur Paläontologie, eingebunden ist, trifft seine Kritik die moderne (Natur-) Wissenschaft im Allgemeinen" (Junker 2007, S.74).

In Anbetracht dieser Konsequenzen wird deutlich, dass Schönborn die eingangs beschriebene und mühsam errungene Erklärungsstrategie der Naturwissenschaften nicht akzeptiert. Vielmehr behauptet er, "dass der menschliche Verstand leicht und klar Ziel und Plan in der natürlichen Welt, einschließlich der Welt des Lebendigen, erkennen kann", der dann nur jenseits des Natürlichen liegen kann.

Diese naturtheologische Interpretation, die zugleich eine Art "Gottesbeweis" darstellen soll, ist das programmatische Kernstück der so genannten Intelligent Design-Bewegung, die von reichen christlichen Fundamentalisten in den USA ins Leben gerufen wurde. Primär verfolgt diese Gruppierung das Ziel, den Naturalismus als wissenschaftliches Prinzip durch einen christlichen Theismus zu ersetzen und die oben beschriebene Interpretation auf lange Sicht wieder zur dominierenden Lehrmeinung zu machen ("Keilstrategie"; siehe Kutschera 2004). Doch anstatt Gott beim Namen zu nennen und sich auf die Genesis zu berufen, wie die orthodoxen Kreationisten dies tun, behaupten die Intelligent Design-Vertreter lediglich, die Lebewesen seien zu komplex und zu zweckmäßig arrangiert, um sich durch "ungelenkte Mechanismen" entwickelt zu haben; ein "intelligenter Designer" müsse sie erschaffen haben. Wer dieser Designer sei, darauf will man sich nicht festlegen – es gehe lediglich darum, "Design-Signale" in der Natur zu identifizieren.

Dieser Sprachduktus soll suggerieren, es handele sich um eine wissenschaftliche Theorie, die es mit der Evolutionstheorie aufnehmen könne. Mit religiösem Glauben oder gar biblischem Kreationismus will man die Theorie nicht in Zusammenhang gebracht sehen. Doch während die natürliche Evolution so gut bestätigt ist, dass kaum noch jemand ernsthaft an ihr zweifelt, stützt sich Intelligent Design auf Hypothesen und Wirkfaktoren, die weder intersubjektiv nachvollziehbar sind noch Erklärungskraft besitzen – nichts Empirisches spricht für eine "intelligente Planung" der Arten. Auch die vielfach angeführten Analogien mit der Technik und das von dem Mikrobiologen Behe ersonnene Konzept der "irreduziblen Komplexität" erweisen sich als nicht stichhaltig (Neukamm 2007).

"Intelligent Design verkörpert nicht wissenschaftliche Theorie, sondern religiöse Meinung"

Der Thomist M. Rhonheimer (2007) hat in einem jüngst veröffentlichten Brief an Schönborn noch einmal treffend formuliert, woran sich die Kritik entzündet: Nicht das Postulieren von Zweckmäßigkeit in der Natur gibt Anlass zur Kritik, sondern Zweckmäßigkeit "aufgrund von Handlungen (Eingriffe einer Intelligenz) erklären zu wollen, weil man dadurch entweder, falls solche Eingriffe als übernatürlich gedacht werden, die Natur ihrer ontologischen Konsistenz beraubt, oder aber Natur anthropomorph zu einem intentionalen Agens umdeutet". Kurzum: Da die postulierten Schöpfungsakte als naturimmanente Erscheinung verstanden werden, naturalistischen Beschreibungsmitteln aber unzugänglich sind, steht Intelligent Design im Widerspruch zu den Prinzipien der modernen Realwissenschaften. Leicht ist zu erkennen, dass es sich um eine "variierte Neuauflage der biblizistisch-kreationistischen Agenda" handelt (Rhonheimer 2007).

