Editorial

Hilfe, Baustelle!

Erlebnisse einer TA (27)

Annette Tietz


Die TA

Wie oft dröhnt Baulärm auf dem Weg zur Arbeit oder stinkt der Qualm von Baumaschinen direkt vor der eigenen Haustüre? Das nervt ja schon genug. Hat man aber eine Bausstelle direkt im Labor, kann das durchaus den Wunsch beflügeln, mit der PCR-Maschine unter dem Arm nach Hause abzuwandern, um dort in Ruhe arbeiten zu können.

Der Drang, zu Hause im Keller ein eigenes Privatlabor einzurichten, war bei mir in den letzten Wochen besonders stark. In die Tat setzte ich ihn allerdings doch nicht um. Die Hoffnung, dass jede Baustelle irgendwann ein Ende haben muss, war schlussendlich doch stärker.

Stimmen aus dem Nirwana

Alles fing an mit dem Satz: „Wir müssen da mal rein!“ „Wir“, das waren fünf Männer in Blaumann, bewaffnet mit Leitern, unzähligen Werkzeugkisten und auf die Schulter geladenen Rohren. Bereitwillig, aber mit etwas mulmigem Gefühl schloss ich das Labor auf. Die Bauarbeiter fühlten sich von Anfang an sehr wohl bei uns im Labor. Sie verteilten ihre Mitbringsel im gesamten Raum, stellten Leitern an völlig ungeeigneten Stellen auf und krochen, nachdem sie die Deckenverkleidung abmontiert hatten, fast ins nächste Stockwerk. Immerhin waren sie so wenigstens halbwegs von der Bildfläche verschwunden.

Ich gewöhnte mich daran, dass im Laufe der nächsten Tage nichts mehr an dem Platz war, an dem es immer ist, weil offenbar alles bei der Deckenbohrerei und sonstigen Arbeiten störte. Wie auch an die Tatsache, dass man sich nun nicht mehr ungestört mit seinen Kolleginnen über typisch weibliche Themen unterhalten konnte, ohne dass ein etwas peinlich berührter Bauarbeiter roten Kopfes – dafür aber um ein paar Details reicher – von seinem Thron heruntersteigt und fluchtartig das Labor verlässt.

Ab und an wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, wenn irgendwo aus dem Nirwana eine Stimme erklang, die jemanden dazu aufforderte, doch mal etwas mehr Kabel zu geben und den „Fünfer“ mitzubringen. Abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht gewusst hätte, was ein „Fünfer“ ist, fühlte ich mich auch nie angesprochen. „Kann man da noch ein Stück rüber?“, lautete die nächste mir unklare Frage von den zwei Beinen aus der Deckenzone.

Ich verhielt mich, wie schon die ganze Zeit, unauffällig und rechnete weiter an meinen Daten herum. „Hallo? Geht es da noch ein Stück weiter?“ Daraufhin Stille, was ja mal eine willkommene Abwechslung zu dem ganzen Bohren und Rumhämmern war. „Hallo Sie?“ Jetzt bekamen die Beine aus der oberen Etage auch noch einen Oberkörper samt Stimme, und diese richtete sich sogar an mich.

Ich war erstaunt. Sollte ich ihm jetzt den „Fünfer“ reichen? „Kann ich da mit meiner Leiter noch ein Stück weiter in die Richtung von Ihrem Schreibtisch?“ Die Frage war also die ganze Zeit an mich gerichtet. Kann man ja nicht wissen. Eigentlich saß ich sowieso nur noch mit halbem Hintern auf meinem Schreibtischstuhl, da die Leiter sich schon bedenklich nahe an meinen Schreibplatz herangetraut hatte. Aber kein Problem, bevor er die Leiter direkt über mich stellte und mir Einblicke gewährte, die ich gar nicht haben mochte, trat ich den Rückzug an und verschwand aus der Gefahrenzone.

In meinem jugendlichen Leichtsinn dachte ich, dass es wohl nur eine Frage von ein oder zwei Tagen wäre, bis sie sich bei uns ausgetobt haben. Ich musste feststellen, dass ich grenzenlos naiv war. Tage später, als ich mich schon daran gewöhnt hatte, mit meinem PCR-Gel um die Leiter herum zu jonglieren und nebenbei aufzupassen, dass mir kein Krümel aus der Decke auf das Gel fällt, schnappte ich folgenden Satz auf: „Die Isolierung machen wir dann nächste Woche!“

Arrgh! Es war doch erst Montag. Ich nahm allen Mut zusammen und fragte einen der Blaumänner im Deckenloch, wie lange es denn noch ungefähr dauern könnte? Ich glaube, ich konnte die aufsteigende Panik in meiner Stimme nicht wirklich unterdrücken. Mister Fünfer kletterte von seinem Hochsitz herunter, grinste mich breit an und entgegnete: „Eine Weile wird‘s noch dauern. Aber machen Sie sich keine Gedanken – sie stören uns nicht.“



Letzte Änderungen: 01.08.2018