Editorial

Wirkstoff des Monats: Avatrombopag

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 5, 2021)


Stichwort

(10.05.2021) Die jüngst in Verbindung mit Corona-Vektorimpfstoffen beobachteten sehr seltenen, aber schweren Nebenwirkungen rückten ein bisher wenig beachtetes Phänomen in den Fokus der Öffentlichkeit: Thrombozytopenie. Darunter versteht man einen drastischen Verlust an Blutplättchen. Mit Avatrombopag wurde in der EU im letzten Jahr ein neuer Wirkstoff zur Behandlung von Thrombozytopenie zugelassen. Er ist für Patienten gedacht, die unter chronischer Blutplättchenarmut leiden – wie auch für solche mit schweren Leberschäden in der Vorbereitung auf eine Transplantation.

Das Molekül Avatrombopag ist ein niedermolekularer Agonist des Thrombopoetin(TPO)-Rezeptors c-Mpl. Es wurde während eines Hochdurchsatz-Screenings nach Molekülen entdeckt, die die Reifung von Megakaryoblasten zu den großen, polyploiden (64n!) Megakaryozyten ankurbeln, aus denen sich dann über mehrere Schritte Blutplättchen entwickeln. Dieser Reifungsprozess wird durch das Hormon TPO gesteuert, das in Leber, Niere und Knochenmark produziert wird und am TPO-Rezeptor andockt.

Wie TPO aktiviert auch Avatrombopag den Rezeptor, und zwar in einer synergistischen Weise: Es blockiert nicht die Hormon-Bindestelle, sondern setzt sich auf einen anderen Ort in der Transmembrandomäne des Rezeptors. Beide Arten der Bindung aktivieren einen MAPK-Signalweg, der zur Bildung von Blutplättchen führt (MAPK steht für MAP-Kinase, MAP für Mitogen-Activated Protein).

Gegen die durch eine Immunreaktion induzierte Thrombozytopenie (ITP) wirkt auch Fostamatinib, das 2019 für diese Indikation zugelassen wurde. Fostamatinib ist ein Inhibitor der Milz-Tyrosinkinase (SYK). Dieses Enzym wiederum regelt die Aktivität von Makrophagen, die im Falle von ITP die Blutplättchen angreifen. Nach bisherigen Daten löst Fostamatinib keine Thrombosen aus – im Gegensatz zu Avatrombopag, das in seltenen Fällen venöse und arterielle Blutgerinnsel verursacht.

Thrombozytopenie ist übrigens gar nicht so selten. Sie kann ausgelöst werden durch Röteln, von vielen Krebsmedikamenten wie auch von dem gegen Thrombosen häufig verwendeten Heparin. Im Fall von Heparin spricht man von HIT, der Heparin-induzierten Thrombozytopenie. Auch die oben erwähnte Autoimmunerkrankung ITP, die bei zwei bis vier pro hunderttausend Personen auftritt, kann die Ursache für den Schwund an Blutplättchen sein.

Für die mit den Corona-Vektorimpfstoffen verbundene Symptomatik schlugen Andreas Greinacher und sein Team von der Universitätsklinik Greifswald, die dieses Phänomen in Zusammenhang mit den Impfungen dokumentierten, den Begriff „Vaccine Induced Prothrombotic Immune Thrombocytepenia“ (VIPIT) vor. Ob Vektorimpfstoffe tatsächlich VIPIT verursachen – und, wenn ja, wie –, muss noch geklärt werden.