Dies wurde Intelligent Design Ende 2005 in dem legendären Dover-Prozess in Harrisburg, Pennsylvania, zum Verhängnis. Tammy Kitzmiller, die Mutter einer Schülerin, klagte gegen den Beschluss der örtlichen Schulbehörde, Intelligent Design als Alternative zur Evolutionstheorie zu unterrichten. Die 139-seitige Urteilsbegründung gab ihr Recht: Die Lehre verkörpere, für jeden objektiven Beobachter erkennbar, religiöse Meinung und keine wissenschaftliche Theorie, so der couragierte Richter. Sie bediene sich Strategien, die sie von früheren Formen des biblischen Kreationismus übernommen habe und aus dem sie aus taktischen Gründen evolvierte. Darum und mangels wissenschaftlicher Dimension sei es verfassungswidrig, Intelligent Design an Schulen zu unterrichten (Jones 2005).

Ausgerechnet der konservative Richter und Bush-Vertraute John E. Jones ließ sich durch prominente Evolutionsbiologen von der Unwissenschaftlichkeit des Intelligent Design überzeugen. Mit den Ausschlag dürfte die Aussage des Biologen und Intelligent Design-Vertreters Michael Behe gegeben haben, der sich im Kreuzverhör zu der peinlichen Behauptung hinreißen ließ, auch die Astrologie sei eine Wissenschaft, wenn man die Kriterien anwende, nach denen Intelligent Design der Status einer Wissenschaft zukomme (Leitner 2006).

Der Versuch, die Wissenschaftlichkeit des Konzepts herauszustreichen und es an den Schulen zur dominierenden Lehrmeinung zu machen, wurde also in Dover rigoros beendet. Seitdem kündigt sich ein Strategienwechsel an. Man versucht, stärker die weltanschaulich-eschatologischen Aspekte des evangelikalen Fundamentalismus zu rechtfertigen und den Darwinismus auf ethisch-moralischer Ebene anzugreifen (Leitner 2006). So stellt Behe in seinem neuesten Buch "The Edge of Evolution" (2007) eine These in den Raum, deren soziale und ethische Sprengkraft kaum überschätzt werden kann: Auch Krankheitserreger, wie der für die Malaria verantwortliche Parasit Plasmodium falciparum seien, so Behe, aufgrund ihrer nicht reduzierbar komplexen Strukturen gezielt erschaffen worden. Zwar wurde die Argumentation in Behes Buch unlängst zerpflückt und ad absurdum geführt (Myers 2007). Doch der Gedanke an eine von Gott geschaffene Geisel in Form von Malaria und HIV begeistert die evangelikale Hardcore-Gesellschaft, die ja ohnehin den Darwinismus für jede Form des Werteverfalls und der Missachtung der Schöpfungsordnung verantwortlich macht.

Dieser Vorstoß Behes, der bislang zum gemäßigten ID-Flügel gerechnet wurde, ist ein Beleg mehr für den religiös-fundamentalistischen Hintergrund des Intelligent Design und zugleich als Versuch zu werten, verstärkt die evangelikale Klientel zu bedienen. Schönborn indes zeigt sich von solchen Auswüchsen so wenig beeindruckt, wie von kritischen Argumenten und dem Gerichtsurteil in Dover. Kürzlich legte er noch einmal nach und erklärte: "Wenn es zu den glaubwürdigen, vernünftigen Argumenten gehört über den Plan zu sprechen, über Intelligent Design zu sprechen, dann gehört das auch in die Schulen" (Peterseil 2007).

