Editorial

Pieks oder nicht Pieks

Erlebnisse einer TA (99)

Annette Tietz


Die TA

Neulich beim Geburtstagskaffee meiner Freundin Karin: ein reiner Frauen-Nachmittag. Fast. Bis auf Luka, den zehnjährigen Sohn von Karin. Der störte natürlich überhaupt nicht – im Gegenteil, denn Luka ist ein ganz aufgewecktes Kerlchen. Er rechnete fröhlich vor, wie viele Stückchen Schokotorte jede von uns essen musste, damit am Ende keines übrig blieb, und machte interessante Berechnungen mit den Kirschen auf der Schwarzwälder Kirsch­torte. Amüsant, was in Kinderköpfen so vor sich geht. Wo sich die umsitzenden Tortenvertilgerinnen doch eher ausrechneten, wie viele Kalorien so auf einem Tortenstück rumsitzen – auch wenn man nur jedes zweite essen würde.

Schließlich nahm ich mir ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit nur einer Kirsche. Da zupfte Luka mich am Ärmel: „Du, Mama hat gesagt, weil du im Labor arbeitest, kannst du mir erklären, was eine Impfung ist – und warum man gepiekst werden muss, wenn man oft in den Wald geht. Dann würde ich es verstehen und doch zum Arzt gehen, meint Mama. Ich will nämlich keinen Pieks.“

Sympathische Zecken

Meine Kirsche kullerte von meiner Gabel. Erschrocken sah ich zu Karin. Mit einem Zwinkern signalisierte sie mir, jetzt bloß nix Falsches zu sagen. In Lukas Gesichtsausdruck dagegen lag eine Mischung aus der Hoffnung, dass nun doch alles gut wird, gepaart mit der Warnung, dass ich mich jetzt bloß nicht auch auf die Seite seiner Mama stelle.

Wo überhaupt anfangen? „Ja weißt Du... hrm, man lässt sich impfen, damit man nicht krank wird. Das ist doch eine gute Sache.“ Karins Blick verriet mir, dass ich so aus der Nummer nicht rauskäme – und auch kein weiteres Stück Torte verdient hätte.

„Ich war schon oft krank, das macht mir nix!“ Luka blieb hart. Mist, neuer Versuch: „Ja, aber weißt du, im Wald da gibt es Zecken. Und wenn diese kleinen Tierchen dich beißen, kannst du richtig schlimm krank werden, musst vielleicht sogar ins Krankenhaus und kannst lange nicht in die Schule.“

Karin sah aus wie eine Kirsche, die gleich auf der Kuchengabel explodiert. Luka dagegen fand die kleinen Tierchen mittlerweile sehr sympathisch. „Wie lange kann ich dann nicht in die Schule?“

Ich sah mein zweites Stück Torte auf Nimmerwiedersehen im Wald verschwinden. „Also, Luka – ich bin auch gegen diese Krankheit geimpft. Das hat gar nicht weh getan, nur ein kurzer Pieks und schon ist es vorbei.“

„Mama hat gesagt, man muss das öfter machen!“ Eine Kirsche für Luka. „Ja, das stimmt – das ist wirklich ein bisschen doof. Aber nur so bist du dann wirklich sicher geschützt.“ Das musste doch überzeugen, oder?

„Und warum reicht einmal nicht aus?“ Ach, war der Nachmittag entspannt, als Luka noch Kirschen zählte... „Weißt du Luka, man muss das öfter machen, damit sich dein Körper dann ganz sicher daran erinnert, und du nicht krank wirst. Manchmal muss Mama dir ja auch öfter das Gleiche sagen, damit du dich dran erinnerst, oder?“

Wow, ich war selbst platt über mein pädagogisches Geschick. In Lukas Gehirn arbeitete es. Immer noch Einwände? Dann ein Geistesblitz: „Aber du arbeitest doch im Labor. Kannst du da nicht was anderes erfinden?“ Ja, ich werde mich mal in der nächsten Mittagspause dran setzen, gute Idee.

„Weißt Du was?“ Luka strahlte mich plötzlich an. „Ich mach‘ das doch mit dem Pieks. Aber nur, wenn DU das machst. Ich komm einfach zu dir ins Labor. Mama, kannst du bei Annette einen Termin für mich ausmachen?“

So einfach war die Welt. Mittwoch, 14 Uhr, hätte ich übrigens noch Zeit...



Letzte Änderungen: 01.08.2018