Editorial

Karottentreue

Erlebnisse einer TA (87)

Annette Tietz


Die TA

Auch und vor allem im Labor kennt man das: Flyer mit Angeboten. Aber nicht einfach nur Angebote – nein, da gibt es Super-Sonderangebote, Super-Rabatte, Sonderaktionen, Neu-Kunden-Einstiegsrabatte, langjährige Freundschaftsrabatte und Treueangebote. Sammelkleberaktionen, Suche-und-finde-den-Hasen-Aktion (gab es wirklich!), Neujahrsrabatte und Sommer-(Loch)-Aktionen. Mittlerweile beäuge ich diese Art von Flyern mit einiger Distanz – und beginne nicht sofort, den Hasen zu suchen.

Neulich kam ich zu meiner Tasse in den Kaffeeraum zurück und sah direkt daneben einen Flyer, dessen Überschrift sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog: „Genießen Sie ihre Mittagspause bei uns mit sensationellen Neueröffnungsangeboten. Ihr Mensa-Team Süd.“ Hätten die Damen und Herren des Mensa-Teams Süd einen Hasen in ihren Flyer eingebaut, er hätte wohl lässig mit Karotte in der Hand und „Daumen hoch“ am „M“ gelehnt! Meine Gehirnzellen schlugen sogar ohne Koffeinzufuhr Purzelbäume und sortierten sich erst neu, als ich dem beleidigten Ausdruck meiner Tasse nachgab und mir ein Schlückchen Kaffee gönnte.

Gesucht – gefunden!

„Die Mensa Süd hat wieder geöffnet!“, lautete die Eilmeldung aus meiner Schaltzentrale. Nach mehrmonatigem Umbau hatte ich schon nicht mehr daran geglaubt, dass hinter dem Bauvorhang die Lösung für meine Mensa-Ost-gestressten Geschmacks­knospen stecken würde. Aber laut Flyer konnten wir uns ja nun auf „Köstlichkeiten aus aller Welt“ zu Super-Sonder-Spar-Eröffnungspreisen einstellen. Da gab es Sparmenüs, Vor-zwölf-Uhr-Menüs (für Frühaufsteher), Menüs zum Selbstzusammenstellen, den Studententarif (für Später-Esser?), vegetarische Vielfalt, laktosefreie Sonderaktionen, Rabatte auf die extra große Portion – und zur Förderung unser aller Gesundheit gleich zu jedem Essen einen Salatteller aus der supergesunden Salatbar.

„Kommen Sie doch gleich bei uns vorbei. Bringen Sie den Karottensticker aus diesem Flyer mit und lösen ihn gleich gegen eine kostenlose Gemüsesuppe ein.“ Karottensticker? Nach langjähriger Laborerfahrung habe ich sozusagen ein Diplom im Dinge-auf-Flyern-finden! Ich fand schließlich die Karotte gut getarnt zwischen zwei Gurken auf dem Foto der Salatbar.

In der nächsten Mittagspause machte ich mich also, bewaffnet mit meiner Karotte, auf zum neuen Glück im Südbereich der Uni. Ich war offenbar nicht die Einzige mit diesem Vorhaben: Eine lange Warteschlange empfing mich und meine Karotte. Allerdings war nicht ganz ersichtlich, ob diese Leute eigentlich den Vor-zwölf-Uhr-Tarif nutzen wollten – und schon eine Weile anstanden, oder ob sie den Studententarif für Später-Esser nutzen wollten – aber nicht genau wussten, wann „spät“ ist. Der Mann hinter mir in der Warteschlange erkundigte sich auch gleich nach dem weiteren Sinn meiner „Ernte“ – und stolz wie Bauer Bolle erklärte ich ihm, dass mich nach Eintausch meiner Karotte ein leckeres Süppchen erwarten würde.

Als ich endlich (zum Nachmittagstarif) an der Reihe war und der Dame meine Karotte entgegenstreckte, schüttelte diese jedoch bedauernd den Kopf: „Die Gemüsesuppe ist leider aus, aber ich kann Ihnen stattdessen einen leckeren Karotten-Bananen-Riegel anbieten.“ Verzweiflung stieg in mir hoch. Ich versuchte die Situation zu retten und bot einen Deal an, den leckeren Riegel gegen eine Tasse Kaffee einzutauschen. Die Dame verneinte allerdings. Sie hätten nämlich keinen Kaffee mit Karottenaroma – und der Karotte müsse man ja schließlich doch treu bleiben. Na dann!



Letzte Änderungen: 01.08.2018