Die Zuspitzung des Konflikts: Über das Erstarken fundamental-christlicher Strömungen in Europa

Dank Schönborns Intelligent Design-Kampagne ist der Streit um die Evolutionstheorie nun endgültig in Europa angekommen und führt seit einigen Jahren spürbar zum Erstarken fundamental-christlicher beziehungsweise antievolutionistischer Strömungen. Diese erfassen zunehmend auch politische Kreise. Während vor fünf Jahren hierzulande kaum jemand ernsthaft über Intelligent Design räsonierte, weil die faktische Leere des Konzepts zu offensichtlich schien, hielten in den Jahren 2005 und 2006 prominente Evolutionsgegner an mehreren Universitäten (Salzburg, Köln, Kassel und Witten/Herdecke) Seminare über Intelligent Design. Der rechtskonservative polnische Vize-Bildungsminister M. Orzechowski bezeichnet die Evolutionstheorie sogar als "Lüge, die man nicht an Schulen unterrichten darf". In Italien scheiterte die ehemalige Bildungsministerin Letizia Moratti nur aufgrund massiver Proteste mit dem Versuch, die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen der Grund- und Mittelstufe zu verbannen, und in Holland setzte sich die Bildungsministerin Maria van der Hoeven für Intelligent Design ein.

Auch in Deutschland finden sich immer mehr Politiker, die Intelligent Design ein Forum bieten wollen. So tritt der Thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) dafür ein, die "Kontroverse über zwei konkurrierende Theorien anzustoßen" (Neukamm 2005b), womit er den falschen Eindruck erweckt, in der Fachwelt fände eine Kontroverse statt. Bereits 2002 pries Althaus ein evolutionskritisches Buch, in dem auch Intelligent Design beworben wird, als "sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung" und hoffte, dass das Buch "nicht nur von Biologielehrern für den Unterricht verwendet wird, sondern auf eine weit darüber hinaus gehende Leserschaft trifft" (Details hierzu in Waschke 2003).

Bei diesem Werk handelt es sich um "Evolution – ein kritisches Lehrbuch" des Biologielehrers und Theologen R. Junker sowie des Mikrobiologen S. Scherer, die dem Leitungsgremium der evangelikalen Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. angehören (Scherer ist inzwischen nicht mehr als Vorsitzender tätig). Die Vereinigung ist ein Zusammenschluss bibeltreuer, publizistisch äußerst aktiver Christen, der als Kristallisationskern die Verbreitung und Akademisierung fundamental-christlicher Standpunkte und Glaubensinhalte befördert und damit auch gegen die Evolutionstheorie Position bezieht. Selbsterklärtes Ziel ist es, den Glauben an die wörtlich verstandene Genesis mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbinden und "Denkhilfen [zu] geben, mit denen die Tatsachen dieser Welt und wissenschaftliche Erkenntnisse im biblischen Bezug vertreten werden können."

Was hier mit dem Gestus religiöser Demut und wissenschaftlicher Aufklärung vorgetragen wird, entpuppt sich als harter evangelikaler Wissenschaftsrevisionismus. Er nimmt nicht nur den wissenschaftlichen Naturalismus, sondern auch unser aufgeklärtes Weltbild unter Beschuss, und das mit allen Konsequenzen: Nähme man das von Wort und Wissen vertretene Weltbild ernst, wäre nicht nur die Evolutionstheorie falsch, auch die Fundamentaltheorien der Geologie, Paläontologie, Biogeographie, Kosmologie, Astro- und Kernphysik (und alle Theorien, die auf sie zurückgreifen) müssten aufgegeben oder völlig neu geschrieben werden. Denn nach Ansicht der Kreationisten kann das Universum nur etwa 10.000 Jahre alt sein, und die Arten wurden gleichzeitig, am sechsten Tag der "Schöpfungswoche" durch Gottes Wort erschaffen.

Solche Thesen erscheinen manchem Fachmann hierzulande zwar wirr aber harmlos. Doch sind ihre gesellschaftlichen und ethischen Implikationen problematisch. Etwa dort, wo der Lebensstil von Alleinerziehenden, Homoelternpaaren, Doppelverdienereltern oder "Familien mit Hausmann" verdammt und als "Missachtung der Schöpfungsordnung" angeprangert wird (wie zum Beispiel in dem Schöpfungsbuch "Creatio", das von Wort und Wissen gelobt und zum Kauf angeboten wird). Hier offenbaren sich die intoleranten Züge eines archaischen Welt- und Gottesbildes.

