Editorial

Streng nach Protokoll

Erlebnisse einer TA (98)

Annette Tietz


Die TA

Leider herrscht in einem Labor wie dem unseren ein stetiges Kommen und Gehen. Leute fangen neu an, werden eingearbeitet, etablieren Methoden,... Und ehe man sich versieht, ist deren Zeit vorbei und sie gehen wieder. Dafür kommen neue, werden eingelernt...

Sie sehen, worauf ich hinaus will? Sie sind TA, Sie bleiben. Das heißt, Sie lernen neue Kollegen an, zeigen ihnen Methoden, verabschieden sie wieder – und dann begrüßen Sie die nächsten Neuen. Und Sie kennen natürlich auch alle neuen Methoden, samt der Probleme, die dabei auftreten können. Und – noch viel wichtiger – Sie können diese Probleme auch lösen. Nun ja, zumindest scheinen viele Chefs es so zu sehen.

Aus diesem Grund entlassen wir Absolventen nur aus unserem Labor, wenn sie ihre neu eingeführten Methoden in einem detaillierten Protokoll niedergeschrieben haben. Dazu gibt es bei uns extra einen Ordner. Sowohl digital, als auch – Old School – als Pappordner.

Neulich suchte ich in ebendiesem nach dem Protokoll eines Single-Cell-Sorts mit anschließender cDNA-Synthese, das meine Ex-Kollegin May-Lin einst dort eingeheftet hatte. Mein Chef hatte mich gebeten, auf dem Projekt weiter zu arbeiten – „und da es ja ein ausgearbeitetes Protokoll gibt, sei das ja kein Problem“. TAs lieben solche Sätze!

Ich fand ihr Protokoll mit der Überschrift „Ein Zell genomisch PCR sortiert“. Scheinbar hatte ich damals nicht gesagt, dass die Protokolle auf Englisch geschrieben werden sollen. Ich erinnerte mich aber daran, dass sie während ihrer Masterarbeit einen Deutschkurs mit Glanz und Gloria bestanden hatte. Ich versank also in den Untiefen dieser umfangreichen Methode...

Am Nachmittag kam dann mein Chef vorbei und fragte: „Und, alles klar?“ Liebe Chefs, hatten wir nicht schon des Öfteren über diese rein rhetorisch gemeinte Frage gesprochen? Nur, um das noch mal klarzustellen: Auf manche Fragen existieren tatsächlich mehrere Antworten, nicht nur ein „Ja, klar!“. Ich nickte dennoch, Berufskrankheit nennt man das wohl.

Richtig klar waren mir manche Sätze allerdings nicht. „Die Zelle baden in Verdauung von direkt springe, dann warme in 45 Minute.“ Sicher, beim Schwimmen sollte man erst verdauen, bevor man direkt ins Wasser springt – aber das meinte May-Lin damals wohl nicht.

„In fertige Uhr wenig schleudern, dann mische zusammen und nix.“ Und nix?!? Welche Uhr? Und dann? Ich war gespannt und las weiter: „dann (es ging nach „nix“ also tatsächlich weiter) Linie nach Linie mit MIX vermengen OHNE Bälle!“ Gut. Ich beschloss also, die Bälle wirklich wegzulassen, schließlich schien es May-Lin damit sehr wichtig gewesen zu sein. Welche Bälle überhaupt? Langsam wurde mir etwas mulmig.

Und alles OHNE Bälle!

„Dann vorsichtig Reihe mit Dach schließe und starte Rezept. Schaue Anhang.“ Ich schaute Anhang. Auf der einen Seite war ich tief beeindruckt, wie man in wenigen Monaten nebenbei noch eine so schwierige Sprache lernen konnte, andererseits hätte mir in diesem Fall ein englisches Protokoll wohl deutlich schneller geholfen. Ich studierte den Anhang. Es war das PCR-Protokoll. Wir waren also schon bei der PCR nach der cDNA-Synthese angelangt. Gut, ich war wieder auf dem Laufenden. Zurück zum Protokoll: „Danach (ich nehme an, nach der PCR) halbe Rezept in Gel mit Volt auf 120 und mache gute Foto!“

Also nochmal zusammengefasst: Nachdem die Zelle gut verdaut hatte, sprang sie mit der Uhr und tat erst mal nix. Danach mixte sie die Linie, stellte sich unters Dach, las sich ein Rezept durch und machte noch ein Selfie. Und das alles OHNE Bälle!



Letzte Änderungen: 01.08.2018