Editorial

Wer einmal W und V vertauscht

Erlebnisse einer TA (138)

Maike Ruprecht


Die TA

Als ich das frisch beladene RNA-Gel anschließe und den Power Supply starte, wird mir weh ums Herz, denn niemand sagt was dazu. Obgleich sogar zwei Kollegen von meiner Tat Kenntnis genommen haben, kommentiert keiner der beiden das Geschehen.

Damit man mich jetzt nicht für eine völlige Egomanin hält, muss man zwingend die Hintergründe meiner Melancholie kennen.

Zuletzt belud ich ein solches Gel nämlich vor drei Jahren. Auch damals pipettierte ich die Proben in ihre Geltaschen und schaltete den Power Supply an. Einer der dienstälteren Doktoranden schaute mir im Vorbeigehen über die Schulter – und beim Anblick seines breiten Grinsens wusste ich genau, was er gleich sagen würde.

Besser als Elefanten

„Denk‘ dran: Sechzig Volt, nicht Watt!“

Ach ja, die lieben Kollegen! Alles Mögliche und Unmögliche vergessen sie. Bis wann sie ihre Bestellwünsche abgeben sollen, dass sie von einer Chemikalie nur noch 15 Krümel übriggelassen haben – und dass die Verbrauchsmaterialien im Keller leider nicht von selber nachwachsen. Aber nichts, rein gar nichts vermag jenen Tag aus ihrem Gedächtnis zu tilgen, an dem ich, vom Tagewerk erschöpft und für einen kleinen Augenblick zerstreut, mein RNA-Gel bei sechzig Watt statt sechzig Volt laufen ließ – woraufhin sich am nächsten Morgen logischerweise nur noch dessen traurige Überreste bergen ließen.

Seither ist mir nie wieder etwas Derartiges passiert. Na gut, einmal. Aber da hatte ich meinen Irrtum bereits nach 16 Sekunden bemerkt, was bei weitem nicht so fatale Auswirkungen hatte wie 16 Stunden.

Dennoch wurde mir besagte Dusseligkeit jahrelang vorgehalten, sobald ich nur in die Nähe einer Gelkammer kam. Wenn es darum geht, sich solche Sachen zu merken, stecken meine Kollegen jeden Elefanten locker in die Tasche.

Nach diesem kurzen Exkurs in die Vergangenheit kann man meine Wehmut im ersten Absatz hoffentlich besser verstehen, denn sämtliche Zeitzeugen dieses Ereignisses sind inzwischen weitergezogen. Wodurch mir einerseits niemand mehr mein Missgeschick vorhält; andererseits ist damit aber auch eine irgendwie liebgewonnene Tradition verloren gegangen.

Immerhin bin ich nicht die Einzige, die ein solches Labor-Stigma trägt.

Die Doktorandin, deren Proteine sich im Gel in Form eines Smileys auftrennten. Oder der Diplomand (ja, die gab‘s damals noch), der beim Auffüllen des Kanisters mit destilliertem Wasser vergaß, die während seiner Abwesenheit weiter aus der Anlage fließende Flüssigkeit auf das Fassungsvermögen seines Behältnisses zu begrenzen. Der Boden im Raum mit der Reinstwasseranlage war nie wieder so sauber – jedenfalls nachdem der arme Tropf ihn eine halbe Stunde lang trocken gewischt hatte.

Nahezu jedem von uns haftet manchmal sogar mehr als nur ein ganz persönliches Missgeschick an, auf dem die Kollegen erst jahrelang genüsslich herumreiten, um es dann letztendlich auf dem Doktorhut des Betreffenden zu verewigen.

Aber wer ohne Fehl ist, der werfe das erste Eppi.



Letzte Änderungen: 08.06.2020