Um den Außenstehenden nicht mit den revolutionären Botschaften zu überrollen, wird nach außen hauptsächlich Intelligent Design vertreten und in Interviews bezüglich der Frage, wie alt denn nun die Menschheit sei, auch mal um den heißen Brei herum geredet. Doch die Aura der Seriosität verblasst, wenn man etwa liest, dass der Geburtsschmerz wohl als Folge des Sündenfalls anzusehen sei, oder wenn ernsthaft über die Frage diskutiert wird: "Passten alle Tiere in die Arche Noah?". Wenn wiederholt die Existenz evolutionärer Mechanismen zur Erklärung von "Makroevolution" bestritten wird, nur weil die in der Fachliteratur präsentierten Kausalmodelle unvollständig, in Teilen spekulativ und "nicht beweisbar" sind, ahnt auch so mancher Nichtfachmann die Verdrehung dessen, was der Begriff Wissenschaft bedeutet.

In dem "evolutionskritischen Lehrbuch" liest man über die weltanschaulichen Implikationen der Evolutionskritik freilich ebenso wenig, wie über die Motivation seiner Autoren. Obwohl die Argumentationsstrukturen des Buches pseudowissenschaftliche Züge tragen (siehe zum Beispiel Mahner 1999; Neukamm 2005a, 2007), werden die Fakten über weite Strecken scheinbar neutral vorgetragen, was es Menschen ohne biowissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen Hintergrund erschwert, Fehler aufzudecken. An diversen christlichen Privatschulen, wie etwa an der Gießener August-Herrmann-Francke-Schule, wird das Buch im Biologieunterricht als das bibelkonforme Lehrbuch verwendet (Mersch 2006), und es findet sich auch in den Bibliotheken einiger staatlichen Schulen.

Das Hessische Kultusministerium sieht keine Veranlassung, über die Aufsichtsbehörden religiös-weltanschauliche Aspekte aus dem Biologieunterricht fern zu halten. Man beruft sich auf eine "Erziehung im Geiste der christlich-humanistischen Kultur" sowie auf die Autonomie der Privatschulen. Zwar distanziert sich die Kultusministerin Karin Wolff (CDU) vom Kreationismus, sie plädiert aber öffentlich dafür, fächerübergreifend Schöpfungsvorstellungen zu behandeln, zumal es zulässig sein müsse, die Evolutionstheorie in Frage zu stellen (Kutschera 2006). Was in den USA gerichtlich unterbunden wurde, scheint in Deutschland also möglich zu sein und ist in vielen christlichen Privatschulen längst Praxis. Die Keil-Strategie findet hier in Form des griffigen Slogans "lehrt die Kontroverse" eine gefährliche Ansatzstelle.

Die Haltung Papst Ratzingers

Vor einiger Zeit hat sich auch das neue katholische Oberhaupt in den Konflikt eingeschaltet und Kardinal Schönborn den Rücken gestärkt. So kam es im letzten Jahr zu einer Begegnung zwischen Schönborn, Papst Ratzinger und seinen früheren Schülern in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo. Inhaltlich stand das Verhältnis von Evolutionstheorie, Schöpfungstheologie und Vernunft im Zentrum der Gespräche, die inzwischen in einem Dokumentationsband (Horn und Wiedenhofer 2007) veröffentlicht wurden. In diesem Fachbuch äußert sich der Papst zu der Frage, wie die Erkenntnisse der modernen Biologie ins christliche Weltbild passen.

