Editorial

Tipp 117:
Genetischer Code aus anderer Perspektive - Codonsonne neu geordnet

Roland Pohlmeyer

Roland Pohlmeyer
(Imperial College London)

Eigentlich arbeitet Roland Pohlmeyer an seiner Thesis über die Immunantwort bei der Leishmaniose. Das hinderte ihn aber nicht daran, über eine neue Darstellung der Code-sonne nachzudenken.

Im Januar dieses Jahres machte ich eine simple Annahme, die sich als durchaus nützlich erweisen sollte. Die Annahme lautete: Vielleicht bedarf ein komplexes Problem gar nicht komplizierter Antworten, vielleicht ist die Lösung paradox einfach.

Eine arbeitsintensive Periode folgte und einen Monat später machte ich mich daran den genetischen Code neu zu ordnen. Wie ich von meinem eigentlichen Arbeitsgebiet in der Immunologie zu etwas so Grundlegendem überwechselte, ist eine Geschichte für sich und würde den Rahmen dieses kleinen Beitrags sicherlich sprengen. Mein Einstieg in dieses alte Problem erfolgte aber über die Aminosäure Methionin und ich stieß erst im Nachhinein auf Wongs Theorie der Coevolution des genetischen Codes, die er 1975 veröffentlicht hat (PNAS, 72, 1909-1912).

Es gibt viele Arten, den genetischen Code, also die Übersetzungsmatrix, die zwischen der Sprache der Nukleinsäuren und der Sprache der Aminosäuren vermittelt, darzustellen. Aus irgendeinem Grund gefiel mir die Codonsonne nach Bresch und Hausmann von allen Darstellungsweisen am Besten. Es gab dabei jedoch ein Problem: die Verstreutheit der Codons für Leucin, Serin, Arginin und Stopp schienen mir rein intuitiv zu kompliziert. Als ich mir überlegte, woran diese Unordnung liegen könnte, fiel mir auf, dass die unterschiedlichen Darstellungsweisen stets die erste Base des Codontripletts zu bevorzugen schienen und eine strenge Ordnung auf der Ebene der Basen voraussetzten. Dass die dritte Base des Codons am unwichtigsten zu sein schien, war mir durchaus bewusst, doch weshalb die erste Base am wichtigsten sein sollte, schien mir rätselhaft. Eine Erklärung wäre sicherlich, dass bei der Transkription die mRNA-Kette von 5' nach 3' verläuft und die Übersetzung der verschlüsselten Botschaft, also die Sequenz der Aminosäuren eines Proteins, dieser Polarität folgt. Eine andere, für mich ebenso einleuchtende Erklärung war, dass die Wissenschaftler, die maßgeblich zur Aufklärung des Codes beigetragen hatten, gewohnt waren von links nach rechts zu lesen. Nur schien mir die unausgesprochene Annahme, dass die Vorgänge bei der Translation der gleichen Grammatik unterliegen wie die Transkription oder Europäische Sprachen, keineswegs zwingend.

Code Sonne 1

Der Standard des genetischen Codes. Innerer Kreis (gold): zweite Base; zweiter Kreis (rot): erste Base; dritter Kreis (grün): dritte Base der mRNA; vierter Kreis (weiss): Aminosäuren; (*): wichtige Sondereigenschaften; (u): unpolar; (p): polar; OH: freie Hydroxylgruppe; (+): postiv geladen/ basisch; (-): negativ geladen/ sauer. Darstellung nach dem 2-1-3 Prinzip: Betonung auf funktionelle Einheiten (Unpolare Aminosäuren, Übergangsaminosäuren, Aminosäuren mit besonderen Eigenschaften, Polare Aminosäuren)



Ich setzte die zweite Base ins Zentrum der Codesonne, gefolgt von der Ersten und schließlich der Dritten. Durch einfache Kombinatorik und Herumspielen versuchte ich, die verstreuten Codons zusammenzufügen, was mir überraschend schnell gelang. Innerhalb weniger Minuten lagen alle verstreuten Codons beisammen, und ich sah voller Staunen, dass weitaus mehr zusammenfiel als nur die einzelnen Codons: Aminosäuren mit ähnlichen chemischen Eigenschaften, beziehungsweise physiologischen Funktionen gesellten sich zusammen. Es war mir, als stünde ich vor einem Zauberwürfel, der 40 Jahre lang einen Schritt vor der Lösung des Puzzels liegen gelassen worden war, und ich mit ein paar Tricks und aus purer Freude am Spiel, den letzten Schritt wagte.

Code Sonne 1

Darstellung nach dem 2-1-3 Prinzip: Strukturelle Ähnlichkeiten der Aminosäuren (Nachbarschaft von N und D, sowie E und Q).


Wie mag es von hier an weitergehen? Durch diese Art der Kondensierung des Codes lassen sich womöglich etliche Schlüsse ziehen, die uns helfen könnten, das zelluläre Zusammenspiel verschiedener Akteure besser zu verstehen. Als Erstes, stellt sich die Frage, was die molekulare Grundlage für die Wichtigkeit der zentralen Base sein könnte. Eine mögliche Lösung könnte in der Interaktion zwischen tRNA und mRNA zu finden sein. Die Translation wird weitläufig, ähnlich der Transkription, mit dem Mechanismus eines Reißverschlusses verglichen, wobei es wie selbstverständlich von 5' nach 3' abzulaufen hat und das Ablesen der Basenfolge folglich nicht anders als der 1-2-3 Regeln folgen kann. Stellt man sich jedoch das Zusammentreffen der beiden RNA-Spezies räumlich vor, so erscheint ein anderes Interaktionsmodell ebenso logisch. Wenn die beladene tRNA zunächst an die zentrale Base des Codons bindet, dann durch eine Schwenkbewegung die erste Codonbase abliest, anschließend zurück zur zentralen Base schwenkt, diese ähnlich eines Korrekturlesers nochmals kontrolliert, sich daraufhin der dritten Codonbase zuwendet, um sich schließlich von der mRNA zu lösen, wäre die zweite Base doppelt gelesen und somit von höherem Informationsgehalt als die Erste oder die Dritte. Falls sich durch den Ablösevorgang der tRNA die Wasserstoffbrücken zwischen komplementären Basen am Ende der Interaktion nur bedingt ausbilden können und hauptsächlich die Größe der Basen (Pyrimidin/ Purin) von Bedeutung scheint, wäre auch dem "Wobble" der dritten Base Rechnung getragen. Ein eindeutiger Nachweis, der für oder wider diese 2-1-(2)-3 Theorie spricht, ist mir nicht bekannt und scheint mir einer Anstrengung wert. Andererseits könnte eine Erklärung ebenso bei der Beladung der tRNA mit Aminosäuren zu finden sein.

Ein schöner Nebeneffekt dieser Darstellungsweise scheint mir, dass dem "Argument" mancher Kreationisten, die behaupten der Code sei zu komplex um von selbst entstanden zu sein, die Grundlage entzogen wird. Ausnahmen vom Standardcode lassen sich auch auf diese Weise ebenso vereinfacht darstellen. Von dieser neuen Sichtweise aus betrachtet, erscheint die Codonverteilung fast schon erschütternd einfach. Ich hoffe jedoch, dass sich mit mir auch andere für diese Schönheit des Einfachen begeistern lassen.


Letzte Änderungen: 09.02.2008