Editorial

Ein ruhiger Tag

Erlebnisse einer TA (63a)

Annette Tietz


Die TA

Neulich hatte ich einen entspannten Arbeitstag vor mir. Ich freute mich darauf, es ein bisschen ruhiger anzugehen und ein paar kleinere Dinge zu erledigen. Die letzten Arbeitstage waren angefüllt mit langen Versuchen und endlosen Analysen, da war so einiges liegengeblieben. Aber seien Sie immer auf der Hut: Sollten Sie an solch einem Tag den Weg Ihres Chefs kreuzen, tragen Sie einen weißen Kittel und einen Stapel Papiere unter dem Arm und – ganz wichtig – setzen Sie einen beschäftigten Blick auf! Sonst ist’s schnell vorbei mit dem ruhigen Tag!

Als ich das Labor aufsperrte, empfing mich ein Zettel vom Chef mit einer Aufgabe, die so gar nicht in mein heutiges Ausruh-Konzept passte. Ich solle doch bitte die Zellen nochmal splitten und dann für die nächsten Tage wegfrieren. Na gut, dachte ich, marschierte in den Zellkulturraum und machte die – wie nannte der Sicherheitsbeauftragte das doch gleich? – Reinraum-Werkbank an.

Das alltägliche Chaos

Just in diesem Moment klopfte ein Kollege aus der Nachbarabteilung an meine Tür und fragte, ob ich heute zufällig ein an ihn adressiertes Päckchen in Empfang genommen hätte. Nö, hatte ich nicht. Falls ich es finden sollte, ob ich es ihm sofort vorbeibringen könnte? Klar, das versprach ich ihm doch gerne. Das beruhigte ihn immerhin, auch wenn mir nicht ganz klar war, wo ich es finden sollte.

Nach dieser völlig aufwandsfreien guten Tat öffnete ich in bester Laune den Kühlschrank für die Zellmedien. Meine Hand, die schon zugreifen wollte, gefror in der Bewegung. Die Flasche war fast leer! Schnaubend wollte ich die Inhaltsstoffe aus den Gefrierschränken zusammensammeln, um eine neue Flasche anzusetzen, und wurde erneut ausgebremst. Sie ahnen es? Ein Zusatz war leer und musste erst aliquotiert werden.

Nee, klar, aber ich hatte ja heute Zeit für so was. Eine Stunde später waren meine Zellen versorgt und ich ging zur Feier des Tages einen Kaffee trinken. Aus unserem Kaffeevollautomaten, denn mein Chef hatte in den letzten Jahren mit wachsender Aufmerksamkeit meine Laborjournal-Kolumne gelesen. George Clooney fehlt noch, aber daran lässt sich arbeiten.

Doch was ist die schärfste High-Tech-Kaffeemaschine ohne Bohnen? Meine Kollegen hatten wohl gestern auch einen langen Arbeitstag. Aus den fünf noch vorhandenen Kaffeebohnen ließ sich nun wirklich kein Kaffee mehr aufbrühen! Die Türe ging auf und der Päckchen-suchende Kollege erschien erneut auf der Bildfläche, ein hoffnungsvolles Leuchten in den Augen. Ob ich denn vielleicht jetzt ...? Nein. Abermals versprach ich, es unverzüglich zu ihm zu bringen und fragte, ob er wohl einen Kaffee wolle. Einen Fünf-Bohnen-geteilt-durch-zwei-Kollegen-Kaffee. Ich hatte einen sauguten Tag! Er wollte nicht. In der hintersten Ecke des Schrankes fand ich dann doch noch ein Päckchen Kaffeebohnen und schaute zunehmend entspannter zu, wie sich mein Becher gurgelnd füllte.

Zurück im Labor überlegte ich mir, was es heute noch alles zu erledigen gab, als das Telefon klingelte. Die Poststelle wollte wissen, ob bei uns ein Päckchen abgegeben worden war, das nicht uns gehöre. So langsam wurde ich neugierig. Drogenschmuggel? Organhandel? Ich, im Visier der Fahnder? Wie, ich schaue zu viele Krimis?

Das Schicksal begann sich offenbar zu langweilen und ließ von mir ab, so dass sich der Tag dann doch noch recht ruhig entwickelte. Ich füllte leere Schubladen auf, arbeitete meine überschaubare Liste ab und füllte ein paar Seiten meines Laborbuches mit den Versuchsergebnissen der letzten Tage.

Als ich am Nachmittag über den Flur lief, tauchte am anderen Ende wieder der Päckchenlose auf. So langsam wusste ich wirklich nicht mehr, wie ich ihn aufbauen sollte. Die Zeit für einen unplanmäßigen Abstecher in den Kühlraum war gekommen! Von meinem schlechten Gewissen geplagt saß ich in diesem geraume Zeit fest. Irgendwann beschloss ich, die Zeit zu nutzen und aufzuräumen. Dabei fand ich das Päckchen. Jemand hatte es wohl hier vergessen. Oder extra liegen lassen für einen Kollegen, der eigentlich nur eine ruhige Kugel schieben wollte!



Letzte Änderungen: 01.08.2018