Papst Ratzinger erklärt, die Naturwissenschaften hätten "große Dimensionen der Vernunft erschlossen, die uns bisher nicht eröffnet waren". Allerdings weist er die so gelobten Forscher in ihre Schranken: Die Frage, woher die Rationalität stamme, läge außerhalb ihrer Kompetenz, die Naturwissenschaft "kann und darf darauf nicht direkt antworten" (zitiert nach Schmitt 2007). Auch relativiert Papst Ratzinger das Zugeständnis Papst Wojtylas, die Evolution sei mehr als eine Hypothese. Die Evolutionstheorie sei keine vollständige, wissenschaftlich bewiesene Theorie, kontert der Papst nach Angaben der Nachrichtenagentur AP und verweist darauf, dass die langen Zeitspannen der Evolution eine Überprüfung unmöglich machten: "Wir können keine 10.000 Generationen ins Labor holen", der Ursprung des Lebens könne letztlich wissenschaftlich nicht erklärt werden.

Schönborns und Papst Ratzingers Aussagen: Eine Analyse

Die harschen Worte der katholischen Glaubenshüter lassen keinen Zweifel daran bestehen, dass sie die Deutungshoheit des christlichen Theismus über die Naturwissenschaften beanspruchen. Schönborn und Papst Ratzinger scheinen zwar vordergründig die Prinzipien der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung anzuerkennen. Sie sind auch gewiss keine Kreationisten im orthodoxen Sinne. Dies hindert sie aber nicht daran, Theorien und Modelle, die mit den Glaubensvorgaben der "Heiligen Schrift" nicht kompatibel sind, sogleich ins intellektuelle Abseits zu stellen und für "unwahr" und "ideologisch" zu erklären. Dass mit Intelligent Design geliebäugelt wird, ist auch nicht zu verkennen.

Die Rückbesinnung auf fundamental-christliche, wissenschaftskritische Positionen ist nach Ansicht von M. Mahner, Leiter des Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken der GWUP e.V., nicht überraschend. Obwohl die Vertreter der katholischen Kirche zumeist eine Evolution zugestehen, so können sie doch nicht wirklich zugeben, dass diese ohne göttliche Absichten und Interventionen auskommen kann. Sie können kaum annehmen, dass Gott einen Jahrmilliarden andauernden, unvorherbestimmten Evolutionsprozess initiiert, "um einmal zu schauen, ob dabei etwas herauskommt, das er dann endlich durch Entsendung seines Sohnes erlösen kann. Und vor allem erlösen wovon, wenn es in einer natürlichen Welt keine Erbsünde gibt?" (Mahner 2005).

Man sieht, das Problem ist vertrackt. Einerseits braucht Religion eine minimale Teleologie. Andererseits beschäftigt sich Religion, sobald eine transzendente, göttliche Lenkung des Weltgeschehens angenommen wird, zum Teil mit denselben Gegenstandsbereichen wie die Naturwissenschaften und trifft Aussagen, die (zum Teil) ihren Erkenntnissen und Prinzipien widersprechen. Auf die Evolutionstheorie gemünzt bedeutet das: Die Kausalmodelle der Evolutionstheorie wären falsch, prinzipiell unzureichend zur Erklärung der Evolution und die Evolutionstheorie nur ein unbedeutender Zwischenschritt auf dem Weg zu einer "Finalerklärung", die lediglich auf den unerforschlichen Ratschluss einer höheren Macht verweisen kann. Um mit T. Junker zu sprechen: "Wenn die Wissenschaft ... nicht in der Lage sein sollte, ein angeblich leicht und klar erkennbares Naturphänomen (Ziel und Plan in der natürlichen Welt) zu identifizieren, dann handelt es sich entweder um ein Phantasiegebilde – oder es gibt diesen Plan, dann wäre seine Unauffindbarkeit durch die Wissenschaft eine Bankrotterklärung, die sie in ihren Grundfesten erschüttern würde. Weitreichende Erkenntnisse wird man von ihr jedenfalls nicht mehr erwarten dürfen, sondern höchstens noch, was ihr die katholische Kirche laut Schönborn zugesteht..." (Junker 2007, S. 76).

Martin Neukamm

Hier finden Sie den ersten Teil des Artikels. Zum dritten Teil geht's hier weiter.




Letzte Änderungen: 02.07.2007