Editorial

„Mich gibt’s hier nicht...“

Erlebnisse einer TA (14)

Annette Tietz


Die TA

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, oder soll ich sagen: der ganz normale Wahnsinn? Ich pipettierte so vor mich hin, die Zentrifuge lief und das Wasserbad wärmte sich langsam auf, als mein Timer plötzlich völlig unerwartet klingelte. Ein strafender Blick brachte ihn nicht zum Schweigen, also legte ich die Pipette weg und schaute mich um auf der Suche nach dem Grund des Geklingels.

Fremde Bekannte

Ich konnte nichts erkennen, außer einer mir unbekannten Frau, die plötzlich im Labor stand. Ich arbeite zwar noch am Chef-Frühwarnsystem, aber eigentlich sollte dabei nicht unbedingt mein Timer lauthals anfangen zu piepen, wenn sich jemand dem Labor nähert – und schon gar nicht, wenn es sich nicht um meinen Chef handelt. Irgendwas läuft da schief...

Ich beachtete sie nicht weiter, schließlich standen ständig Leute im Labor rum, und die wollten ja nicht immer unbedingt zu mir. Während ich überlegte, warum ich den Timer gestellt hatte, beobachtete ich die Fremde aus dem Augenwinkel. Sie unterhielt sich weder mit jemand anderem im Labor, noch machte sie Anstalten, wieder zu gehen. Also schaute ich sie fragend an, ob ich ihr helfen könne. Sofort wurde ich mit „Hallo Frau Tietz!“ begrüßt. Oha. Die kannte mich. Ich war mir ziemlich sicher, sie noch nie gesehen zu haben, noch heute mit jemand verabredet zu sein.

Der Mega-Stepper

„Hätten Sie mal einen Moment Zeit?“ Hatte ich? Irgendwie passt es ja nie mitten rein, aber sie war sehr nett, also hatte ich. „Ich dachte, nachdem ich es Ihnen ja letztes Mal versprochen hatte, bringe ich doch gleich heute den Mercedes unter den Multisteppern mit.“ Ich war völlig platt. Was für einen Mercedes? Mir versprochen? Um die Arme nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, tat ich so, als könnte ich mich an unser Gespräch über Autos erinnern, und da ich mich als Renault-Fahrer ja auch mal für eine höhere Klasse interessieren könnte, war ich ganz Ohr.

Feierlich holte sie den neuen Multifunktions-Super-Mega-Stepper raus. „Na, was sagen Sie?“. Erstmal nichts. Die nette Dame, von meiner Sprachlosigkeit nicht im mindesten beeindruckt, nahm meine Hand, legte mir den Multifunktions-Super-Mega-Stepper hinein und fragte: „Merken Sie’s?“ Ich drehte das Teil hin und her und suchte den Mercedesstern, wurde aber bei meiner Suche durch ein „Wahnsinn, oder?“ unterbrochen. „Ich sag‘ ja immer: DEN Unterschied merkt man sofort.“

Mit Restvolumenanzeige!

Warum kommt jetzt keiner und befreit mich? Ich konnte weder DEN noch irgendeinen anderen Unterschied ausmachen, noch ihre Begeisterung teilen. „Und wenn Sie hier drauf drücken… dann sehen Sie sofort, welches Restvolumen Sie noch haben.“ Der Hammer! „Und Sie glauben ja gar nicht, WIE günstig das Gerät ist!“ Wahrscheinlich nicht. Trotz fehlender Euphorie von meiner Seite breitete sie ein Angebotsheftchen nach dem anderen aus. Massenweise Sonderpreise, Schnäppchen und Mengenrabatte.

Mein Timer machte sich wieder bemerkbar. Chefalarm? Richtig, da kam er gerade ins Labor. Hurra, meine Rettung. Bestimmt braucht er was ganz Wichtiges, und ich würde von dem Mercedes befreit, den ich immer noch krampfhaft in der Hand hielt. Mein Chef gab sich allerdings gar keine Mühe, mich aus meiner Lage zu befreien, sondern bemerkte nur kurz: „Ach, du bist beschäftigt, ich komme später noch mal.“ Arrghh!

Lebensrettende Selbstverleugnung

In dem Moment fiel mir auch wieder ein, warum mein Timer vor genau 15 Minuten geklingelt hatte. Meine Zellen saßen im Brutschrank und trypsinisierten so langsam zu Fragmenten... Ich sprang auf und lief an der verdutzten Vertreterin vorbei in Richtung Zellkulturlabor. Während meiner Zell-Wiederbelebungsversuche betrat ein Mann das Labor. Auch ihn kannte ich nicht, auch er hatte einen verräterischen Koffer dabei. „Firma BioXY. Sagen Sie, wo kann ich denn die Frau Tietz finden?“. Um meine Zellen nicht durch kollektiven Zelltod zu verlieren, antwortete ich: “Die gibt’s hier nicht...“



Letzte Änderungen: 01.08.2018