Editorial

Urlaubszeit

Erlebnisse einer TA (29)

Annette Tietz


Die TA

Urlaubszeit ist ja ganz nett, vor allem wenn man selbst im Urlaub ist. Sollte man aber zur Hauptzeit nicht in den Urlaub fahren und stattdessen arbeiten, kommt man sich unter Umständen leicht verlassen vor. Die Labore sind leer, auf dem Abteilungsflur wuselt kaum jemand umher, das Telefon steht fast den ganzen Tag still (wer sollte auch anrufen, sind ja alle im Urlaub…) und es gibt kaum Ansprechpartner, sollte mal wieder ein Problem mit den lieben Labormaschinchen auftreten. Kaum kommt jemand erholt und braun gebrannt aus dem Urlaub zurück, geht auch schon der nächste, damit es nicht zu einer plötzlichen Überbevölkerung kommt.

Verlassen fühlte sich neulich wohl auch eine Vertreterin, die mit einem Zettel bewaffnet in unserer Abteilung auf der Suche nach Personal war. „Entschuldigung? Arbeiten Sie hier?“ Nun, ich kam gerade aus einem unserer Labore, hatte Laborschuhe an, einen Kittel und trug ein Eisbad mit meinen Proben durch die Gegend. Eigentlich hätte ich mir gerne einen Spaß erlaubt und gesagt:“ Nö, ich putze hier nur die Fenster“, aber ich befürchtete, dass die Vertreterin dann völlig verzweifeln würde. Da Seelsorge jedoch nicht zu meinem Spezial­gebiet gehört, setzte ich ein freundliches Lächeln auf und sagte „Ja, ich arbeite hier.“

Labor-Seelsorge

Meine Aussage zeigte sofortige Wirkung in ihrem Gesicht, denn es erschien ein sehr erleichtertes Lächeln, und wenn ich es mir nicht einbildete, dann machte sie sogar einen kleinen Freudensprung. Vielleicht sollte ich mir das mit der Seelsorge doch noch mal überlegen? „Ah, schön, und Sie sind Frau…?“ Ich sagte meinen Namen und zu unserem beiderseitigen Erstaunen stand ich gar nicht auf ihrer Liste mit den hier arbeitenden Personen. Vielleicht sollte ich da mal nachhaken?

Wie auch immer, sie schien trotzdem sehr erfreut über meine Anwesenheit, las mir eine Reihe von Namen vor und fragte mich, wo sie diese Personen denn finden könne. Bei der Aufzählung blitzten wunderbare Orte vor meinem inneren Auge auf: Bali, Mallorca, Oberjoch, Spiekeroog, Antalya,… So musste ich ihr bei den meisten erklären, dass sie sich gerade im Urlaub befänden, deswegen sei es ja auch so leer hier. Sie nickte, machte sich eine Notiz hinter die Namen und fuhr mit der Namensliste fort. Bei einem Kollegen erklärte ich ihr, dass dieser die Abteilung schon vor einem Jahr verlassen habe und auch gleich noch ein paar Leute mitgenommen habe, wodurch sich die potenziellen Gesprächspartner für den heutigen Tag auf ein Minimum reduzierten. Das Lächeln verschwand langsam wieder aus ihrem Gesicht. Scheinbar sollte ich doch mal einen Grundkurs in „Die psychologischen Grundlagen der Seelsorge“ belegen?

„Aber den Herrn Werner, den gibt es doch noch hier, oder?“ Werner? Nie gehört, aber sollte ich ihr das jetzt auch noch antun? „Sagen Sie bloß, der ist auch im Urlaub?“ Ja, so ein Kurs wäre jetzt durchaus sinnvoll gewesen! „Ich… also wenn Sie möchten… dann können Sie mir ja Unterlagen da lassen und ich gebe diese dann an meine Kollegen weiter, wenn die alle wieder da sind?“ Ich fand, das war psychologisch absolut vertretbar und ein echt gutes Angebot. Ich war stolz auf mich, setzte mein Lächeln auf und gab mir einen Seelsorgepluspunkt. „Na gut, ich lasse Ihnen hier mal ein paar Prospekte da und meine Karte und komme dann in ein paar Wochen wieder.“ Ich hatte das Gefühl, dass meine Therapie bei ihr nicht ganz die erhoffte Wirkung zeigte, aber immerhin schien sie etwas versöhnlicher als vor ein paar Minuten.

Als wir uns gerade verabschiedet hatten und sie ihren Koffer und die Liste wieder unter den Arm geklemmt hatte, kam doch tatsächlich jemand den Gang entlang. Ich glaube, ich war nicht weniger erstaunt als sie. Ich, weil ich denjenigen noch nie in der Abteilung gesehen habe und sie wohl erst mal aus demselben Grund – dann aber doch mit der Hoffnung, dass sich sein Name vielleicht auf ihrer Liste wieder findet.

Ich drehte mich um und ging ins Analyselabor. Alles was ich noch mitbekommen habe war: „Entschuldigung? Arbeiten Sie hier?“ – „Nö, ich putze hier nur die Fenster.“



Letzte Änderungen: 01.08.2018